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Boxen

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Gesundheit: Schlagkraft für Mitarbeiter

Berliner Arbeitnehmer sind besonders häufig krank. Das gibt den Unternehmen zu denken Immer mehr Firmen kümmern sich deshalb um Gesundheit: mit Yoga, Boxen und Ernährungsberatung.

Am Anfang wurde hier und da noch etwas verschämt gekichert. Heute finden es die 80 in der Mehrheit männlichen Mitarbeiter der Firma Contag ganz normal, dass die Ehefrau ihres Chefs sie einmal in der Woche zur Gymnastikstunde in den großen Konferenzraum ruft. Christiane Contag, ehemalige Vizeweltmeisterin im 100-Meter-Staffellauf, ist bei dem Hersteller von Leiterplatten für die Elektronikindustrie seit einem Jahr für den Betriebssport verantwortlich. Neben der gemeinsamen Gymnastik gehören zum Angebot auch eine Tischtennisplatte, ein Fußballplatz, ein Fitnessraum und ein Beachvolleyballfeld.

„Unsere Mitarbeiter sollen in der Pause und nach Feierabend nicht nur rumsitzen, sondern sich bewegen“, sagt Geschäftsführer Andreas Contag. Der Sport, vor allem der spielerische, halte Körper und Geist beweglich und stärke das Gemeinschaftsgefühl unter den Kollegen. Die Stimmung in der Belegschaft sei merklich besser geworden, und die Mitarbeiter würden seltener krank, seitdem seine Frau sie zu mehr Bewegung antreibt und ihnen auf Wunsch sogar einmal in der Woche den Rücken oder Nacken massiert.

Für die vorbildliche Förderung ihrer Mitarbeiter ist die Contag-GmbH am Dienstag mit einer Urkunde in dem Wettbewerb „Potenzial Mitarbeiter“ ausgezeichnet worden, den die Industrie- und Handelskammer (IHK) gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Gesundheit veranstaltet hat. „Aktives Gesundheitsmanagement steigert die Motivation und senkt den Krankenstand“, begründete IHK-Präsident Eric Schweitzer das wachsende Interesse der Berliner Unternehmer an Themen wie Sport, Fitness und Betriebsklima.

Immer mehr Arbeitnehmer erkennen: Yogakurse, Ernährungsberater und Fußballturniere im Betrieb sind nicht nur nettes Beiwerk in guten Zeiten, sondern Grundlage knallharter Kalkulation. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft zahlten deutsche Unternehmen im letzten Jahr 29,6 Milliarden Euro für Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Und nachdem die Zahl der Krankschreibungen jahrelang zurückging, scheint sie jetzt wieder zu steigen: Für die ersten zehn Monate des Jahres 2007 meldete der Bundesverband der Betriebskrankenkassen durchschnittlich 11,4 Fehltage – nach 10,6 im Vorjahr. 2006 lag Berlin mit durchschnittlich 16,5 Fehltagen bundesweit auf dem ersten Platz. Vielen Krankschreibungen liegt ein Rückenleiden zugrunde, außerdem Verletzungen, Atemwegserkrankungen und immer mehr psychische Probleme.

Das Hotel Estrel, ebenfalls Teilnehmer des IHK-Wettbewerbs, konnte seinen Krankenstand in den vergangen fünf Jahren von 5,5 auf 3,5 Prozent senken, sagt Personalchefin Annette Bramkamp. Damals begann das Unternehmen, sich mit den Gesundheitsproblemen seiner Mitarbeiter beschäftigen. Besonders häufig wurde in der Belegschaft über Rückenprobleme geklagt. Viele Hotelangestellte müssen mehrere Stunden lang stehen. Darum hat das Estrel eine kostenlose Rückenschule eingerichtet, die die Mitarbeiter während der Arbeitszeit besuchen.

Ein Risikofaktor bei einem Arbeitsalltag in Schichten sei die Ernährung, so Bramkamp. Das Estrel beschäftigt inzwischen eine Ernährungswissenschaftlerin, die den Kantinenchef bei der Zusammenstellung der Mahlzeiten berät. Es würden immer verschiedene Gerichte angeboten: „Die Männer, die schwer körperlich arbeiten, haben ja einen anderen Bedarf als die jungen Damen, die viel am Schreibtisch sitzen.“

Auch im Estrel nähmen die psychischen Krankheiten zu, sagt die Personalchefin. Sie führt das auf den oft stressigen Betrieb in dem Tagungshotel zurück. Als Gegenmaßnahme hat das Unternehmen einen Yoga-Lehrer engagiert. Außerdem können sich die Angestellten gegen eine geringe Gebühr im Wellnessbereich des Hauses massieren lassen. Die betriebliche Gesundheitsförderung habe im Estrel nicht nur die Zahl der Krankschreibungen reduziert, sondern auch die der Kündigungen, sagt Bramkamp: Die Fluktuation ging in den letzten fünf Jahren von 25 auf 17 Prozent zurück, im Hotelgewerbe ein geringer Wert.

„Das Tolle am Yoga ist: Man lernt sich zu entspannen, kräftigt den Körper und damit auch die Abwehrkräfte“, sagt Marc Zinkernagel, der mit seiner Firma Balance in Motion Sportkurse in Unternehmen anbietet. Auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), die im IHK-Wettbewerb den ersten Platz in der Kategorie „große Unternehmen“ belegten, bieten ihren 5200 Mitarbeitern Yoga als Betriebssport an – neben Aktivitäten wie Tanzen, Wandern, Boxen oder Drachenbootfahren. Damit viele Angestellte mitmachen, hat die BSR ein Bonusprogramm aufgelegt: Für einen Sportkurs oder eine freiwillige Vorsorgeuntersuchung beim Betriebsarzt gibt es einen Stempel ins Bonusheft. Ist das Heft gefüllt, gibt es Einkaufsgutscheine für Sportartikel oder Wellnessprodukte.

Vorreiter ist die BSR auch bei der Suchtprävention. Neben Raucherentwöhnungskursen hat der Betrieb unter seinen Angestellten „Suchthelfer“ ausgebildet, erzählt die Pressesprecherin Sabine Thümler. Die Suchthelfer dienen den Mitarbeitern als Ansprechpartner, wenn bei einem Kollegen der Verdacht auf ein Problem mit Drogen oder Alkohol besteht. Sie beraten bei privaten Problemen und vermitteln professionelle Hilfe.

Natürlich habe die BSR bei allen Maßnahmen zuerst den Menschen im Auge, sagt Thümler. „Aber jeder Ausfalltag hat auch eine wirtschaftliche Seite.“

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