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Für einen verletzten Reiher, der kürzlich am Kleinmachnower See gefunden wurde, fühlte sich niemand zuständig.

© Ralf Hirschberger/dpa

Berliner Spaziergänger ratlos: Wenn Tiere verletzt sind und sich niemand zuständig fühlt

Verletzten Wildtieren zu helfen, ist nicht einfach, denn die Einrichtungen erhalten zu wenig Unterstützung und Geld. Das zeigt auch der Fall eines Graureihers.

Von Sandra Dassler

Vielleicht waren es die Kälte oder der Hunger. Vielleicht hatte sich der Graureiher aber auch bei Kämpfen mit Artgenossen verletzt, zu denen es gerade im Februar oft kommt, wenn die Reiher ihre Nester bauen oder ausbessern. Jedenfalls konnte der laut Naturschutzgesetz besonders geschützte Vogel, den Spaziergänger kürzlich am Kleinmachnower See vor den Toren Berlins entdeckten, nicht mehr stehen, geschweige denn fliegen.

Da sich nicht angeleinte Hunde auf das Tier stürzten, wollten die Spaziergänger dem Graureiher helfen, doch das erwies sich als gar nicht so einfach: Die Polizei erklärte sich als nicht zuständig und verwies auf die Feuerwehr. Die Feuerwehr erklärte sich als nicht zuständig und verwies auf die Polizei. Das Ordnungsamt erklärte sich als nicht zuständig und verwies auf – na klar: die Feuerwehr oder die Polizei.

Die ehrenamtliche Tierrettung war ständig besetzt und beim Tierheim in Berlin meldete sich nur der Anrufbeantworter. Als die Spaziergänger endlich einen Teltower Tierarzt am Telefon hatten, erklärt der ihnen, dass er nicht helfen dürfe.

Wahrscheinlich hatte er sich vorher von einem Juristen beraten lassen – denn rein rechtlich gesehen wird die Hilfe für einen verletzten Reiher noch komplizierter, wie ein Sprecher des dafür zuständigen brandenburgischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz auf Anfrage des Tagesspiegels mitteilte.

Rein rechtlich handelt es sich bei einem Wildvogel nämlich um ein herrenloses Tier, das im Fall des Graureihers sowohl dem Naturschutz- als auch dem Jagdrecht unterliegt. Laut Bundesnaturschutzgesetz Paragraf 45 kann der Finder „vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften... verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufnehmen, um sie gesund zu pflegen.“

Leider unterliegt ein Graureiher gemäß Paragraf 2, Absatz 1 Bundesjagdgesetz aber auch dem Jagdrecht. Deshalb darf er eigentlich nur in Abstimmung mit dem sogenannten Jagdausübungsberechtigten, in dessen Jagdbezirk er gefunden wurde, in Obhut genommen werden.

Hilfe könnte als Wilderei gewertet werden

Im konkreten Fall wäre laut Ministerium also folgendes Verhalten korrekt: Die Spaziergänger müssten ihren „Fund“ an die zuständige Polizeidienststelle melden oder den Jagdausübungsberechtigten ermitteln. Der muss sein Einverständnis zur Hilfe für den Reiher geben. Ansonsten könnte dies als Wilderei gewertet werden.

Danach darf der verletzte Vogel endlich zu einem Tierarzt oder zu einer Wildvogelaufnahmestation gebracht werden. Letztere ist aber nicht zur Aufnahme verpflichtet und die Kosten für eine Behandlung beim Tierarzt muss laut Ministerium in der Regel die Person tragen, die das Tier an sich genommen hat.

Das gute Wetter zieht die Menschen raus ins Freie. Immer wieder finden Spaziergänger dabei verletzte Tiere.
Das gute Wetter zieht die Menschen raus ins Freie. Immer wieder finden Spaziergänger dabei verletzte Tiere.

© Kira Hofmann/dpa

Angesichts dieser verwirrenden Situation, ist es fast ein Wunder, dass überhaupt noch Menschen verletzten Tieren helfen. Aber sie tun es in Corona-Zeiten sogar mehr als je zuvor, sagt Hanna Schwoerer. Sie ist Vorstandsmitglied bei der Tierrettung Potsdam und kennt die schwierige Problematik nur zu gut: „Nicht zuletzt deshalb wurde ja unser Verein gegründet“, sagt sie. Allerdings bestehe er fast nur aus Ehrenamtlichen und finanziere sich aus Spenden. Deshalb könne es wie im Fall des Graureihers schon vorkommen, dass nicht sofort jemand bei der Tierrettung telefonisch erreichbar sei.

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In solchen Fällen empfiehlt sie, per Mail oder Whatsapp Kontakt aufzunehmen. „Das sehen wir sofort, auch wenn wir gerade in unserem Hauptberuf arbeiten“, sagt sie. „Und dann können wir vielleicht einen Helfer aktivieren oder eine Aufnahmemöglichkeit in der Nähe empfehlen.“

Tiere sollen in der Klinik in Düppel behandelt werden

Auch beim Naturschutzbund (Nabu) in Berlin und Brandenburg gehen täglich Anrufe von Bürgern ein, die verletzte Vögel oder andere Tiere gefunden haben. „Wir verweisen dann zumeist an die Tierrettung, die eigentlich zuverlässig hilft“, sagt Heidrun Schöning von der Nabu-Geschäftsstelle in Potsdam: „Um eine schnelle medizinische Versorgung zu gewährleisten, ist es notwendig, verletzte Wildvögel direkt in die Kleintierklinik nach Berlin-Düppel im Oertzenweg 19B zu bringen.“

Genau das haben die Spaziergänger am Kleinmachnower See am Ende auch getan. Ein beherztes Ehepaar holte einen großen Karton und fuhr den Graureiher nach Düppel.

Dort muss man sich nicht vorher anmelden und auch nichts bezahlen. Nach Abschluss der medizinischen Behandlung werden die Wildvögel, die noch weitere Pflege benötigen, an die Wildvogelstation Berlin übergeben. Auch da ist die Auslastung allerdings sehr groß, deshalb hat die Tierrettung Potsdam inzwischen ein eigenes kleines Tierheim eröffnet. Hier arbeitete die bislang einzige hauptamtlich Beschäftigte des Vereins – eine Tierpflegerin.

Hotline für Tierretter in der Region ausgebaut

Weil die Anrufe von Menschen die Tieren helfen wollen, aber immer weiter zunehmen (im letzten Jahr waren es erstmals mehr als 1000 pro Monat), gibt es ab März eine zweite Hauptamtliche: Sie versucht, werktags von 9 bis 17 Uhr unter der Notfall-Nummer 0151 / 70 121 202 möglichst vielen Ratsuchenden zu helfen. „Ich hoffe, wir können das auch eine Weile lang bezahlen“, sagt Hanna Schwoerer und wünscht sich – wie alle an der Tierrettung Beteiligten – mehr finanzielle Unterstützung durch die Länder Brandenburg und Berlin.

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Bei größeren Tieren in Not würden ja tatsächlich auch oft Polizei und Feuerwehr helfen, mit denen man gute Erfahrungen gemacht habe. Jetzt gehe aber das Frühjahr los und die Brutzeit, sagt Hanna Schwoerer: „Schon bald werden wir wieder jede Menge kleine Vögel haben, die aus irgendeinem Grund von den Eltern nicht mehr versorgt werden und an denen die meisten Menschen, was ja gut ist, nicht achtlos vorbei gehen können.“

Dem Graureiher vom Kleinmachnower See konnte übrigens nicht mehr geholfen werden, wie Kerstin Müller, Oberärztin in der Tierklinik Düppel, erzählt. „Das Tier war sehr geschwächt, bekam zwar eine Infusion, eine Antibiose und Schmerzmittel, überlebte die Nacht aber dennoch nicht.“

Auskünfte über das Befinden abgegebener Tiere erteile die Klinik nur in Ausnahmefällen, sagte die Oberärztin und wirbt um Verständnis: „Wir würden das gar nicht schaffen. Kompetente Auskunft können nur die Ärzte geben und die sind mit der Versorgung von Tieren beschäftigt.“

Tierklinik beklagt ebenfalls Personalmangel

Auch in der Klinik Düppel fehle es an Personal und an finanziellen Mitteln. Deshalb will die Tierklinik sich jetzt auch schriftlich an die Landesregierung in Brandenburg wenden, die im Gegensatz zum Berliner Senat nur sehr wenig Geld zuschieße. „Im Jahr 2020 hat Brandenburg beispielsweise lediglich für die Versorgung von 40 Tieren gezahlt“, sagt Kerstin Müller. „Vorgestellt wurden uns aber zehnmal so viel, nämlich knapp 400 Wildtiere aller Art.“

In den Jahren zuvor war es ähnlich, deshalb hatten die Verantwortlichen der Tierklinik bereits im März 2020 sowohl das Landwirtschafts- als auch das Verbraucherschutzministerium angeschrieben. Eine Antwort erhielten sie nie. Auf Anfrage erfuhr der Tagesspiegel, dass das Landwirtschaftsministerium, beziehungsweise das Landesumweltamt, zuständig ist. Dort begründet man die mangelnde finanzielle Zuwendung damit, dass es im Land kleinere Auffang- und Pflegestationen für wildlebende Tiere gebe.

Nach Düppel bringe man nur einzelne Exemplare besonders gefährdeter Arten, sagt ein Sprecher: „Aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades und des sehr guten Renommees der Klinik werden aber auch von besorgten Brandenburgern verletzte Wildtiere, darunter viele Eichhörnchen, direkt in die Klinik gebracht, was dort zu Engpässen führt.“ Ob man in Potsdam deshalb zu mehr finanzieller Hilfe bereit ist, wird sich zeigen. Tierärztin Kerstin Müller hofft es jedenfalls sehr: „Es ist zwar traurig, aber wir werden sonst keine Tiere aus Brandenburg mehr aufnehmen können.“

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