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Autobranche: Auf der Überholspur

Die Autobranche boomt auch in Berlin - hier sind vor allem die Zuliefererfirmen stark.

Hinter dem Steuer sitzt die Fünf-Prozent-Frau. Sie ist keine richtige Frau, sondern ein Dummy. Nur fünf Prozent der Frauen auf der Welt sind kleiner als die Plastikpuppe, daher der Name. Das Werk von Takata-Petri in Wedding arbeitet bei Tests unter anderem mit solchen Modellen. Das Gebäude mit neuester Technik hat der japanische Mutterkonzern 2007 für 20 Millionen Euro errichten lassen.

Die Fünf-Prozent-Frau sitzt in einem Karosserieaufsatz, der auf einem Schlitten in der „Pitching“-Anlage getestet wird. Pitching steht für Nicken, das Verhalten eines Autos bei einem Frontalaufprall. Das Heck geht hoch, die Motorhaube runter. „Dies ist die einzige Anlage in Europa, die das messen kann“, sagt Versuchsleiter Stefan Radtke. Rote, gelbe und grüne Stecker verbinden die Karosserie mit einem Rekorder – etwa 30 Messdaten kommen pro Dummy zusammen. Davon profitieren Autohersteller weltweit. In deren Auftrag stimmt Takata-Petri Gurte, Airbags und Inneneinrichtung auf den Fall des Falles ab.

Im Bereich der Automobil- und Automobilzuliefererindustrie, die unter dem Namen Automotive zusammengefasst wird, boomt die Region Berlin-Brandenburg. Mehr als 200 Firmen mit insgesamt rund 20 000 Mitarbeitern forschen und entwickeln in dem Bereich. „Wir sind stolz auf diese Branche. Sie ist stärker, als sie in den Köpfen der Leute präsent ist“, sagt Christoph Lang von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner.

Den Schwerpunkt bilden die Elektroindustrie und der Maschinenbau. „Berlin hat sehr leistungsfähige kleine Firmen“, sagt Harald Bleimeister von dem Netzwerk Automotive Berlin-Brandenburg, dem etwa 190 Unternehmen angehören.

Eines von ihnen ist Flemming + Pehrsson in Neukölln. 25 Mitarbeiter stellen Kennzeichnungsmaschinen her. Mit einem speziellen Verfahren wird die Fahrgestellnummer fälschungssicher an den Autos angebracht. „Die Nummer ist wie die Geburtsurkunde eines Fahrzeuges“, sagt Betriebsleiter Heinz Blankenburg. Das Unternehmen gehört zu den führenden weltweit auf dem Gebiet.

Die Brose-Unternehmensgruppe feiert am 17. April ihren 100. Geburtstag. Der Hersteller von Systemen und Komponenten für Karosserie und Innenraum wurde in Berlin gegründet, jetzt liegt der Hauptsitz in Coburg. Anfang April hat Brose die Elektromotorensparte von der Continental AG abgekauft und in den Berliner Standort an der Sickingenstraße 40 Millionen Euro investiert.

Bei Freudenberg in Spandau stellen 200 Mitarbeiter Spezialdichtungen aus Kunststoff her. Im zweiten Werk in Reinickendorf arbeiten noch einmal so viele an flexiblen Leiterplatten für Fahrzeugelektronik. „Damit haben wir in Berlin ein Hauptzentrum geschaffen“, sagt eine Sprecherin.

Und das, obwohl die Zulieferer nicht nah an den Herstellern sind. „Berlin ist kein herausragender Automobilherstellerstandort“, sagt Daniel Fiebig von der Industrie- und Handelskammer Berlin. Von den großen Herstellern fertigen in Berlin nur zwei. Da ist zum einen BMW, das alle seine Motorräder im Werk am Juliusturm fertigt. Daneben stellen die Mitarbeiter Bremsscheiben her. Daimler baut in Marienfelde unter anderem Motoren für den kleinsten Wagen des Konzerns, den Smart. Das Werk übernahm Daimler 1902. Damit ist es der älteste Produktionsstandort des Konzerns weltweit. Andere Unternehmen wie Volkswagen und Audi sind in Berlin zwar präsent, beteiligen sich jedoch hauptsächlich an Forschungseinrichtungen.

Gerade in diesen besitzt die Stadt ihre Standortvorteile. „Berlin hat eine hohe Forschungsdichte und es gibt qualifizierte Arbeitskräfte, die vergleichsweise günstig arbeiten“, heißt es bei Berlin Partner. Stefan Radtke von Takata-Petri sieht auch die vielfältigen Freizeit- und Kulturangebote in der Stadt als wichtigen Faktor: „Berlin ist für junge Nachwuchskräfte ein unheimlicher Magnet.“

Die enge Vernetzung von Forschung und Wirtschaft wird an der Technischen Universität deutlich, wo es zum Beispiel das interdisziplinäre Zentrum Mensch-Maschine gibt. Es war auch ein TU-Professor, der vor 25 Jahren die Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) gegründet hat – eine Art Allrounder im Geschäft. Sie produziert serienreife Lösungen vom Motor über die Elektronik bis zum Interieur. Allein letztes Jahr hat die IAV 450 Ingenieure eingestellt, die meisten davon in Deutschland. In Berlin arbeiten 700 Mitarbeiter in der Zentrale an der Carnotstraße. „Hybridantrieb, Fahrerassistenzsysteme und Emissionsreduzierung werden uns besonders beschäftigen“, nennt eine Sprecherin als zukunftsträchtige Bereiche.

Bei manchen Unternehmen scheint die Zukunft bereits angebrochen. Die Hella Aglaia Mobile GmbH in Pankow entwickelt kleine Kameras. Diesen soll im Gegensatz zum Menschen nichts mehr entgehen. Sie lesen die Straßenschilder und teilen die erlaubte Geschwindigkeit mit oder warnen, wenn der Fahrer die Spur verlässt. 2009 soll das System serienreif sein.

Matthias Jekosch

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