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© Doris Spiekermann-Klaas

Arbeit in Haft: Aus der Zelle in den Job

Die Gefängnisse bilden Häftlinge erfolgreich für das Berufsleben aus – und erwirtschaften Millionen.

Die Stecknadeln wirken winzig in der riesigen Pranke. Die Hand geht in einen Arm über, der so stark tätowiert ist, dass man kaum helle Haut sieht. Mit viel Sorgfalt steckt der Mann, zu dem die Hand gehört, die Nadeln in das Polster eines halb bezogenen Sessels. Sein voluminöser Bauch hängt über die Hose, das lange graue Haar hat er am Hinterkopf zusammengebunden, sein Vollbart wirkt struppig. Ein Popsong dudelt in den hellen, langen Raum hinein, in dem mehrere Männer arbeiten. Viele sind wie der Bärtige tätowiert. Andere tragen Ohrringe, die ein fingerkuppengroßes Loch ins Läppchen drücken. Eine Kettelmaschine surrt im Hintergrund. Dort säumt ein unauffälliger Braunhaariger einen blauen Stoff.

Es ist die Polsterwerkstatt der Justizvollzugsanstalt Tegel. 21 Gefangene beziehen hier Stühle, fertigen Matratzen an, nähen Gardinen. Jenes Sofa da drüben, bei dem gerade die Sitzfläche in Arbeit ist, stamme aus einer Feuerwache, sagt Polsterermeister Wolfgang Seckelmann. Auf den Ärmeln seines blauen Hemdes steht „Justiz“, am Gürtel hängen Schlüssel. Seckelmann arbeitet seit 14 Jahren mit den Gefangenen. Die mit hellem Stoff bezogenen Stühle da vorn seien für das Standesamt Schmargendorf, sagt er. Und die bunten Sitze dort hinten ein Auftrag von einem Privatkunden.

Wirtschaftsfaktor Gefängnis: Die Gefangenen in der Tegeler Polsterei nähten und tackerten 2007 im Wert von 350 000 Euro. 143 000 Euro sind tatsächliche Einnahmen aus privaten Aufträgen. Die restlichen Arbeiten wurden für das Land Berlin ausgeführt, das dadurch spart.

Für externe Aufträge fährt Seckelmann oder einer der beiden anderen Polsterermeister manchmal zu den Kunden, um Maß zu nehmen. Die haben meist viele Fragen: Machen die Häftlinge das auch richtig? Haben sie das Polstern gelernt? Einige schon, kann Seckelmann dann antworten. Denn in den meisten der 15 Handwerksbetriebe der JVA Tegel wird ausgebildet: Nicht nur zum „Polsterer in der Industrie“, sondern auch zum Mediendesigner, Offsetdrucker, Bauten- und Objektbeschichter, zum Zerspanungs- oder Konstruktionsmechaniker oder zum Holzmechaniker in der Tischlerei. Die liegt eine Etage unter der Polsterei. Und dort trifft man Oliver Schultze (Name geändert). Seine Arme sind mit einem akkuraten Muster aus Totenköpfen tätowiert. Der 22-Jährige trägt die Haare militärisch kurz und guckt finster. Fragen beantwortet er bereitwillig, aber reserviert: Ja, er mache seit eineinhalb Jahren eine Ausbildung zum Holzmechaniker, baue Schränke für Kitas und Schulen. 230 Euro verdiene er im Monat, von denen er vier Siebtel sparen müsse; drei Siebtel gebe er für Einkäufe, Telefon und die GEZ-Gebühr aus. Klingt, als hätte er es sich eingerichtet in Haft.

„Nur wer lange genug hier ist, kann eine Ausbildung machen“, hat Seckelmann in der Polsterei gesagt. „Ich bin Langstrafer“, erzählt Oliver Schultze, er ist mit 17 wegen Totschlags zu neun Jahren verurteilt worden und vor eineinhalb Jahren aus einer Jugendstrafanstalt nach Tegel gekommen. Bald fängt er mit seinem Gesellenstück an; was er fertigen wird, weiß er noch nicht. Er will die Ausbildung unbedingt beenden. „Damit ich was habe, wenn ich rauskomme. Ich bin doch direkt von der Schule in den Knast gekommen.“ Trotzdem will er später nicht als Holzmechaniker arbeiten, sondern sein Abitur nachmachen. Er ist einer der wenigen dort, die einen Realschulabschluss haben.

„Es ist schwierig, Leute zu finden, die die notwendigen Voraussetzungen für eine Ausbildung erfüllen“, sagt Seckelmann. Deshalb können nicht immer alle Ausbildungsplätze besetzt werden. „Bewerben kann sich aber jeder. Und nicht nur Jüngere machen eine Ausbildung.“ Die beiden Azubis in der Polsterei sind älter als Oliver Schultze. Alle Auszubildenden hätten eine gute Chance, nach der Haft „Fuß zu fassen“, sagt Seckelmann und erzählt von den ersten zwei Häftlingen, die nach ihrer Ausbildung in der Polsterei in der Freiheit einen Job gefunden hätten. Die beiden begannen ihre Lehre 2004, damals wurde das Ausbildungsprogramm an den Berliner Gefängnissen nach rund 15 Jahren „reaktiviert“, wie Klaus-Dieter Blank, Leiter des Arbeitswesens in der JVA Tegel, sagt. Ende der 80er Jahre sei es „eingeschlafen“, weil keine Berufsschullehrer mehr in die Anstalt kommen wollten. Heute sind sie wieder da. Zum Beispiel, um Dennis Braun (Name geändert) zu unterrichten.

Der unauffällige 31-Jährige im weißen Pulli sitzt vor einem Monitor und beschäftigt sich mit Fotobearbeitung. „Und mit Pauken.“ Er macht eine Ausbildung zum Mediendesigner. „Ich hatte großes Glück, dass sie mich hier in der Druckerei genommen haben. Draußen hat man ja immer andere Sachen im Kopf.“ Raub zum Beispiel, für den er zu siebeneinhalb Jahren verurteilt wurde. Vor allem aber alles außer einer Ausbildung. „Ich war immer zu faul.“ Jetzt habe er aber eine Perspektive gefunden, die er nutzen wolle. „Die Prüfung wird schwierig, aber ich schaffe das schon.“

An der Wand im Büro der Druckerei, das die Auszubildenden benutzen dürfen, lehnt Stephan Kerner (Name geändert). Der schmale blasse Häftling hat die Ausbildung zum Mediendesigner abgeschlossen. „Ein Ausbilder für zwei Azubis, das ist schon ein großer Vorteil“, sagt er. „Wir können hier auf hohem Niveau lernen.“ Die Auszubildenden der JVA gehörten meist zu den besten ihres Jahrgangs, sagt Blank. Wie ihre „normalen“ Kollegen bekommen sie ein Zeugnis von der Industrie- und Handelskammer. Dass die Ausbildung im Gefängnis gemacht wurde, steht nicht darauf.

Für Kerner wird es aber noch dauern, bis er davon profitieren kann. Erst 2013 hat er seine Strafe wegen Mordes abgesessen. Draußen will er sich selbstständig machen: „Mit Kleindrucksachen habe ich bestimmt eine gute Chance.“

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