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„Der Jang wird dicht jemacht.“ So sagt es ein Pförtner der Hanns-Eisler-Musikhochschule.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Schloss: Ein Tunnel mit Geheimnissen

Ein Tunnel verband einst den Marstall mit dem Stadtschloss, später mit dem Palast der Republik. Um ihn ranken sich viele Geschichten. Nun wird der Bau zugeschüttet.

Exkursion ins Unbekannte: Was passiert da eigentlich zwischen dem Marstall in Mitte und dem künftigen Schloss? Blick hinter die spröde weiße „Gardine“ am Bauzaun, die das Geschehen den Blicken entzieht: alte Rohre, ein Bagger, Holzpfähle und Sägeblätter. Wagenradgroß. Jetzt kommen die Betondemonteure von der Mittagspause zurück, setzen sich ihre Schallschützer auf die Ohren und legen los. Die Diamantsäge fährt behutsam in die Stahlbetondecke unter dem Straßenniveau, das Summen in den höchsten Tönen fliegt wie ein Krähenschwarm über den Schlossbau hinweg, es könnte auch die Koloratur einer „Königin der Nacht“ sein, die sich nebenan in der Musikhochschule „Hanns Eisler“ ihr Diplom ersingt. Jedenfalls so hoch wie laut.

Der Mann in der Pförtnerloge im Marstall sagt, während er von den künftigen Musikanten die Schlüssel der Übungsräume entgegennimmt, „der Jang wird dicht jemacht“. Also der Tunnel, der den Marstall mit dem Palast der Republik unterirdisch verband. Warum?

In der Ausschreibung Los ID 1127289 steht’s: „Zur Herstellung regelkonformer Gefälleverhältnisse auf dem südlichen Schlossplatz im Zuge der Gestaltung der Freiflächen am neuen Humboldt-Forum muss die dort verlaufende Fernwärmetrasse tiefer gelegt werden. Um die erforderliche Baufreiheit zu schaffen, soll der Marstalltunnel zurückgebaut werden.“ Außerdem wird er nicht mehr gebraucht.

Honecker floh jedenfalls nie durch den Tunnel

Hier nun gibt es die unterschiedlichsten Tunnel-Storys. Einerseits soll es schon vor langen früheren Zeiten eine unterirdische Verbindung zwischen dem Marstall (der kaiserlichen Garage für 300 Pferde und diverse Kutschen und Schlitten) und dem Schloss gegeben haben – „das war vielleicht ein kleiner schmaler Gang“, sagt Manfred Prasser, einer der Architekten des Palastes der Republik. „Den Tunnel in seiner heutigen Größe von mehr als zwei Metern Höhe und Breite haben wir gebaut, damit die Mitarbeiter vom Palast, die Künstler und ihre Noten vom Marstall, wo die Verwaltung saß, rasch ins Haupthaus gehen konnten, trockenen Fußes.“

„Bild“, dem Blatt für das Ungeheuerliche, war zu entnehmen, dass es sich um „Honeckers Fluchttunnel“ gehandelt habe, auch sollten die Abgeordneten der Volkskammer im Falle eines Falles unsichtbar vor Volkes Zorn im Kellergang davoneilen können. Nichts dergleichen fand statt, nicht einmal am 7. Oktober 1989, als die Leute am Marx-Engels-Platz „Gorbi“ statt „Honni“ riefen.

Und auch Udo Lindenberg ist vor den liebevollen Umarmungen seiner Fans nicht im Marstalltunnel abgetaucht. Es gab da nach dem Palastabriss einmal die Idee, im Tunnel so etwas wie Transportbänder zu installieren – für Bücher, die aus dem Marstall ins Schloss transportiert werden sollten. Das wäre sehr teuer geworden und wurde durch die Neubaupläne für die Zentral- und Landesbibliothek überflüssig. Die Baustelle behindert noch einige Zeit den Autoverkehr. Wenn Schnee und Frost kommen, müssen die singenden Sägen schweigen.

Der Weihnachtsmarkt ist der Baustelle zum Opfer gefallen

Ein Blick auf die Szenerie rund um Schlossbau und Marstall ist trotz Regen und Sturm anregend und überraschend. Da läuft eine in rotes Stoffetui verpackte Harfe die Straße entlang, wundersam sieht das aus, weil man erst beim zweiten Hinsehen bemerkt, dass die kleine, junge Harfenistin ihr Instrument auf zwei Rollen vor sich herschiebt. Künstler ganz anderer Art, Lebenskünstler, gehen durch das schwere, schmiedeeiserne Tor ins kantige Gebäude des ehemaligen Staatsrates der DDR.

Die „European School of Management and Technology“ (ESMT) hat bis zu 300 Studenten und zweieinhalbtausend internationale Führungskräfte, die sich hier im DDR-Ambiente weiterbilden – am Schlossplatz 1 grüßen Walter Womackas 180 Quadratmeter große „Szenen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, aber auch neue Arbeiten. Die ökonomische Uni wirkt wie ein beschaulicher, stiller Ruhepol im quirligen Umfeld zwischen Schloss- und U-Bahn-Baustelle, skandalträchtigem Zustand der geschlossenen Friedrichswerderschen Kirche neben bemalter Attrappe von Schinkels Bauakademie, deren Blutbahnen und Nervenstränge nunmehr aus simplen Stahlrohren mit schamhaft verhüllenden Stoffplanen besteht.

Im vorigen Winter gab es rund um den früheren Staatsrat einen Weihnachtsmarkt. Dieses Jahr ist er Opfer der Bauerei. Am Rande der Schleusenbrücke kommt die nächste Überraschung: Der Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals belebt sich. Im unteren Gewölbe, bei den Fledermäusen, gehen Bauarbeiter ein und aus, oben wird die Erde planiert, „wir machen allet schön platt“, sagt ein Arbeiter. Wie meint er das? Es sieht so aus, dass man die Fläche für den Aufbau der Kolonnaden präpariert. Oder man will endlich, 70 Jahre nach dem Abtransport des gewaltigen Kaiserdenkmals, ein bisschen besenreine Ordnung auf den Sockel bekommen. Wofür auch immer.

Gegenüber, am Geländer zum Spreekanal, steht ein RBB-Team und interviewt den Architekten Hanns Malte Meyer. Der hat die Idee, anstelle der sinnlosen „Einheitswippe“ und der nicht minder teuren Kolonnaden eine große Banane, gelb, genannt „Big Banana“, aufzustellen, „weil die eine ganze Reihe von Assoziationen zum Thema Wiedervereinigung auslöst“. Die Einheitsbanane spricht: „Wir sind das Volk.“ Oder so ähnlich. Wenn die Satire eine verkrampfte und verquaste Situation einholt (ohne zu überholen), ist man ja auf dem besten Wege. Dann könnte es auch eines Tages, bei näherer Betrachtung des leeren Sockels, heißen: „Wir woll’n unsern alten Kaiser Wilhelm wieder ha’m“.

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