zum Hauptinhalt

Berlin: Berliner Polizei: "Routine ist der Tod der Wachsamkeit"

"Diese Stadt ist rabiat! Als Polizist muss man schon mit einem Angriff rechnen, wenn man ein Auto anhält, nur weil ein Rücklicht nicht brennt.

"Diese Stadt ist rabiat! Als Polizist muss man schon mit einem Angriff rechnen, wenn man ein Auto anhält, nur weil ein Rücklicht nicht brennt." Der Berliner Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, hat angesichts der wachsenden Aggressivität und steigenden Bereitschaft zur Gewaltanwendung im Alltag längst Abschied genommen von seiner Idealvorstellung der Polizei: "Ich würde am liebsten bürgernahe, möglichst unbewaffnete Polizisten sehen."

Stattdessen fordert Schönberg jetzt den "Tonfa" als Schlagstock für alle Polizisten im Außendienst. Die Polizeibehörde dagegen setzt auf Schutzwesten: "Jeder mit Vollzugsaufgaben beauftragte Beamte soll seine personengebundene Schutzweste erhalten," sagt Polizeisprecher Karsten Gräfe. Weit über 6000 derartige Westen sollen demnächst beschafft werden, die nötigen vier Millionen Mark stünden trotz der Berliner Haushaltskrise bereit, bekräftigt Gräfe.

Der Tonfa ist eine Waffe aus dem asiatischen Kampfsport, mit dem bisher nur spezielle Einheiten ausgerüstet sind. Bevor die Beamten diesen Schlagstock, der auch zur Abwehr bewaffneter Angreifer geeignet ist, erhalten, müssen sie eine mehrtägige Ausbildung absolvieren. Regelmäßige Fortbildung in der Handhabung dieser Waffe, die in ungeübten Händen tödlich wirken kann, sind Pflicht. "Die Anforderungen sind höher als die an die Schießausbildung", sagt der Vorsitzende des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus, Peter Trapp, und lehnt den Tonfa für alle Polizisten ab. Dennoch bleibt dieser Schlagstock für Schönberg das Mittel zum Eigenschutz für Polizisten: "Damit können sogar zierliche Frauen einen überlegenen Gegner überwältigen. Ich bin überzeugt, dass damit die Zahl der verletzten Polizisten spürbar zurückginge."

Einer unvollständigen Aufstellung der Gewerkschaft zufolge wurden allein in den knapp vier Wochen vom 12. April bis zum 8. Mai dieses Jahres 32 Polizisten und zwei Polizeiangestellte im Dienst verletzt. So wurden einem Grenzschutzbeamten fast die Zähne ausgeschlagen, als er Ende April einen Randalierer festnehmen wollte. Ein zunächst als hilflos eingestufter Mann, der in die Ausnüchterungszelle gebracht werden sollte, schlug am 30. April auf Polizisten ein und trat nach ihnen. Am 5. Mai wurde eine Funkstreife zu einem Streit gerufen: Ein Mann verprügelte seine Ehefrau. Als die Beamten eintrafen, ging der randalierende Ehemann auf sie los. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Auch BVG-Mitarbeiter sind, wie berichtet, in den letzten Monaten immer wieder angegriffen und teils lebensgefährlich verletzt worden.

Eine von der Innenministerkonferenz und der GdP in Auftrag gegebene Studie beim Kriminalistischen Forschungsinstitut Niedersachsen kam in einem kürzlich vorgelegten Zwischenbericht zu dem Ergebnis, dass es meist eher harmlos scheinende Situationen sind, in denen vorwiegend Streifenpolizisten zum Opfer werden: "Die Angriffe finden überwiegend im Dunkeln, im öffentlichen Raum und in eher bürgerlichen Vierteln statt. Die überwiegende Mehrzahl der Angriffsorte galt zuvor als ungefährlich. Die Täter waren zu drei Vierteln deutscher Nationalität, fast ausschließlich männlich und allein. Sie waren überwiegend alkoholisiert und fast zur Hälfte bereits polizeibekannt. Der Angriff erfolgte fast immer überraschend", fand das Institut heraus.

Vollständigen Schutz bietet aber auch eine Schutzweste nicht. Kopf und Unterleib bleiben verletzbar. Zwar werden laut Gräfe in der Polizei-Ausbildung alle vorstellbaren Situationen im "Trockentraining" geübt und die Verhaltensregeln ständig aktualisiert, aber einen absoluten Schutz gibt es nicht. Es wird immer ein Restrisiko bleiben - trotz größter Sensibilisierung und Schulung der Beamten. Dennoch wird in der Behörde nicht darüber nachgedacht, dass die Beamten bei Kontrollen künftig ständig eine Hand an der Waffe haben. Wenn es allerdings gelänge, Autofahrern Verhaltensregeln bei Verkehrskontrollen zu vermitteln - beispielsweise, ihre Hände sichtbar auf das Steuer zu legen und keine hastigen und verdächtigen Bewegungen zu machen -, dann, sagt Gräfe, "wäre schon viel erreicht". Allerdings müsse auch den Beamten immer wieder eingetrichtert werden: "Routine ist der Tod der Wachsamkeit!"

Zur Startseite