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Endlich in Berlin! Äh, und jetzt?

© Mike Wolff

Berliner Schule: Was Berlin uns lehrt

Was kann man von einer Stadt lernen? Wie verändert sie den, der von anderswo kommt? Acht Menschen schildern ihre persönlichen Stadtlektionen – und erzählen, wie Berlin ihr Denken, ihre Kunst, ihre Arbeit beeinflusst.

Man muss davon ausgehen, dass ein Ort etwas mit einem macht. Einen etwas lehrt. Einen zu einem anderen Menschen macht, womöglich gar zu einem besseren. Sonst würden ja gar keine Reisen unternommen, keine Aufenthaltsstipendien ausgeschrieben, Kulturinstitute gegründet, keine Stadtschreiber ausgerufen und Austauschprogramme aufgelegt. Hunderte Schulfahrten werden jedes Jahr nach Berlin unternommen in der Hoffnung eines Lernerfolgs. All dies fußt auf der Annahme, dass ein Ort einen etwas lehrt. Dass Erkenntnisse winken. Was aber winkt in Berlin?

Berlin-Moment I: Es ist Mitte der 90er, aber das spielt überhaupt keine Rolle, weil er ja jederzeit passieren kann, der Berliner Zugehörigkeitsmoment. Damals, vor einem Café am Chamissoplatz sitzend, drückten sich plötzlich Reisebusse zwischen den Altbaufassaden hindurch, und die Fahrgäste fotografierten: uns. Die wir gerade erst in Berlin lebten. Also uns als Berliner. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich der Blick gedreht. Für die waren alle hier Berliner, eine Reise wert. So einfach war das also. Wer da ist, ist dabei.

Da sind alle diese Berliner Orte, die von außen für „so Berlin!“ gehalten werden. Da ist zum Beispiel das „Grill Royal“, ausgeheckt von einem Rheinländer, Teil eines originellen Gastro-Imperiums. Da ist der erste vegane Supermarkt, gegründet von einem Stuttgarter. Da sind die Berlin-Highlights der Architektur, von Reichstagskuppel und Jüdischem Museum bis zum Neuen Museum: kein Berliner Architekt dabei. Man pilgert in die Philharmonie, wo der berühmte, unverwechselbare „Berliner Sound“ der Philharmoniker erklingt, aber am Kontrabass zum Beispiel steht Edicson Ruiz, der in einem Armenviertel in Caracas aufwuchs. Die Neuerfindung des Berliner Tanzes betrieb Sasha Waltz, die aus Karlsruhe kam. Die „Berliner Gesellschaft“ traf sich im Garten des Managers Heinz Dürr, der kam aus Stuttgart und hatte als Erster in Berlin ein Haus von David Chipperfield bauen lassen, als den noch niemand kannte.

"Mein Mann musste ja arbeiten"

Die Leute kommen her – und verändern ihrerseits Berlin. So eine Definitionsmacht haben Zugereiste in keiner anderen deutschen Stadt, oder?

Helmut Kohl hatte den Manager Heinz Dürr aus Stuttgart gebeten, nach der Wende die Reichsbahn und die Bundesbahn zusammenzuführen. 500 000 Leute. Dürr bezog 1990 als ersten Dienstsitz das Büro von Markus Wolf in der ehemaligen Stasi-Zentrale. „Stasi-Vergangenheit?“, fragte er die Mitarbeiter im Osten. „Sie können überall Nein reinschreiben, wir haben die Akten vernichtet“, war die Antwort. Da ahnte Dürr, dass er hier mit den bewährten Rezepten nicht weit kommen würde.

An einem sonnigen Märztag sitzt er in seinem Büro und lässt den Rauch seiner Pfeife Richtung Decke kräuseln, von hier aus hat er den ganzen Gendarmenmarkt im Blick. Heide Dürr, die neben ihm sitzt, fingert einen Konferenzkeks aus der Packung. Sie war es, die aus dem Pflichtberliner einen Wahlberliner gemacht hat. Mitte der 90er rief sie den Architekten David Chipperfield in London an: ob er ein Haus in Dahlem bauen wolle. Why not?, fragte der.

Sie orderte hohe Wände für die moderne Kunst und bestand auf hellem Backstein. „Mein Mann musste ja arbeiten.“ Wen die Stuttgarter anschließend in ihren Garten luden, der gehörte zur Berliner Gesellschaft.

Vor 16 Jahren gründete Dürr den Berlin Capital Club mit, es gibt immer prominente Gastredner am Sitz im Hilton am Gendarmenmarkt, und die 1600 Mitglieder versuchen, das Beste aus der Fußläufigkeit zur Politik zu machen. „Obwohl es größer ist als Stuttgart, ist es konzentrierter“, sagt Heide Dürr über Berlin. Seit einigen Jahren unterstützen sie mit ihrer Stiftung örtliche Theater und ein frühkindliches Förderprogramm in Kitas.

Was hat er bei alledem gelernt? Dürr ist im angehängten Salonwagen der Reichsbahn gefahren, da war die Bahn noch der größte Grundbesitzer Berlins. Dürr begriff, dass er flexibler werden, generell großzügiger an Dinge herangehen musste. „Das machen wir hier nicht“, konnte er nicht sagen, wie er es in Stuttgart gesagt hätte.

Als nach der Wende der Bahntransport im Osten zusammenbrach, weil die Güter jetzt mit Lkws bewegt wurden, hatte er Loks übrig für den Westen. Aber die sturen Lokführer in Karlsruhe wollten mit den „kommunistischen Loks“ nicht fahren. „Schaut mal“, sagte er, „die Führerstände haben ein eigenes Waschbecken, das ist ja viel fortschrittlicher!“ Da stiegen sie auf.

Neugierig auf den Rest? Der Text erscheint am 25. März 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin. Nachzulesen ist er auch im Online-Kiosk Blendle.

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