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Kräne in Berlin unter blauem Himmel.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Stadtentwicklung: Ballett der Kräne - die Wiederaufführung

Höhere Bauten, mächtige Kräne: Sie drehen sich über den Dächern der Stadt und sind so viele wie seit Jahren nicht mehr. Ein Baustellenbesuch – mit Blick nach oben.

Es war ein großes Spektakel mitten in Berlin: Weltberühmter Dirigent schwingt den Taktstock, schon erklingt Beethovens „Neunte“, und dazu drehen sich auf Geheiß von Daniel Barenboim 19 Portaldrehkräne.

Mit diesem „Ballett der Kräne“ wurde vor 16 Jahren, am 28. Oktober 1996, das Richtfest für die ersten beiden großen Gebäude am Potsdamer Platz gefeiert. Der Platz ist längst fertig, Renzo Pianos Hochhaus, über dem damals die Richtkrone hing, wirkt fast schon wie ein Oldtimer, überragt vom Kollhoff-Haus aus rötlichen Klinkersteinen und vom gläsernen Bahn-Tower.

Und die Kräne? Ein paar Jahre lagen nicht wenige von ihnen in Bauhütten und Depots. Manch eine Brache wartete geradezu darauf, umgebuddelt und mit schwerem Baugerät vollgestellt zu werden. Und jetzt sind sie alle wieder da, verteilt über die ganze Stadt.

Das große Ballett von 1996 hat viele Ableger. Sie tanzen nicht im Barenboim-Takt, aber sie drehen sich – es ist ein Bild des andauernden Aufbaus einer Stadt, die nie genug haben kann von Aufbruch, von Hoch- und Tiefbau, manchmal bis zum kollektiven Ärgernis aller Betroffenen, die Umwege fahren oder die sich durch provisorische Fußwege an Holzwänden entlangquetschen müssen.

Den Kränen ist das egal. Den Bauherren auch. Sie sind auf das Neue scharf, und ohne Kräne bleiben alle Pläne Papier. Wo sich Kräne drehen, bahnt sich etwas an. Wer in einer Kanzel sitzt, seinen Turmdrehkran dirigiert, zwischen Himmel, Baugrube und schwarzen Krähen, hat den besten Überblick. Ohne ihn kein neues Gebäude. Kranführer sind gefragte Leute.

„In diesem Jahr ganz besonders“, sagt Bernd Soost, der die Berliner Niederlassung der ehrwürdigen, 1854 gegründeten Kranbaufirma Wolff aus Heilbronn leitet. In Berlin wird so viel gebaut, dass auch noch im November und Dezember gegen alle Erfahrung die Nachfrage nach Kränen ungebrochen ist. Produktmanager Gerd Tiedtke hält eine kleine Lektion in Kranologie: In den letzten Jahren verstärkt sich die Tendenz zu höheren Bauten, die Kräne werden größer und leistungsfähiger, können ihre Last bis auf über hundert Meter bringen oder wachsen mit den Gebäuden in die Höhe. Der Krankunde sucht sich sein Modell aus, Wolffs Leute montieren den Kran, der Mietpreis beträgt im Durchschnitt 10 000 bis 15 000 Euro monatlich, „je nachdem, ob ich nun den Polo oder einen 320er Mercedes miete“. Wolffs Kräne drehen sich überall, im Osten wie im Westen, am Hauptbahnhof beim neuen „Steigenberger“, in Charlottenburg und Steglitz, aber im Sechstett demnächst auch an der Arena am Ostbahnhof.

Wenn wir uns dem Brandenburger Tor von Westen nähern, dann bilden die Durchfahrten einen Rahmen für die gelben Kräne der City Ost: Sie stehen an der Staatsbibliothek – wie lange eigentlich noch? – und an der Staatsoper, am Marx-Engels-Forum und bald auch am Schlossplatz. Acht Portaldrehkräne wachsen aus dem Wertheim-Gelände am Leipziger Platz, wo ein gewaltiges Einkaufszentrum entsteht, und wer mit der S-Bahn nach Spandau fährt und aus dem Fenster guckt, der blickt in die Baugrube fürs neue Innenministerium: Das kleine Fachwerkhaus mit dem Restaurant „Paris-Moskau“ droht in die Tiefe zu stürzen, aber sechs Kräne stehen hier wacker und aufrecht im märkischen Sand. Die Partys am Bundespressestrand sind fünf Kränen für einen Ministeriumsneubau gewichen, in der Luisenstraße ziehen sie gerade einen teuren Anbau für die Bundestagsbibliothek hoch – Kräne, wohin man blickt. Auch neben dem Fernsehturm, wo das Wohn- und Geschäftshaus „Alea“ aus dem Boden wächst.

Nur an der Megabaustelle für den Bundesnachrichtendienst in der Chausseestraße haben die Kräne ihr Werk getan und sind verschwunden: Der Neubau für 4000 Geheimdienstler kostet jetzt schon fast eine Milliarde Euro, kilometerlange Lüftungsschächte mussten wegen Baupfuschs erneuert werden. Ein Skandal, den der Steuerzahler finanzieren darf. Ihm wird nicht einmal ein Blick auf die Betonklötze gegönnt. Alles geheim.

Da ist die BVG ganz anders. An ihrer U-Bahn-Großbaustelle Unter den Linden fordert sie die Leute zur Baubetrachtung auf: „Kiek ma hier!“ ist die Devise. Man sieht eine ganz andere Art von Kränen, Verwandtschaft sozusagen, halb so groß wie die Portalturmdrehkräne, mit Auslegern und riesigen Fäusten als Greifer, die sich ins Erdreich fressen. Sie stehen an der Kreuzung Linden/Friedrichstraße, aber auch am Schlossplatz. Es sind Raupenseilbagger, die den Rohbau der Untergrundbahn zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz und die notwendigen Schlitzwände vorbereiten. Später werden auch sie durch große Kräne ersetzt.

Das Ballett dreht sich weiter, ohne Barenboim und Beethoven, aber sehr schnell.

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