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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Abgeordnetenhaus.

© dpa

Berliner SPD: Für Michael Müller braut sich was zusammen

Björn Böhnings Appell an die SPD ist keine Verschwörung. Vielmehr beginnt der SPD-Landesverband, sich mangels starker Führung selbst zu organisieren. Ein Kommentar.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner müssen endlich erfahren, wohin die SPD mit der Stadt will. Die Partei, die in der Hauptstadt mit Linken und Grünen regiert, muss sich den Konflikten stellen, klare Position beziehen und die großen Probleme der Metropole lösen. Stattdessen verlieren sich die Sozialdemokraten in blumigen Worthülsen und im Kleinklein einer tristen Verwaltungslogik. Die SPD muss liefern – ein echter Neuanfang ist nötig.

Dies alles steht wortgetreu in einem Aufruf, den nicht mäkelnde Journalisten oder böswillige Oppositionspolitiker, sondern Berliner Genossen über Pfingsten in die Welt gesetzt haben. Funktionäre vom linken, aber auch vom rechten Flügel der Partei. Die Autoren des Papiers schoben via Twitter erklärend nach, dass sie sich Sorgen um die Berliner SPD machen und dass es natürlich nur um die Sache gehe. Aber solange Politik noch von Menschen gemacht wird, lohnt sich ein Blick auf die Urheber und Adressaten des offenen Briefs, der nun im Kummerkasten der Berliner SPD-Zentrale liegt.

Initiator des flammenden Appells „Aufstehen, aufwachen, besser machen“ ist nämlich der ehemalige Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning. Seit frühen Juso-Zeiten ein enger Vertrauter der neuen Parteichefin Andrea Nahles und seit zwei Monaten Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Er galt, solange er im Roten Rathaus saß, als loyaler Helfer des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller. Angeblich steht er immer noch treu zum SPD-Landeschef. Doch es spricht viel dafür, dass sich Böhning mit dem sorgfältig vorbereiteten Papier an die Spitze einer innerparteilichen Bewegung setzt, die bis zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 eine Erneuerung der SPD anstrebt.

Dann voraussichtlich ohne Müller. Es braut sich was zusammen.

Es spricht auch einiges dafür, dass die Parteispitze im Bund, mit der Böhning eng verbandelt ist, mit dem Genossen Regierender Bürgermeister wenig einverstanden ist. Der Alleingang für ein solidarisches Grundeinkommen, die Mäkelei am Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der nicht abgestimmte Vorschlag, Martin Schulz wieder nach Europa zu schicken – wenn Müller gedacht haben sollte, er könne im Schnellkurs und an der Parteiführung vorbei bundespolitisches Profil gewinnen, dann lag er falsch.

Ein lauter Warnruf der jüngeren SPD-Generation

Trotzdem wäre es zu viel der Ehre, dem gut vernetzten Strategen Böhning eine Verschwörung im Auftrag der SPD-Führung anzulasten. Das Pfingst-Papier ist ein lauter Warnruf der jüngeren SPD-Generation, die persönlich und politisch noch etwas vorhat, der aber die eigene Partei gerade wegschrumpft. Nicht nur in Berlin. Es sind Genossen, die etwas zu verlieren haben und denen es davor graut, in Bund und Land bald nur noch Oppositionspolitik machen zu können. Es ist kein Zufall, dass der Appell wenige Tage nach neuen Umfragen veröffentlicht wurde, die die Sozialdemokraten im Bund und in Berlin bei 17 Prozent sehen.

Die Themen, die im Papier angesprochen werden, sind wahrhaftig nicht neu: Wohnungsbau und Mieten, Bildung, Entlastung der Mittelschicht und der Kampf gegen Verrohung und Verwahrlosung in einer Millionenstadt. Es werden auch keine Patentrezepte angeboten, um die Probleme zu lösen. Die neue Qualität des Online-Appells liegt darin, dass der SPD-Landesverband beginnt, sich mangels starker Führung selbst zu organisieren. Wie lange ein Parteichef, der einer innerparteilichen Basisdemokratie offenbar nicht viel entgegenzusetzen hat, dies durchhält, ist schwer absehbar. Momentan reagiert Müller, wie so oft in schwierigen Situationen – sprachlos.

In zwei Wochen wird auf einem SPD-Landesparteitag der Vorstand neu gewählt. Revolutionäre Umstürze sind nicht vorgesehen, Parteichef Müller wird im Amt bestätigt. Aber die Sozialdemokraten können es sich nicht erlauben, so zu tun als wenn nichts wär. Die Berliner SPD wird sich wenigstens ehrlich machen müssen. Viel zu verlieren hat sie nicht mehr.

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