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Sawsan Chebli, 39, ist „Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“. Michael Müller holte sie ins Rote Rathaus, vorher war sie stellvertretende Sprecherin im Auswärtigen Amt.

© imago/Jens Jeske

Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli: "Berlin nimmt heute stärker Haltung ein"

Abbiegeassistenten für LKW, soziale Wohnraumförderung, Familiennachzug für Flüchtlinge: Im Bundesrat geht es um wichtige Themen. Staatssekretärin Sawasan Chebli über die Strategie des Senats.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Frau Chebli, das Land Berlin hat sich seit Anfang der Wahlperiode an 34 Bundesratsinitiativen beteiligt, etwa die Hälfte wurde von Berlin angestoßen. Hat sich der Senat besonders viel Mühe gegeben, weil der Regierende Bürgermeister Michael Müller seit November Bundesratspräsident ist?

Natürlich nutzen wir die Bundesratsratspräsidentschaft auch, um als Hauptstadt bundespolitische Initiativen für den gesellschaftlichen Ausgleich und Zusammenhalt zu ergreifen – so wie wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ein wichtiger Aufschlag ist der viel beachtete Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters für ein solidarisches Grundeinkommen. Uns ist es klar gelungen, unser Profil im Bund zu schärfen. Berlin ist heute sichtbarer, und unsere Stimme wird gehört.

Welche Initiativen waren für Berlin besonders wichtig?

Ein großer Erfolg war die Neuregelung der Liegenschaftspolitik des Bundes. Diese Initiative ging von Berlin aus. Wir wollten nicht mehr akzeptieren, dass Bundesgrundstücke zu horrenden Preisen vorrangig an Private verkauft werden und Länder und Kommunen das Nachsehen haben. Der Bund soll Kommunen die Immobilien für die soziale Wohnraumförderung kostengünstig zur Verfügung stellen.

Damit ist der Regierende Bürgermeister in die Bundesratspräsidentschaft gestartet. Und er konnte es später in den Koalitionsverhandlungen im Bund reinverhandeln. Im Bundesrat war der Widerstand zunächst groß, eine Mehrheit nicht absehbar. Durch viele Gespräche hinter den Kulissen ist es uns gelungen, auch Länder mit Unions- und FDP-Beteiligung zu überzeugen. Es ist immer ein Ringen mit diesen Initiativen, oft auch ein Geben und Nehmen.

Haben Sie noch andere Erfolgsmeldungen?

Berlin hat den Startschuss für eine Entschließung im Bundesrat zu den sogenannten Abbiegeassistenzsystemen bei LKWs gegeben. Vor dem Hintergrund der schrecklichen Todesfälle von Radfahrern auch in Berlin ist es dringend geboten, dass die Politik reagiert. Eine große Mehrheit in der Länderkammer hat unsere Forderung mitgetragen. Erfolgreich waren wir mit unserer Initiative zur Verbesserung der Pflege in Krankenhäusern und stationären Einrichtungen durch einen Mindestschlüssel für das Personal.

Trotz dieser Beispiele: Eine hohe Erfolgsquote ist das nicht, angesichts der vielen Berliner Bundesratsinitiativen.

Bundesratsinitiativen startet man nicht nur dann, wenn der Erfolg sicher scheint. Bundesratsinitiativen werden ernst- und wahrgenommen; sie setzen Signale, sie erzeugen Aufmerksamkeit und erhöhen damit den Handlungsdruck.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Antrag von Berlin und Brandenburg zur Hardware-Nachrüstung. Dafür gab es am Freitag in der Bundesratssitzung keine Mehrheit, aber wir halten damit den politischen Druck aufrecht, endlich zu einer Lösung zu kommen, auch um Fahrverbote zu vermeiden. Michael Müller mahnt das zurecht seit Beginn der „Dieselaffäre“ an.

Sind Anträge, die chancenlos sind, der richtige Weg? Es könnte dazu führen, dass Berlin nicht mehr ernst genommen wird.

Wir wollen wichtige Themen setzen und Debatten anstoßen wie mit der Initiative für mehr Bafög für Studierende, gegen die die Unionsländer gestimmt haben, obwohl dies sachlich nicht plausibel war. Wir stellen nicht fest, dass unsere Glaubwürdigkeit durch unser Engagement im Bund leidet. Im Gegenteil: Unsere Stimme wird stärker wahrgenommen.

Gibt es Bundesländer, die für Berlin ein zuverlässiger Bündnispartner sind?

Natürlich sind die SPD-geführten Länder oder jene mit SPD-Beteiligung oft unsere Verbündeten im Bund, aber halt nicht immer. Die Gemengelage ist komplex. Wir haben im Bundesrat 13 verschiedene politische Regierungskonstellationen. Das alte A/B-Schema mit SPD- und CDU-geführten Ländern funktioniert nicht mehr.

Bei jeder Initiative muss man sich neue Unterstützer suchen, mit jedem Land einzeln verhandeln. Das führt manchmal zu ungewöhnlichen Bündnissen. Auf einmal macht ein Bundesland mit, obwohl es politisch mit Rot-Rot-Grün nicht viel am Hut hat. Aber wenn sich die Interessen decken, geht auch das.

Wie verhält sich Berlin zu Initiativen anderer Länder?

Natürlich stehen die Interessen Berlins im Vordergrund. Aber es spielen auch übergeordnete Prinzipien eine Rolle, wenn es zum Beispiel um Europa oder die Solidarität mit den ostdeutschen Ländern geht. Auf jeden Fall sind wir weg von den häufigen Enthaltungen der letzten Legislaturperiode, weil wir uns nicht mit der CDU einigen konnten.

Berlin nimmt heute stärker Haltung ein. Etwa beim Familiennachzugs-Gesetz, bei dem es kritische Empfehlungen der Fachausschüsse zur Position der Großen Koalition im Bund gab. Da war Berlin das einzige Land im Bundesrat, das kritischen Empfehlungen zugestimmt hat. Wir waren uns einig, dass wir uns am rot-rot-grünen Koalitionsvertrag orientieren.

Oft sind es Brandenburg, Thüringen oder die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, die mit Berlin Bundesratsinitiativen auf den Weg bringen. Liegt das daran, dass solche Länder Rot-Rot-Grün näherstehen als andere?

Solche Anträge sind auch ein Signal für linke, rot-grüne oder rot-rot-grüne Positionen. Initiativen mit schwarz geführten Ländern sind eher selten. Aber um im Bundesrat für eine Initiative Mehrheiten zu finden, muss man sich in allen Lagern umsehen.

Die jüngste Bundesratsinitiative Berlins befasst sich mit der Modernisierung des Mietrechts. Welche Erfolgschancen messen Sie der Initiative zu?

Das Thema Mieten spielt in Städten eine große Rolle. Viele können sich ihre Wohnung nach einer Modernisierung nicht mehr leisten und müssen ihren vertrauten Kiez verlassen. Da müssen wir handeln. Das sieht auch die Bundesregierung so. Aber wir brauchen mehr. Der Koalitionsvertrag war der kleinstmögliche Kompromiss mit der Union, die bei diesem Thema komplett konträre Positionen hat.

Deshalb wollen wir bei der Modernisierungsumlage weitergehen und die Mietpreisbremse entfristen. Auch wenn die Bundesratsinitiative nicht erfolgreich wird, wollen wir mit Brandenburg den Druck auf den Bund erhöhen und die Debatte über das soziale Mietrecht weiterführen.

Wie funktioniert das Zusammenspiel der drei Regierungsparteien bei der Vorbereitung von Bundesratsinitiativen?

Die Zusammenarbeit mit Grünen und Linken, also mit den Staatssekretären Christian Rickerts und Gerry Woop, ist konstruktiv und angenehm. Natürlich sind wir drei Parteien mit teils unterschiedlichen politischen Ansätzen. Aber auch hier gelingt uns inzwischen eigentlich fast immer, eine gemeinsame Position zu finden. Das ist gut.

Welche Bundesratsinitiativen stehen in nächster Zeit an?

Im September wollen wir eine Bundesratsinitiative für einen Verlängerungsanspruch von Gewerbemieten um zehn Jahre einbringen. Hier stehen wir nicht allein. Auch andere Länder sehen die Befristung der Mieten für kleine Gewerbe und soziale Einrichtungen als Problem an.

Und wir werden die Diskussion um das solidarische Grundeinkommen jenseits der Bundesratspräsidentschaft weiterführen. Michael Müller hat hier eine für die Zukunft unserer Arbeitsgesellschaft wichtige Debatte um eine neue soziale Agenda angestoßen. Diesen Vorstoß kann keiner mehr ignorieren.

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