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Der Verkaufsstand fürs erste Zitty.

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Berliner Stadtmagazine: Tip und Zitty feiern Jubiläum

Einst war es eine Glaubensfrage: „Zitty“ oder „Tip“? Beide Stadtmagazine feiern Jubiläum. Eine Ausstellung erzählt ihre Geschichten.

Beatles oder Stones? Glaubensfrage, Geschmackssache. Aber die West-Berliner des ausgehenden 20. Jahrhunderts hatten noch eine andere wichtige Entscheidung zu treffen: „Tip“ oder „Zitty“? Die eine bunt und Sprachrohr der Off-Kultur, die andere griesegrau und linksökopolitisch, das waren die unüberbrückbaren Gegensätze. Doch 2017 sieht die Sache anders aus: Nach mehreren Umbauten und Verkäufen sind „Tip“ und „Zitty“ längst Geschwister und können deshalb jetzt auch gemeinsam mit einer Ausstellung Jubiläum feiern: „Tip“ 45, „Zitty“ 40 Jahre.

Womit auch klargestellt wäre, dass beide Stadtmagazine keineswegs irgendwie gleich alt sind, wie jüngere Leser das oft mutmaßen. Die Geschichte der Blätter führt uns in die wilden Siebziger zurück – und zumindest auf ein gemeinsames Vorbild, das Londoner „Time Out“, über das 1972 gleich zwei Berliner stolperten, Per-Jörg Meschkat und Klaus Stemmler. Der eine war schneller und verteilte in den Kneipen fortan gratis die hektografierte „Kreuzberger Nachtlaterne“.

Der andere gründete den „Tip“, etwas professioneller anzusehen und 50 Pfennig wert, die erste Ausgabe mit einem Hitchcock-Bild auf dem Titel – gerade wurde in den Off-Kinos die Ausgrabung von „The Lady Vanishes“ gefeiert. Meschkat ließ das nicht auf sich sitzen, machte aus der Laterne den „Hobo“, und beide Verleger teilten sich fortan die Stadt auf, kamen alle 14 Tage im Wechsel mit der neuen Ausgabe auf den Markt.

Erstes „Zitty“-Cover mit Themen wie „Liebe und Rollstuhl“, „Altbaubonze Kaußen“ und „Japanische Kampfwaffen“
Erstes „Zitty“-Cover mit Themen wie „Liebe und Rollstuhl“, „Altbaubonze Kaußen“ und „Japanische Kampfwaffen“

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Das Blatt ohne Verleger

Damit war die Grundstruktur der ewigen Gegnerschaft geschaffen, aber es fehlte noch die „Zitty“. Die entstand erst, als Meschkat 1977 beschloss, seine Leute mit einer Stechuhr zu drangsalieren, dem Top-Symbol für entfremdete Arbeit, wie man damals sagte. Sie streikten, er warf sie raus, und diese 13 gründeten nun umgehend ihr Herzensprojekt, das „Blatt ohne Verleger“ namens „Zitty“. Am 23. März 1977 erschien es zum ersten Mal, mit einem bunten Gummibärchen-Titel, der das graue Recyclingpapier im Inneren umhüllte; der verlassene „Hobo“ entschlief nur wenig später.

Damit war alles klar auf Jahrzehnte: An einem Mittwoch kam der bunte „Tip“, am anderen die graue „Zitty“. Jeder, der den Überblick über die boomende Off-Kultur der Halbstadt behalten wollte, musste mit bei diesem Rhythmus, denn beide Blätter spiegelten diese Szene in ihren immer weiter anschwellenden Terminregistern. Und der Anzeigenmarkt bescherte vor allem dem „Tip“ immer mächtigere Umfänge: Um 1980 waren es manchmal 300 Seiten bei einer Auflage von 100.000; beide Zahlen erreichte die „Zitty“ nur etwa zu zwei Dritteln. Das lag sicher auch daran, dass der „Tip“ mit der aufgeschlossenen Kulturelite die interessantere Werbe-Zielgruppe bediente, während die „Zitty“ zum Sprachrohr der Bürgerinitiativen wurde, die sich überall und zu jedem Anlass bildeten.

Das erste Tip-Cover mit Hitchcock
Das erste Tip-Cover mit Hitchcock

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Linke Linientreue war kein Thema

Allerdings überschnitten sich die Lesergruppen doch beträchtlich, und es handelte sich um aktive, kritische Leser, die ihre Auffassungen den Redakteuren auch ohne Internet nahezubringen verstanden. 1983 stürmten erboste Frauen die „Zitty“-Redaktion, griffen sich den Vizechef Rainer Bieling und sprühten ihn mit Farbe ein – sogar aufs nackt ausgezogene Gemächt, wie manche Quellen behaupten. Der Grund: Das Blatt war mit einer hübschen, bunt angepinselten Nackten auf dem Titel erschienen.

Ein Jahr später traf der feministische Zorn den „Tip“, dessen Chefredakteur Werner Mathes in einer Filmkritik Margarethe von Trottas Gattenmörder-Schnulze „Heller Wahn“ versenkt hatte. Ein aufgebrachtes Rollkommando verwüstete das Treppenhaus. Zur Begründung hieß es hinterher durchaus schmeichelhaft, der „Tip“ sei doch in Sachen Film ein „Pilot-Blatt“ und deshalb zu besonderer Sensibilität verpflichtet.

Doch linke Linientreue war in beiden Blättern kein Thema. Der „Tip“ driftete in Richtung Literatur und schmückte sich mit Autoren wie Jörg Fauser und Matthias Matussek, während die „Zitty“ das freie Denken erprobte, sich über Hausbesetzer-Patenschaften der linken Schickeria und deren Revolutionstourismus nach Nicaragua lustig machte und die radikale Szene schon im ersten Jahr mit einem Essay gegen den RAF-Terror erboste. Ein zäh haftender Kult rankte sich um die „Berliner Verallgemeinerte“, eine Satire- Doppelseite im Stil der verblichenen „Pardon“, die noch aus dem „Hobo“ überkommen war. Erst 2013 gelang die hart umkämpfte Abschaffung.

Zitty-Cover zum Mauerfall
Zitty-Cover zum Mauerfall

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Tip umwirbt Singles, Zitty Depressive

Aber bis dahin war es noch eine Weile. Der „Tip“ löste sich langsam von der Fokussierung auf die Off-Kultur, bedachte den jeweiligen Berlinale- Chef, egal wen, mit boshaften Sottisen, legte ein Berlinale-Magazin auf. Er schaute aber auch mal auf die Ost-Berliner Bühnen und begleitete Heiner Müller auf einen Regie-Ausflug nach Bochum, von dem ein Mini-Interview noch heute luzide strahlt: „Kann man in Bochum arbeiten? Ja. Kann man in Bochum leben? Nein. Wie kann man da arbeiten, ohne zu leben? So was geht nur im Theater.“ 1988 ließ die Redaktion den schon vom Tod gezeichneten Wolfgang Neuss auf die „Drei Tornados“ los und dokumentierte, wie er sie zuquasselte – Leckerbissen für Comedy-Gourmets.

Dann fiel die Mauer, und beide Blätter erlebten, was auch alle Zeitungen erlebten: viel zu optimistisch angesetzte Hoffnungen. Es ging mit beiden langsam bergab. Der „Tip“ profilierte sich mit seinen Kontaktanzeigen und Single-Feten wie „Fisch sucht Fahrrad“ als Beziehungshelfer, die „Zitty“ machte eine depressive Periode durch und nahm Auflagenkiller wie Künstler-Suizide, Gewalt an Schulen und neue Aspekte des Hirntods ins Blatt. Dem „Tip“ gelang 1999, schon nach dem Verkauf, ein Coup mit der Wahl der „100 peinlichsten Berliner“, die bis heute alljährlich wiederholt wird. Beiden Blättern wurde aber letztlich das Internet zum Verhängnis, das einerseits die Kleinanzeigen absaugte, andererseits die langen Strecken mit Kino- und anderen Kulturterminen überflüssig machte.

Dieses Cover aus dem Jahr 1994 könnte immer wieder aktuell sein.
Dieses Cover aus dem Jahr 1994 könnte immer wieder aktuell sein.

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Es kamen die Investoren: 1996 verkaufte Stemmler den „Tip“ an den Berliner Verlag, der seinerseits mehrmals den Besitzer wechselte. Die „Zitty“, bis dahin noch immer im Besitz von fünf der 13 Gründer, wurde 1999 an die Holtzbrinck-Gruppe verkauft und unter dem Tagesspiegel-Dach geführt. 2014 wanderte das Blatt zur Raufeld-Gruppe, die ein halbes Jahr zuvor schon den „Tip“ vom Berliner Verlag übernommen hatte: Beide waren erstmals in ihrer Geschichte friedlich vereint. Der erste verlegerische Schritt war die Umstellung der „Zitty“ auf wöchentliches Erscheinen. Ende 2015 gab Raufeld beide Blätter zu 75 Prozent an eine Investorengruppe ab, sie erscheinen nun in der „Go City Media GmbH“.

Auch unter gemeinsamer Führung blieben beide Zeitschriften aber im Großen und Ganzen, wo sie waren, der „Tip“ als Kulturmagazin mit lokalpolitischen Einsprengseln, die „Zitty“ eher umgekehrt. Mit verkleinerten Redaktionen werden überschaubare Ziele angestrebt, mit dem Internet verkämpfen will sich niemand mehr. Aber das mit den Beatles und Stones ist ja auch schon lange Geschichte.

Eine Ausstellung zur Geschichte beider Blätter läuft vom 1. bis 22. April in der Galerie Neurotitan, Rosenthaler Str. 39, Mitte

Ausstellungszeitraum: 1. bis 22. April 2017, Öffnungszeiten: Mo-Sa 12-20 Uhr

Eröffnung: Sa 1.4., 19 Uhr, mit einer Show von "Fil". Ab 22 Uhr Party im Eschschloraque Rümschrümp mit Berlin-Hits aus vier Jahrzehnten

Lesung mit tip-Kolumnistin Jackie A.: Galerie Neurotitan, Sa 8.4., 20 Uhr 

OL-Mitarbeiter-Show: Galerie Neurotitan, Sa 22.4., 19 Uhr 

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Matthias Kalle sei bis 2013 Chefredakteur von zitty gewesen. Er war dies jedoch nur bis Ende 2008.

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