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Saubere Sache. Mitarbeiter der Inventux Technologies in Berlin-Marzahn überprüfen ein Dünnschicht-Solarmodul.

© Mike Wolff

Für die Umwelt entwickelt: Sonne am laufenden Band

Der Bezirk Marzahn litt lange unter seinem trüben Image. Jetzt entdecken Firmen aus der Umwelttechnik den Standort. Teil 8 der Tagesspiegel-Serie Berlindustrie 2011.

Die aktiven Schichten unserer mikromorphen Module sind dünner als ein menschliches Haar. In der Produktion muss daher darauf geachtet werden, dass kein Staubkorn dazwischen gerät“, erklärt Franciska Obermeyer beim Rundgang durch die Räume des Solarmodulherstellers Inventux in Marzahn. In der Produktionshalle muss der Besucher hinter einer Fensterscheibe stehen, wenn er sehen will, wie die 1,4 Quadratmeter großen Module auf Fließbändern durch verschiedene Becken wandern. Der Reinraum, wie die Produktionsstätte der Solarmodule genannt wird, muss frei von Staubpartikeln bleiben.

Als erster Hersteller in Europa produziert Inventux Dünnschichtmodule auf Siliziumbasis in Serie. Die Module sind nur acht Millimeter hoch. Solartechnologien unterscheiden sich durch die Verwendung unterschiedlicher Substanzen. Manche sind gesundheitsschädlich, wie Cadmium, Blei und Quecksilber. „Die Module von Inventux sind frei von toxischen Inhaltsstoffen. Sie können wie normaler Bauschutt entsorgt werden“, sagt Inventux-Sprecherin Obermeyer.

Das Unternehmen stellte im vergangenen Jahr mehr als 320 000 Module her, mit denen man eine Fläche von etwa 65 Fußballfeldern hätte komplett abdecken können. Mit ihnen lassen sich theoretisch 40 Megawatt Strom erzeugen, genug Ökostrom für mehr als 10 000 größere Durchschnittshaushalte.

Bei Inventux ist man stolz darauf, dass das Unternehmen nur etwa ein Prozent der Siliziummenge benötigt, die üblicherweise bei der Fertigung von kristallinen Modulen verbraucht wird. In Berlin werden die Trägerplatten mit gasförmigem Silizium bedampft.

Auch so geht Innovation. Berlin war lange Zeit vor allem für Kreativität in der Kultur bekannt. Dienstleistungsbranchen standen nach der Wende im Zentrum der Aufmerksamkeit der Landespolitik. Nach und nach entdeckt sie aber auch die Potenziale in der lokalen Industrie. Der Senat hat einen „Masterplan Industriestadt Berlin 2010– 2020“ verabschiedet, der die Reindustrialisierung der Stadt vorsieht. Ein Projekt ist der Aufbau eines Clean Tech Business Parks. Auf 90 Hektar Brachland im Bezirk Marzahn sollen sich ab 2013 Firmen ansiedeln, die sich mit sauberen Technologien befassen: Hersteller von Solaranlagen, Dämmstoffen, Biokraftstoffen zum Beispiel. Damit lassen sich Ressourcen schonen und Emissionen verringern.

Der Marzahner Wirtschaftsstadtrat Christian Gräff (CDU) ist verantwortlich für das Projekt. Insgesamt 24 Millionen Euro Fördermittel habe man bei Land, Bund und EU lockergemacht, erzählt er. Der Bezirk werde damit die Infrastruktur wie Strom, Wasser und Straßen zur Verfügung stellen. Neben neuen Produktionsflächen bietet der Clean Tech Business Park auch die Hoffnung auf die Ansiedlung von Zulieferbetrieben in der Nähe. Bisher muss Inventux etwa die für die Produktion der Module nötigen Rohstoffe aus der ganzen Welt beziehen. „Wenn hier in Marzahn ein Solar-Cluster entstünde, das wäre super“, sagt Obermeyer.

Inventux beschäftigt derzeit rund 270 Mitarbeiter. „Viele unserer Beschäftigten kommen aus Marzahn, so dass wir fester Bestandteil des Bezirks sind“, sagt die Firmensprecherin. Gut 50 Ingenieure beschäftigt Inventux, darunter auch Leute aus Schweden, Irland und den USA. Obwohl Marzahn ein eher negatives Image habe, fühlten sich Kollegen aus aller Welt in dem Bezirk wohl, sagt Obermeyer.

Seit Dezember 2009 produziert die in Ostwestfalen gegründete Firma in Marzahn, sie übernahm eine Halle des Schienenfahrzeugherstellers Bombardier. Groß war das Erstaunen, dass Inventux auf eine Ansiedlung in Adlershof verzichtete, wo sich die Forschung der Berliner Solarbranche konzentriert.

Den Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof sieht Marzahns Wirtschaftsstadtrat Gräff nicht als Konkurrenz: „Wir arbeiten eng zusammen. Was in Adlershof erforscht wird, kann später bei uns produziert werden.“ Berlin habe viele Unternehmen ans Umland verloren, meint Gräff. „Höchste Zeit, dass wir die Betriebe wieder in der Stadt halten.“ Er glaubt, dass in Berlin neben Adlershof und dem Areal des heutigen Flughafens Tegel noch genug Nachfrage für einen weiteren Industriepark besteht.

Beinahe jedes zweite deutsche Photovoltaikmodul wird mittlerweile in Berlin-Brandenburg produziert. Der Markt ist allerdings umkämpft. Bei den Kristallinmodulen kam es zu einem Preisverfall, weil chinesische Hersteller mit günstigen Angeboten auf den Markt drängen. Zudem erhalten die Käufer von Solarmodulen immer weniger gesetzlich garantierte Vergütung für Solarstrom, das belastet den Absatz der Hersteller. Inventux muss wie alle deutschen Firmen der Branche auf seinem Spezialfeld beweisen, dass es immer ein wenig besser ist, als die billigere Konkurrenz aus Asien. Nur mit Qualität lassen sich höhere Preise rechtfertigen. „Unsere Technologieführerschaft konnten wir erst kürzlich wieder unter Beweis stellen, als uns eine Wirkungsgradsteigerung unserer Module auf zehn Prozent gelang“, sagt Obermeyer. Das sei innerhalb der Dünnschichtbranche Rekord. Ähnlich wie andere heimische Solarfirmen will Inventux zudem nicht mehr nur Solarmodulproduzent sein. Das Unternehmen wandelt sich zum Anbieter ganzer Systeme: Inventux hilft auch bei Planung und Montage. „Mittlerweile können wir alle notwendigen Komponenten für eine PV-Anlage aus einer Hand anbieten“, sagt Obermeyer. In Marzahn betreibt Inventux auch Forschung und Entwicklung. „Bei der Entwicklung von Solarmodulen für den deutschen Markt ist einiges zu bedenken. Zum Beispiel müssen die Paneele eine hohe Schneelast tragen können. Und sie sollen 20 Jahre halten“, erläutert Obermeyer. Schließlich erhalten Käufer von Solarmodulen hierzulande einen über 20 Jahre festgeschriebenen Vergütungssatz für den eingespeisten Strom. Auch deswegen ist Qualität wichtig.

Annette Leyssner

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