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Investor Harald Christ: "Es gibt viele schwule Top-Manager"

Der Berliner Ex-Banker und Investor Harald Christ über Homosexualität, Wege aus der Kreditklemme und die Berliner Wirtschaft.

Herr Christ, wie schwul darf man in der Wirtschaft sein?



Es ist immer noch so, dass ein Manager eine attraktive Frau, Kinder, einen Hund und ein Haus haben muss. Und dann muss er einen Baum pflanzen. Ich finde, es ist Zeit, dass wir mit diesen Klischees aufräumen. Ich lebe seit sechs Jahren in einer festen Beziehung mit einem Mann. Ich bin genauso geschäftstüchtig, solide und erfolgreich wie ein Hetero. Im Gegenteil: Ich kenne viele heterosexuelle Manager, die einen viel ausschweifenderen Lebensstil haben als ich. Das hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun, sondern mit Charakter.

Was treibt Sie zu dieser Offenheit?

Ich will ein Signal setzen, dass es eine Menge schwuler Top-Manager gibt. Es geht mir nicht um Aufmerksamkeit. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sich endlich ein Manager oder Unternehmer outet, so wie es in der Politik und in den Medien längst üblich ist.

Wie viele schwule Manager kennen Sie?

Statistisch muss es in jedem größeren Vorstand mindestens einen geben. Ich kenne viele. Ich kenne keinen einzigen, der das offen lebt. Mit unheimlichem Aufwand wird das Schwulsein kaschiert.

Spielt das Thema in Ihrem Geschäftsleben eine Rolle?

Was den Geschäftserfolg angeht, spielt es gar keine Rolle. Das Thema hat noch niemand angesprochen. Auch die, die es wissen, sprechen mich nicht darauf an.

Kommen denn Geschäftspartner bewusst auf Sie zu, weil Sie schwul sind?


Nein, Sie haben durch Homosexualität keinen Vorteil. Das Netzwerk wird überschätzt. Schwule Unternehmer und Manager treten genauso in Konkurrenz zueinander wie andere auch.

Hat Ihr Outing also keinerlei Folgen?


Das wird sich zeigen. Ich habe in den vergangenen Monaten eine Reihe attraktiver Jobangebote erhalten. Mehrere Vorstandsposten bei großen Banken waren dabei. Ich denke, damit ist es nun erst mal vorbei. Aber ich kann mir im Moment sowieso nicht vorstellen, zu einer Bank zu gehen. In diesen Zeiten geht es nicht darum, welche Visitenkarte man hat, sondern was man bewegt. Ich gehe voll in dem auf, was ich mache.

Wie ist die Weberbank mit Ihrer Homosexualität umgegangen?


Es gab in dieser Frage zu keinem Zeitpunkt ein Problem. Meine Homosexualität hat nie eine Rolle gespielt, selbst nicht in Nebensätzen. Ich habe das in einem kleinen Kreis sehr offen kommuniziert. Aber ich hatte keine Veranlassung, am ersten Tag eine Rundmail zu verschicken, um über meine sexuelle Orientierung Auskunft zu geben.

In einem so traditionsreichen Bankhaus war es kein Thema, dass der designierte Vorstandsvorsitzende schwul ist?

Nein. Ich habe zu einigen der Herren immer noch einen guten Kontakt. Sie dürfen nicht vergessen: Wir sind in Berlin.

Wo sind Sie in zehn Jahren?


In Berlin.

Und beruflich?

Mittelständischer Unternehmer mit einigen interessanten Beteiligungen, der sich sozial und kulturell engagiert. Jemand, der im Kleinen die Themen so bewegt, dass sie im Großen besser werden.

Wie viele Unternehmen wollen Sie nach der Biomarktkette Vitalia und dem Büromöbelhersteller Samas noch kaufen?

Es geht nicht darum, dass meine Partner und ich Unternehmen kaufen. Wir sind für Beteiligungen offen, aber unsere Kapazitäten sind endlich. Ohnehin steht etwas anderes im Vordergrund: Wir wollen möglichst vielen mittelständischen Unternehmen helfen. Derzeit betreuen wir zwölf Mandanten. Aber wir sind keine Unternehmensberatung und kein Finanzinvestor. Wir sind Unternehmer, die Unternehmern helfen.

Wie funktioniert das?


Wir arbeiten zunächst pro bono, das heißt wir nehmen keinerlei Honorare. Erst nach der Rettung eines Unternehmens erwarten wir eine adäquate Vergütung. Das kann eine Provision sein, aber auch eine Unternehmensbeteiligung. Das wird vorher ausgehandelt. Bei zwei kleinen Unternehmen haben wir auf jegliche Vergütung verzichtet.

Wie hoch ist die adäquate Vergütung?

Wenn wir die Finanzierung restrukturiert haben, erwarten wir zwischen 1,5 und 3,0 Prozent von den neu generierten Finanzmitteln. Aber es muss immer erst der Erfolg da sein.

Warum haben Sie sich an Vitalia beteiligt und übernehmen die Geschäftsführung?

Vitalia ist Marktführer bei den Biomärkten und damit in einem sehr interessanten Segment tätig. Die Banken hatten das Thema Unternehmensnachfolge angeschnitten, und darauf konnte ich mit der Übernahme der operativen Verantwortung eine Antwort geben. Auf diese Weise haben wir die Finanzierung gesichert und das Management neu aufgestellt.

Und der Möbelhersteller Samas?

Da kamen politisch Verantwortliche aus meiner Heimat Worms auf mich zu. Das Problem war so ähnlich wie bei Opel: Der Mutterkonzern, in diesem Fall mit Sitz in den Niederlanden, hatte Probleme, und die deutsche Tochter wäre zwangsläufig in diese Probleme hineingeraten. Wir hatten acht Tage Zeit, das Deutschlandgeschäft zu bündeln und die Liquidität zu sichern. Es ging darum, das Unternehmen zu retten, und deswegen haben wir uns gemeinsam mit dem Management beteiligt. Der Patient lag im Koma – jetzt geht es ihm besser, aber er liegt noch auf der Intensivstation.

Gibt es hierzulande eine Kreditklemme?


Da kann man lange drüber streiten. Auf jeden Fall haben es mittelständische Unternehmen im Moment viel schwerer, Kredite für Betriebsmittel zu kriegen, als noch vor ein paar Jahren. Leider konzentrieren sich alle Politiker im Wahljahr auf die großen Namen. Für die kleinen Mittelständler, die aber neun von zehn Arbeitsplätzen in Deutschland stellen, gibt es keine Lösung und keine Hilfe.

Ist nicht die staatliche KfW-Bank genau dafür zuständig?

Die KfW hängt am Tropf der Geschäftsbanken. Wenn die Hausbank eines Unternehmens nicht mitmacht, kommt auch die KfW nicht zum Zuge. Deswegen erwarte ich eine massive Pleitewelle im zweiten Halbjahr. Wenn dieser Kreditkreislauf nicht endlich wieder in Gang kommt, wird es sehr schnell sehr ernst. Die Banken werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, obwohl wir alle, auch wir mittelständischen Unternehmer, derzeit alles tun, um sie zu retten. Die Regierung sollte die KfW schleunigst in der Lage versetzen, selbst Kredite auszureichen.

Für Sie, die Sie jetzt investieren können, bietet diese Krise große Chancen.

Zunächst hat mich die Krise ja auch getroffen. Genau beziffern kann man das erst viel später, weil vieles ja auch nur Bewertungsverluste sind. Ich würde heute sagen, ich habe einen größeren, aber verkraftbaren Millionenbetrag verloren. In den ersten drei Monaten nach der Lehman-Pleite mussten wir uns um unsere eigenen Baustellen kümmern. Aber Sie haben natürlich recht: Wir sehen die Krise als Chance, wir sind Unternehmer, wir wollen mit unseren Beratungen und Beteiligungen langfristig Geld verdienen.

Aber so weit ist es noch nicht?


Nein. Aber wir schießen kein Geld zu. Unseren Aufwand lassen wir uns erstatten: Bahnfahrt zweiter Klasse und Drei- Sterne-Hotel. Lohnen tut sich das nicht. Das muss es aber auch noch nicht. Wir wollen uns von den üblichen Restrukturierungsberatern mit ihren horrenden Honorarsätzen abheben, die ihr Geld verdienen, auch wenn das Unternehmen sechs Monate später pleite ist.

Das klingt so gutmenschig.


Wir nehmen in Kauf, dass unsere Vergütung erst später kommt. Wenn wir unsere Sache gut machen, haben alle gewonnen: das Unternehmen, die Belegschaft und wir. Wenn wir unsere Sache richtig gut machen, dann verdienen wir wahrscheinlich mehr als die Berater.

Was halten Sie vom Standort Berlin?


Wir glauben an den Standort. Hier arbeiten Politik, Wirtschaft und Medien eng zusammen. Berlin kann in der Krise gewinnen. Kein Unternehmen verlagert seinen Standort, wenn die Geschäfte perfekt laufen. Aber in der Krise kann Berlin für manchen Mittelständler interessant werden. Das sieht man auch an uns: Vitalia und Samas mit zusammen mehr als 2000 Mitarbeitern gehören jetzt einem Berliner Unternehmen. Sobald die beiden Firmen profitabel sind, wird Gewerbesteuer in Berlin gezahlt. Hinzu kommt, dass wir zwei Unternehmen mit Sitz hier in Berlin betreuen und mit drei weiteren im Gespräch sind.

Wie steht es um Ihre eigenen Finanzen? Die Bauarbeiten für Ihr geplantes Haus in Schwanwerder ruhen.

Da gibt es keinerlei Probleme. Das Grundstück ist bezahlt, alles ist in Ordnung. Aber ich habe das Projekt ad acta gelegt. Mein Lebensstil hat sich geändert. Ich bin kein Bankier mehr, ich muss nicht repräsentieren. Ich bin auch vom Gendarmenmarkt weggezogen: in eine Mietwohnung nach Tempelhof, wo ich mit meinem Lebensgefährten lebe. Ich fühle mich da wohl, ich mag die knarrenden Altbaudielen. Ich fahre Smart, nicht S-Klasse. Die Krise lehrt mich, auf dem Boden zu bleiben.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

ZUR PERSON

UNTERNEHMER Harald Christ, 37, lernte bei den Stadtwerken Worms Industriekaufmann. Bei der BHW und der Deutschen Bank startete seine Karriere, ein Millionenvermögen machte er beim Finanzdienstleister HCI. Nach einem kurzen Intermezzo bei der Berliner Weberbank agiert Christ nun als selbstständiger Finanzinvestor.

SOZIALDEMOKRAT Der Arbeitersohn trat schon als 16-Jähriger in die SPD ein. In Hamburg war er Schatzmeister des Landesverbands, in Berlin als Finanzsenator im Gespräch. Er berät die Genossen in Wirtschaftsfragen und pflegt Kontakte zu allen Flügeln der Partei.

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