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Beim Elektro-Praktikum des Unternehmensnetzwerks geht es darum, die Arbeitsprobe ins richtige Licht zu setzen. 

© Michael Königs

Berliner Unternehmensnetzwerk begeistert Schüler mit Ringpraktikum: Mit dem Gabelstapler in den Job

Ein Unternehmensnetzwerk in Mariendorf fördert Jugendliche und macht sich stark im Kampf gegen Rechts.

Kleine anderthalb Kilogramm schwere Gabelstapler aus pulverdampfbeschichteten Stahl können Schülern den Weg ins Berufsleben ebnen. Sie stehen im Mittelpunkt des „Ringpraktikums“, das das Unternehmensnetzwerk Großbeerenstraße in Mariendorf/Marienfelde entwickelt hat. 

Die Herstellung, die elektrische Ausstattung, Finanzierung, Verpackung, Präsentation und Kalkulation der Minifahrzeuge gehören zum Hauptprojekt. „Auch in einem Praktikum braucht man die reale Aufgabe, reale Materialien, realen Zeitdruck“, sagt René Mühlroth, beim Netzwerkvorstand zuständig für die Ausbildung. Die von den Jugendlichen produzierten Gabelstapler können als Notizzettelhalter genutzt werden. Sie werden später als Präsente an neue Netzwerkmitglieder vergeben.

Der Zusammenschluss von rund 60 Unternehmen will mit dem Praktikum junge Leute für die Betriebe interessieren und Lust auf die Berufe machen. Teilnehmen können Jungen und Mädchen, die sich für eine Ausbildung in einem Metall- oder Elektroberuf, in einem Druck- oder Mediengestaltungsbetrieb, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder im kaufmännischen Bereich interessieren. 

Drei Wochen dauert das Praktikum, das Berliner Schüler in der Regel in der neunten Klasse absolvieren; vorgeschaltet ist eine Arbeitsgemeinschaft mit zehn Terminen. Die Jugendlichen durchlaufen jeweils drei Betriebe, in denen sie mit den unterschiedlichen Arbeiten bekannt gemacht werden, die sie für die Projektaufgabe Gabelstapler brauchen. 

Anderthalb Kilo wiegt der kleine Gabelstapler aus pulverdampfbeschichtetem Stahl. Er dient als Halter für Notizzettelhalter und wird später von den Betrieben als Präsent verschenkt.
Anderthalb Kilo wiegt der kleine Gabelstapler aus pulverdampfbeschichtetem Stahl. Er dient als Halter für Notizzettelhalter und wird später von den Betrieben als Präsent verschenkt.

© Michael Königs

Wer das Praktikum im Metallbereich macht, kommt an die Drehbank, an die Fräsmaschine und lernt, Metall zu biegen. Die kaufmännisch Interessierten machen Erfahrungen mit Kalkulation, Einkauf, Rechnungen schreiben. Vorteil für die Jugendlichen: Sie erhalten Einblick in unterschiedliche Firmen. Die Unternehmen profitieren ebenso: Sie lernen mehrere Teilnehmer kennen. Beim drängenden Problem der Fachkräftesicherung ist es wichtig, sich frühzeitig nach Nachwuchs umzusehen.

Arbeit mit Partnerschulen und zur Integration

Das Ringpraktikum ist nur eine der vielen Initiativen, die das Netzwerk auf den Weg gebracht hat und dafür schon vielfach von Ministerien und Wirtschaftsverbänden ausgezeichnet wurde. Andere Projekte gelten der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt oder der Zusammenarbeit mit Partnerschulen. 

Sieben Arbeitskreise bringen die Arbeit des Netzwerks voran. Sie befassen sich neben den Ausbildungsfragen beispielsweise mit Standortmarketing, Informationstechnik oder der Interessenvertretung der Mitglieder. 

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Der Arbeitskreis Klimapositiv beispielsweise arbeitet derzeit daran, wie eine dezentrale, lokale Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge im Gewerbegebiet aufgebaut werden kann. Zusätzlich sollen mit öffentlichen Förder- und Investitionsmitteln auch E-Mobilitäts-Kooperationen entwickelt werden, beispielsweise um gemeinsame Carsharing-Flotten zu bilden.

Das Mariendorfer/Marienfelder Industriegebiet ist nach Moabit-West/Beusselstraße das zweitgrößte innerstädtische Gewerbegebiet in Berlin. Rund 300 Unternehmen mit 7000 Beschäftigten sind hier angesiedelt. Am nördlichen Ende sitzt das Aufzugsunternehmen Schindler, das rund 44 Millionen Euro in seinen Standort investiert, im Süden das Daimler-Werk. Die beiden großen Unternehmen gehören dem Netzwerk jedoch nicht an; in diesem haben sich vor allem mittelständische Firmen zusammengeschlossen. 

Während ihres Praktikums produzieren die Jugendlichen einen Mini-Gabelstapler und machen dabei erste Erfahrungen mit den Werkzeugen.
Während ihres Praktikums produzieren die Jugendlichen einen Mini-Gabelstapler und machen dabei erste Erfahrungen mit den Werkzeugen.

© Michael Königs

Ein Global Player ist aber dabei: Der weltweit aktive Internet-Versandhändler Amazon, der in Mariendorf in der Porschestraße seit gut zwei Jahren ein Auslieferungslager betreibt. Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gibt es zwei weitere große Netzwerke: eins an der südlichen Stadtgrenze für das Gewerbegebiet an der Motzener Straße in Lichtenrade/Marienfelde, das andere für das Areal am Südkreuz, das mit dem Euref-Campus und der sogenannten Schöneberger Linse durch die Ansiedlung großer Unternehmen gerade eine rasante Entwicklung nimmt.

Das Interesse an dem Netzwerk war zunächst klein

Der Anfang des Netzwerks an der Großbeerenstraße im Jahr 2008 verlief eher holprig. Der damalige Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) hatte gut 200.000 Euro Fördermittel zu vergeben und versuchte die Unternehmen zu überzeugen, sich zusammenzuschließen. Das Interesse war zunächst nicht groß. 

Zu dieser Zeit war Mühlroth, der selber studierter Physiker ist, gerade mit seinem Bildungsdienstleistungsunternehmen „TeachCom Edutainment“ von Spandau nach Mariendorf umgezogen. Er konnte der Idee etwas abgewinnen, gehört zu den Netzwerkgründern und ist dort seitdem ehrenamtlich aktiv. Mit seiner Firma hat er Räume bezogen in einem geschichtsträchtigen rotem Ziegelstein-Industriebau, auch das Netzwerk hat hier seinen Sitz. 

[Die Autorin Sigrid Kneist berichtet jeden Dienstag im Leute-Newsletter über Tempelhof-Schöneberg. Newsletter aus allen zwölf Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

An der Großbeerenstraße waren einst die Askania Werke beheimatet. Während des Zweiten Weltkriegs war das Optikunternehmen wichtiger Teil der Rüstungsindustrie und stellte in Mariendorf unter anderem Periskope für die U-Boote der Kriegsmarine her. Wie so viele deutsche Unternehmen beschäftigten auch die Askania Werke Zwangsarbeiter. Wenn Mühlroth aus dem Fenster blickt, schaut er auf eine alte Zwangsarbeiterbaracke. An die sieben Mitglieder einer Widerstandsgruppe im Werk, die aufgrund ihrer Aktionen ihr Leben verloren, erinnert eine Gedenktafel vor dem Gelände.

2013 bezog das Unternehmen Position gegen Rechts

Im Jahr 2013 marschierten Neonazis durch das Industriegebiet. Sie waren auf dem Weg zum südlich gelegenen, einstigen Notaufnahmelager Marienfelde, um dagegen zu protestieren, dass es als Übergangswohnheim für Flüchtlinge genutzt wurde. „Wir mussten damals Position beziehen“, sagt Mühlroth. 

Das Netzwerk reagierte mit der Gründung der Initiative „Netzwerk mit Courage: Gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung“. Zwei Mitgliedern sei das zu viel gewesen, sie traten aus; die anderen trugen die Entscheidung mit. 

Selbstverständlich ist ein solch offensives Engagement bei den Wirtschaftsnetzwerken der Stadt nicht. Für die Verantwortlichen an der Großbeerenstraße gehört es zum Prinzip der „Corporate Social Responsibility“, der unternehmerischen gesellschaftlichen Verantwortung. Das Eintreten gegen Rassismus und Intoleranz wird praktisch umgesetzt: dazu gehört, dass Auszubildende beim Karneval der Kulturen mitmachen, der in diesem Jahr allerdings ausgefallen war. Und das Netzwerk engagiert sich beim Übergangswohnheim und unterstützt die Flüchtlinge.

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