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Immobilienreport: Berlin kommt uns teuer

Die Investoren kehren nach Berlin zurück. Darüber berichtet "Berlin maximal", das Wirtschaftsmagazin des Tagesspiegels, in seiner aktuellen Ausgabe. Der Immobilienmarkt in der Hauptstadt boomt - aber das hat nicht nur Vorteile.

Über zu wenig Geschäft kann sich Nicolas Jeissing derzeit nicht beklagen. Wenn der Berliner Immobilienmakler und Geschäftsführer von Engel & Völkers Commercial dieser Tage in sein Büro kommt, steht sein Telefon nicht mehr still. „Der Immobilienmarkt in der Stadt hat sich in den vergangenen Monaten sehr gut entwickelt“, sagt er. „Im Moment kriegen wir vor allem Anrufe von potenziellen Käufern“, sagt er. „Besonders gefragt sind Objekte in 1A-Lage.“

1A-Lagen sind im Branchenjargon Häuser, Wohnungen oder Gewerberäume in Stadtteilen mit gehobener Wirtschafts- und Sozialstruktur, wie beispielsweise der Gendarmenmarkt und der Pariser Platz in Mitte oder der Kurfürstendamm im Westen Berlins.

Die von Jeissing geführte Abteilung des internationalen Immobilienunternehmens vermittelt und vermarktet Gewerbeimmobilien wie Einzelhandels- und Industrieflächen sowie Büroräume, Wohn- und Geschäftshäuser. Nach den Krisenjahren 2008/2009, in denen der Markt für Gewerbeimmobilien erheblich schrumpfte, sind die Umsätze in dem Segment in den vergangenen 24 Monaten wieder gestiegen. Wurden 2009 zehn Milliarden Euro auf dem deutschen Gewerbeimmobilienmarkt umgesetzt, waren es 2010 bereits rund 20 Milliarden. Vom Umsatzniveau des Rekordjahres 2007 ist man aber noch weit entfernt: Damals wurden deutschlandweit 70 Milliarden Euro in dem Geschäftsfeld umgesetzt.

Hier deutet sich bereits eine Entwicklung an, die für den gesamten Berliner Immobilienmarkt gilt: Nach vergleichsweise mageren Jahren mit vor allem zurückhaltenden ausländischen Investoren ziehen die Geschäfte in dem Wirtschaftszweig wieder an. Dabei birgt die hauptstädtische Immobilienwirtschaft offenbar ein großes Potenzial: Analysten sagen der Branche ein „goldenes Jahrzehnt“ mit hohen Wachstumsraten voraus.

Die optimistischen Prognosen seien vor allem Ergebnis der allgemein positiven Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Jahren, erklärt Immobilienexperte Jeissing. „Deutschland gilt als Motor in Europa“, sagt er. „Vor allem ausländische Investoren sind der Meinung, dass sie jetzt unbedingt in unserem Land investieren müssen.“ Neben guten Wachstumschancen zieht offenbar auch das Image Berlins als Kulturmetropole, Touristenmagnet und Wissenschaftsstandort immer mehr Investoren an.

So sind es vor allem die Geldgeber aus dem Ausland, die auf den Berliner Immobilienmarkt zurückkehren. Während der Finanzkrise 2008/2009 hatten sie angesichts der angespannten Wirtschaftslage ihre Geschäfte in der Hauptstadt vorübergehend auf Eis gelegt. Inzwischen hat die Quote ausländischer Investoren am Berliner Markt wieder 50 Prozent erreicht. Sie kommen vor allem aus den USA, aus England und anderen europäischen Ländern, Russland, zunehmend auch aus Asien und den Golfstaaten.

Der hauptstädtische Immobilienmarkt rücke dabei aus verschiedenen Gründen immer mehr in den Fokus von Geschäftsleuten, sagt Andreas Habath, Vorstand im Landesverband des Immobilienverbandes Berlin-Brandenburg  (IVD). Im Gegensatz zu anderen deutschen Immobilienmärkten sei der in Berlin wegen eines vergleichsweise großen Angebots an Gewerbe- und Wohnimmobilien noch nicht gesättigt. Während sich beispielsweise in Städten wie München oder Hamburg potenzielle Käufer und Mieter seit Jahren regelrecht um Immobilien reißen und sich die Preise für Häuser und Wohnungen auf einem stabil hohen Niveau eingependelt haben, war der Markt in Berlin in den vergangenen Jahren entspannt.

Wer ein Büro oder eine Wohnung in der Hauptstadt mieten oder kaufen wollte, wurde eigentlich immer fündig – und musste dafür nicht allzu tief in die Tasche greifen. Denn im Vergleich zu Städten wie München oder Hamburg, wo Nettokaltmieten je Quadratmeter knapp unter zehn Euro gang und gäbe sind, waren Berliner Immobilien bislang für vergleichsweise wenig Geld zu kaufen und zu mieten. Unter Nettokaltmiete versteht man den Mietpreis ohne Nebenkosten. Es gab in Berlin Wohn- und Gewerberaum für alle Bevölkerungsschichten, einen Markt mit „relativ hoher sozialer Durchlässigkeit“, wie der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm es nennt. „Noch vor zehn Jahren waren viele Immobilien in der Stadt unterbewertet“, sagt Makler Andreas Habath. „Berlin gilt immer noch als die Hauptstadt der kleinen Preise.“

Zum Vergleich: 2009 lag die durchschnittliche Nettokaltmiete in Berlin laut Mietspiegel bei 4,83 Euro je Quadratmeter und blieb damit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 5,12 Euro je Quadratmeter. In München war sie laut IVD mit durchschnittlich 9,70 Euro pro Quadratmeter fast doppelt so hoch. Ähnlich sieht es bei den Kaufimmobilien aus. Für ein Objekt am Berliner Markt muss man derzeit durchschnittlich 1500 Euro je Quadratmeter auf den Tisch legen. „Für diese Preise kriegen Sie in München nicht einmal einen Keller“, sagt Andreas Habath. 

Auch im europäischen Vergleich zeigt sich, wie moderat die Immobilienpreise in Berlin sind. So müssen Käufer in Paris für ein Objekt rund fünf Mal so viel hinblättern wie in der deutschen Hauptstadt, in London sogar acht Mal so viel. Unerreicht sind wiederum die Preise, die für Immobilien in der russischen Hauptstadt Moskau bezahlt werden: Hier kostet der Quadratmeter umgerechnet zwischen 30 000 und 45 000 Euro.

Von einer derartigen Preisexplosion dürfte der Berliner Immobilienmarkt verschont bleiben; dass die Miet- und Kaufpreise in der Stadt insgesamt und besonders in bestimmten Quartieren anziehen werden, gilt unter Analysten allerdings als gewiss. Denn Beobachter des Marktes registrieren in der Stadt in jüngster Zeit nicht nur eine wachsende Zahl an Immobilieninteressenten, sondern stellen auch fest, dass der zur Verfügung stehende Wohn- und Gewerberaum sukzessive abnimmt – und die Neubautätigkeit mit rund einem Prozent gleichzeitig gering ist. Diese konzentriert sich derzeit vor allem auf die City West und die Gegend um den Nordbahnhof. So wird beispielsweise am Zoofenster das „Bikinihaus“ umgebaut, ein denkmalgeschütztes Geschäfts- und Bürogebäude an der Budapester Straße. Am Nordbahnhof baut der Bundesnachrichtendienst derzeit seine neue Zentrale.

Das lässt die Preise steigen. Am Immobilienmarkt gilt die einfache Grundregel: Angebot und Nachfrage bestimmen den Wert des Wirtschaftsgutes, also von Häusern, Wohnungen und Gewerberäumen.

Hinzu kommt eine unterdurchschnittlich niedrige Eigentumsquote: In der Stadt besitzen nur rund 15 Prozent der Bevölkerung eine Immobilie. In Deutschland liegt die Quote zwischen 40 und 50 Prozent. Berlin ist also eine Stadt der Mieter; die Nachfrage nach Mietwohnungen oder -häusern ist generell hoch.

Dass die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Immobilienmarkt immer größer wird, ist kein Berliner Phänomen. Nach der Studie „Wohnungsmangel in Deutschland“ des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos vom Herbst 2010 wird es in den kommenden Jahren vor allem auf dem Mietimmobilienmarkt eng. Der Untersuchung zufolge wird spätestens 2025 in weiten Teilen Deutschlands eine riesige Wohnungslücke klaffen. Besonders davon betroffen sind die Bundesländer Hessen und Niedersachsen, die Region am Niederrhein – und Berlin.

Dabei treffen mehrere negative Faktoren aufeinander. Zum einen gibt es in Deutschland immer mehr Ein-Personen-Haushalte, während die Einwohnerzahl insgesamt sinkt. Diese Haushalte verfügen laut Studie in der Regel über unterdurchschnittliche Einkommen. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen bei gleich bleibendem Angebot Mietraum nachfragen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung rechnet allein in den kommenden Jahren mit einer Zunahme der Berliner Haushalte um 50 000. „Dieses  Problem wird man nur lösen können, wenn man Grundstücke und Gebäude für diesen Bedarf mobilisiert“, sagt Gottfried Kupsch, Chef der Kupsch Gewerbeimmobilien Management GmbH. „Das heißt auch, dass Gewerbeflächen zu Wohnungen umfunktioniert werden müssen.“

Kupschs Firma hilft Unternehmen bei der Suche, Vermietung und Vermarktung ihrer Gewerbeimmobilien. Gewerbeimmobilien sind beispielsweise Büroflächen, Ladengeschäfte für Einzelhändler, Produktionshallen, Werkstätten und Lagerflächen. In diesem Marktsegement gibt es derzeit in der Stadt ein Überangebot – und jede Menge Leerstand. Allein 500 000 Quadratmeter an Ladenfläche werden derzeit laut Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, nicht genutzt. Auch stehen hunderttausende Büros leer. „Es ist ein Riesenproblem, die zu vermieten“, sagt Gottfried Kupsch. „Besonders bei älteren Gewerbeflächen, die nicht mehr attraktiv sind.“

Gut zu vermieten seien in diesem Segment nur noch hochwertig sanierte Flächen, bestätigt Hans Peter Koopmann, Sprecher des Berliner Projektentwicklungsunternehmens Copro GmbH. Dazu gehöre etwa, dass die Immobilie über ein modernes Heizungs-, Belüftungs- und Belichtungssystem sowie einen Breitbandkabelanschluss verfüge. Seine Berliner Firma hat  sich auf die hochwertige Sanierung von Bestandsobjekten spezialisiert. Ein aktuelles Projekt des Unternehmens ist ein Geschäftshaus in Kreuzberg an der Köpenicker Straße mit Blick auf die Spree. Unternehmen neigten wegen des höheren Energieverbrauchs generell dazu, ältere Gebäude zu meiden und sich in Neubauten anzusiedeln, sagt auch Gottfried Kupsch. „Auf den energetischen Aspekt wird sehr geachtet“, sagt er. „Die Betriebskosten dürfen nicht zu hoch sein.“

Dass die Unternehmen immer mehr auf die Energiebilanz von Immobilien achten, hängt nicht zuletzt mit der neuen Energiesparverordnung (EnEV) des Bundes zusammen. Sie ist im Baurecht verankert und schreibt Bauherren Standortanforderungen wie den Betriebsenergieverbrauch ihres Gebäudes oder Bauprojektes vor. Die Verordnung gilt für Wohn- und Bürogebäude sowie bestimmte Arten von Betriebsgebäuden.

Für Berlins Architekten ergibt sich daraus ein großes Geschäftsfeld, weil das neue Gesetz Sanierungen nach sich zieht. „Jeder Vermieter, der die Verordnung umsetzt, braucht einen Architekten, und somit ist diese Entwicklung auch gut für die Branche“, erklärt Architekt Max Kaminski. „Da es in Berlin sehr viele alte Gebäude gibt, wird es in den kommenden Jahren die Hauptaufgabe sein, diese zu sanieren.“

Wenngleich von einem Boom am Berliner Markt für Büroimmobilien derzeit noch keine Rede sein kann: In Quartieren, die gerade wirtschaftlich erschlossen werden, steigt die Nachfrage nach entsprechenden Flächen. Das kann man zum Beispiel in der Umgebung des neuen Großflughafens BBI im Südosten des Stadt beobachten. Auf der Achse entlang der Spree Richtung Flughafen suchten schon mehrere Unternehmen nach geeigneten Büroflächen, berichtet Lorenz Claussen, Notar und Rechtsanwalt in der auf Immobilien spezialisierten Kanzlei GSK Stockmann + Kollegen.

Wer Gewerbefläche in Berlin mieten möchte, kann wegen des momentanen Überangebots mit vergleichsweise moderaten Preisen rechnen. Derzeit muss man laut Nicolas Jeissing von Engel & Völkers für ein Büro in der Hauptstadt durchschnittlich 10,50 Euro je Quadratmeter bezahlen. In Toplagen, beispielsweise am Hackeschen Markt oder am Kurfürstendamm, bezahlt man 50 bis 100 Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: In München kosten entsprechende Lagen bis zu 180 Euro je Quadratmeter.

Die Unterschiede im Preisniveau ergeben sich aus den höheren Umsatzerwartungen je Quadratmeter, da die Kaufkraft in der bayrischen Metropole höher ist als in der Bundeshauptstadt. Wenn sich der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland fortsetzt, dürften auch am Berliner Gewerbe-immobilienmarkt die Preise steigen – etwa, weil Unternehmen angesichts der guten Geschäftslage expandieren und mehr Fläche benötigen.

Dass vor allem der Wohnraum in der Stadt knapp werden könnte, belegt der Wohnmarktreport der Wohnungsbaugesellschaft GSW. Sie verwaltet 65 000 Wohnungen in der Stadt, davon rund 49 000 im eigenen Bestand. Experten der Wohnungsbaugesellschaft kommen zu dem Ergebnis, dass der Leerstand auf dem Berliner Wohnimmobilienmarkt rapide abnimmt: Während die GSW 2010 noch rund 71 000 freie Wohnungen in der Stadt zählte, sind es derzeit nach aktuellen Analysen des Hauses nur noch 51 000. Setzt sich der Trend in dieser Geschwindigkeit fort, könnte der Hauptstadt bei gleich bleibendem Bestand also auch schon in wenigen Jahren der Wohnraum ausgehen – und nicht erst 2025.

Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) kann dieses Problem zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennen. Sie geht davon aus, dass derzeit im gesamten Stadtgebiet rund 100 000 Wohnungen mehr als sechs Monate leerstehen. „Auch wenn ein gewisser Teil davon dem Wohnungsmarkt gegenwärtig nicht zur Verfügung steht – zum Beispiel, weil die Wohnungen in sehr schlechtem Zustand sind – gibt es  noch keinen Grund, in absehbarer Zeit von einem Wohnungsmangel zu sprechen“, sagt die Senatorin.

Der Bestand ungenutzter Wohnungen werde derzeit von ihrem Ressort geprüft. Je nach Ergebnis will Junge-Reyer den Eigentümern eine Kooperation mit der Investitionsbank Berlin (IBB) anbieten, die ihnen für die Instandsetzung oder Sanierung ihrer Immobilien günstige Kredite geben könnte. Zudem denkt die Senatsverwaltung über neue Wege nach, die Neubauquote in der Stadt zu erhöhen. „Wir prüfen, ob den städtischen Wohnungsbaugesellschaften günstiges Bauland, zum Beispiel in Erbpacht, zur Verfügung gestellt werden kann“, sagt Junge-Reyer. Die Mieten für die dort entstehenden Wohnungen dürften zwischen sieben und neun Euro je Quadratmeter liegen, rechnet die Senatorin vor und rechtfertigt den Preis: „Billiger lässt sich in Berlin nicht bauen.“

Immobilienexperte Andreas Habath hält dagegen nichts von staatlicher Wohnungsbauförderung. „Das funktioniert nicht“, sagt er. Er plädiert für einen freien Immobilienmarkt, der sich selbst reguliert. Lieber solle die Politik Anreize steuerlicher Art schaffen, um mehr Menschen dazu zu bewegen, in Immobilien zu investieren.

Wenngleich die SPD-Politikerin Junge-Reyer im Augenblick nichts von einer drohenden Mietpreisproblematik in Berlin wissen will: Unter Maklern, Architekten und Investoren gilt diese Entwicklung als ausgemachte Sache.

Auf der Verbraucherseite wird der Wohnungsmangel in Berlin laut Prognos-Studie besonders die unteren Einkommensschichten treffen. „Vor allem auf die wirtschaftliche Existenz der kommenden Rentnergeneration und der jungen Erwachsenen wird sich die Situation besonders dramatisch auswirken“, heißt es in der Prognos-Studie. Wohnraum wird für die genannten Bevölkerungsschichten im Jahr 2025 kaum noch bezahlbar sein – und die Einwohnerstruktur von Regionen und Städten nachhaltig verändern.

Stadtsoziologe Andrej Holm sagt den sozialen Abstieg bestimmter Bevölkerungsschichten durch Verdrängungsmechanismen am Berliner Wohnungsmarkt voraus. Eine entsprechende Entwicklung zeige sich beispielsweise in den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln, wo die Mieten durch zahlreiche Grundstücksverkäufe und Eigentümerwechsel gestiegen seien. „Die neuen Eigentümer refinanzieren ihre Immobilieninvestition durch die Anhebung der Mieten“, erklärt Holm. Die Folgen: Menschen mit geringem Einkommen können diese Mieten nicht mehr aufbringen und sind vom lokalen Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Zudem verhindere das hohe Mietniveau den Zuzug neuer Bewohner aus den unteren Einkommensschichten. Die Mietbelastungsquote für Haushalte mit geringem Einkommen ist in Kreuzberg laut Holm in den vergangenen Jahren gestiegen. Vor einigen Jahren gaben sie rund ein Drittel ihres Einkommens für die Miete aus, heute sind es oft mehr als 40 Prozent. Dieses Geld muss an anderer Stelle eingespart werden – oft zu Lasten der Lebensqualität.

Um Geld zu sparen und die Mietausgaben zu senken, seien die Kreuzberger in den vergangenen Jahren immer mehr zusammengerückt, sagt Holm. Das zeigt sich unter anderem am gestiegenen Anteil von Wohnungen, die von mehreren Haushalten – beispielsweise Wohngemeinschaften oder mehreren Generationen einer Familie – bewohnt werden. Und viele junge Menschen im Bezirk zögen nun deutlich später von Zuhause aus, weil es in bestimmten Gegenden inzwischen kaum noch bezahlbare Wohnungsangebote gibt.

Allerdings sind keinesfalls nur Kreuzberg und Neukölln von diesen von Soziologen als Gentrifizierung bezeichneten Verdrängungseffekten betroffen. Immobilienexperten gehen davon aus, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen, vor allem junge Menschen, Familien in der Gründungsphase und ältere Personen, in allen Berliner Bezirken bei der Suche nach Wohnraum zusehends ins Hintertreffen geraten. Viele von ihnen zögen wegen der Mietentwicklung der vergangenen Jahre gar einen Immobilienkauf in Erwägung, sagt Stadtsoziologe Andrej Holm. Doch die meisten verfügten nicht über das entsprechende Kapital.

Wie schnell sich die soziale und wirtschaftliche Struktur in Berlins Quartieren mithin ändern kann, zeigt sich in Neukölln im Reuterkiez. Die Gegend rund um den Reuterplatz galt 2006 angesichts der Vorkommnisse an der Rütli-Schule als Problemkiez,und kaum ein Berliner konnte sich auch nur vorstellen, in dem Quartier zu wohnen, geschweige denn Geschäfte zu machen. Heute ist der Leerstand in „Kreuzkölln“  von ehemals zehn auf jetzt fünf Prozent gesunken. Hippe Clubs, Szenekneipen und schicke Läden sprießen wie Pilze aus dem Boden und ziehen vor allem Studenten, Kreative und Nachtschwärmer an. Die Mieten im Kiez haben entsprechend angezogen.

Während Soziologe Andrej Holm die Gentrifizierung in der Stadt kritisch betrachtet und die Mietentwicklung in Berlin gar als „sozialpolitischen Sprengstoff“ bezeichnet, der Proteste von Mietern und Hausgemeinschaften wahrscheinlich macht, kann Analyst André Adami vom Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Bulwien Gesa dieser Dynamik durchaus etwas Positives abgewinnen. „Die Gentrifizierung ist aus immoblienwirtschaftlicher Sicht ein wichtiger Prozess für Investitionen“, sagt er. Makler Andreas Habath wird bei seiner Bewertung der Gentrifizierung konkreter. „Hohe Preise wirken der Ghettoisierung von Quartieren entgegen“, ist er sich sicher.

Auch für die Besserverdienenden nimmt das Wohnungs-angebot in der Stadt ab, sagt Immobilienexperte Gottfried Kupsch. „Zugezogene aus der gut verdienenden Mittelschicht finden in Berlin kaum noch Wohnraum“, sagt er. Dies seien Menschen, die in der Lage und auch willens seien, für eine Wohnung zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter auszugeben. Was Kupsch beobachtet hat, kann Andreas Habath vom IVD bestätigen. „Der Bedarf in diesem Bereich ist gestiegen“, sagt er. Wohnungen ab 120 Quadratmeter seien in der Stadt äußerst begehrt – und kaum noch zu haben.

Steigende Nachfrage, sinkendes Angebot: Berlins Immobilienexperten gehen davon aus, dass sich der Boom am Markt als Erstes auf die Preise in besonders beliebten Citylagen wie Charlottenburg und Mitte auswirken wird. „Die Preissteigerung fängt immer bei den 1A-Lagen an“, sagt Nicolas Jeissing von Engel & Völkers. Hans Peter Koopmann prognostiziert zudem einen Anstieg des Mietzinses in Pankow und Spandau. Am ehesten blieben die Preise voraussichtlich in Großsiedlungen stabil.

Wie und ob der Staat den zu erwartenden Mietsteigerungen in der Stadt entgegentreten muss, darüber gibt es in der Branche unterschiedliche Meinungen. Gottfried Kupsch schlägt vor, einen Teil der ohnehin leerstehenden Gewerbeimmobilien zu Wohnungen umzufunktionieren. „Dabei wird es teilweise günstiger sein, alte Gebäude abzureißen und neue zu bauen, anstatt die alten zu sanieren“, erläutert Kupsch. Für ihn ist eine größere Neubautätigkeit in der Stadt der einzige Ausweg, um der drohenden Lücke auf der Angebotsseite Herr zu werden. „Dieses Thema ist noch nicht bei allen angekommen – auch nicht in den Bezirken“, glaubt Kupsch. „Dort herrscht oft noch der Eindruck vor, dass es in Berlin genügend Wohnungen gibt.“

Stadtsoziologe Andrej Holm ist der Meinung, dass nur ein Akteur den Berliner Immobilienmarkt nachhaltig regulieren kann: die Politik. Er ist allerdings skeptisch, dass sie dieser Forderung auch gerecht wird. „SPD, Linke und Grüne geben sich zwar jetzt im Wahlkampf mieterfreundlich, aber weder Senat noch die Bezirke nutzten bisher ihre Möglichkeiten, eine soziale Wohnungspolitik in der Praxis umzusetzen“, kritisiert er. „Dieser stadtpolitische Steuerungsverlust trägt die Gefahr eines machtpolitischen Vakuums in sich. Ob der sozialpolitische Sprengstoff der Mietentwicklung in Berlin parteipolitisch aufgefangen werden kann, ist eine Frage mit offenem Ausgang.“

Für die Immobilieninvestoren in der Hauptstadt bedeuten die steigenden Mieten in Berlin dagegen vor allem eines: erkleckliche Renditen. Wer mehrere Immobilieneinheiten in der Stadt erwirbt, darf laut Experten mit einer Rendite zwischen vier und sechs Prozent rechnen. Einzelimmobilien wie Eigentumswohnungen bringen rund drei Prozent Rendite ein. Der Gewinn verringert sich dabei je nach Lage der Immobilie: Wer in Toplagen wie beispielsweise am Gendarmenmarkt oder am Hackeschen Markt investiert, muss mit entsprechend hohen Quadratmeterpreisen rechnen, die die Rendite drücken.

Nichts destotrotz: Die hohen  Gewinnerwartungen am Berliner Immobilienmarkt haben in der Branche das Wort „Betongold“ hervorgebracht. „Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Marktes sind in keiner anderen europäischen Stadt so gut wie in Berlin“, bilanziert Andreas Habath vom IVD. Er geht davon aus, dass hauptstädtische Immobilien in den kommenden Jahren im Wert steigen und damit nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für institutionelle Anleger eine lukrative Investition sind.

Laut Rechtsanwalt Lorenz Claussen ist der stärkere Fokus auf Immobilien auch eine Reaktion auf die Finanzkrise und das in ihrer Folge befürchtete Anziehen der Inflation. Im Gegensatz zu Aktien gelten Immobilien bei Investoren als vergleichsweise sichere Geldanlage. Hinzu kommt, dass die Zinsen am Geldmarkt derzeit niedrig sind, Kredite somit günstig zu haben sind, und mittelfristig auch weniger Kosten für die Zinstilgung anfallen.

„Mehr Menschen investieren in Sachwerte wie Immobilien“, bestätigt auch Wolf Burkhard Wenkel, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg. Der Baubranche gehe es dadurch derzeit auch relativ gut.

Privatleute am Immobilienmarkt investieren in der Regel bis zu zehn Millionen Euro in ihr Wunschobjekt und verstehen das Investment als Kapitalanlage. Während sie sich vor allem auf Einzelobjekte wie Wohnungen konzentrieren, kaufen institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Kapitalgesellschaften vor allem hochwertige, größere Objekte. Sie setzen große Hoffnungen in den Standort Berlin und stecken ihr Geld derzeit vor allem in klassische Berliner Miethäuser, die aus Gewerberäumen im Erdgeschoss und Mietwohnungen bestehen. „Diese Art Immobilie ist interessant, weil verschiedene Nutzungen möglich sind“, erläutert Copro-Sprecher Hans Peter Koopmann.

Neben Geschäftshäusern interessieren sich zahlreiche Immobilieninvestoren vor allem für Objekte in 1A-Lagen, weiß Makler Jeissing. „Diese Sparte hat sich noch besser entwickelt als andere“, sagt er. Das große Interesse für entsprechende Objekte erklärt Jeissing damit, dass Immobilien in exquisiter Lage als besonders sicheres Investment gelten – weil sie ihren Wert in der Regel behalten oder sogar im Wert steigen. Zudem seien 1A-Lagen besser vermietbar als andere Objekte.

Für Projektentwickler wie Koopmann kommt es darauf an, das Potenzial einer Immobilie richtig einzuschätzen. Für Außenstehende, die sich in der Stadt nicht auskennen, sei es wegen der polyzentrischen Struktur Berlins schwer, die Qualität eines Standsortes zu beurteilen, sagt Rechtsanwalt Lorenz Claussen.

Die Immobilienfirma S+P Real Estate setzt als Bauträger auf das Areal einer ehemaligen US-Kaserne in Zehlendorf. Am Monroe Park, wo hinter den Fassaden derzeit noch raue Betonflächen und Bauschutt das Bild bestimmen, lässt das Unternehmen unter dem Namen „Green Lofts“ 292 Wohnungen entstehen.

Weil das Gebäude denkmalgeschützt ist, kaufen die Wohnungseigentümer steuerliche Begünstigungen mit. Der Komplex wird seit Ende 2010 komplett saniert, eine moderne und energiesparende Holzpelletheizung eingebaut. Es wird kleine Studentenwohnungen und barrierefreie Wohnungen geben, im Dachgeschoss warten einige der Penthäuser noch auf Besitzer.

„Die Wohnungen im Denkmalbestand sind fast alle verkauft“, sagt Holger Ruckaberle, Vorstand  von S+P Real Estate. Noch in diesem Jahr sollen die Wohnungen fertig werden. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Vertriebsergebnis“, sagt Udo Schloemer, Vorstand der Fellowhome AG, die die Wohnungen verkauft. „Die Interessenten kommen aus ganz Deutschland, was uns zeigt, dass wir nicht nur für Berliner das richtige Konzept gefunden haben.“ 80 Prozent der Käufer seien Kapitalanleger, die vor allem wegen der hohen Steuernersparnis in das Denkmal investiert hätten. Besitzer einer Immobilie, die unter Denkmalschutz steht, können Investitionen in die Werterhaltung der Immobilie acht Jahre lang mit jeweils neun und vier weitere Jahre mit jeweils sieben Prozent steuerlich beim Finanzamt geltend machen.

Die Fellowhome AG hat derweil schon das nächste Projekt in Arbeit: Ein denkmalgeschütztes Wohnensemble in Buch auf einer 150 000 Quadratmeter gro-ßen Parkanlage soll in den kommenden Monaten umgebaut und modernisiert werden. Manoir II in der „Allées des Chateaux“ – zu deutsch Schlösserallee – haben die Projektentwickler ihr neues Baby genannt.

Berlin maximal ist das Wirtschaftsmagazin des Tagesspiegels. Die aktuelle Ausgabe ist am Freitag erschienen.

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