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Senioren

© dpa

Kaufkraft: Die silberne Generation wird vergoldet

Bislang interessierte sich die Wirtschaft vor allem für Kunden zwischen 19 und 49 Jahren. Nun entdecken Berliner Unternehmer die Älteren, die sich noch nicht als Senioren fühlen. Denn die haben Geld.

Birgitt Gesser hat große Pläne. Demnächst will sie ein eigenes Kaufhaus gründen. Der Ruhestand ist für sie noch weit entfernt. Dabei gilt sie für viele schon als Seniorin: Die Sozialpädagogin ist 56. Im „besten Alter“ würde man bei einem Mann vielleicht sagen. Das klingt nicht besonders charmant, genauso wenig wie die vielen klangvollen Namen, die sich Werbefachleute in der letzten Zeit ausgedacht haben: „Generation Gold“, „Silver Ager“, „Junge Alte“, „Best Ager“ oder „Generation 50 Plus“. Ganz prosaisch ist es einfach die Altersgruppe zwischen 50 und 70 – Gessers Generation. Nur eins sollte man nicht zu ihnen sagen: Senioren. „Als Senioren fühlen sich nur Menschen ab 70“, sagt Birgitt Gesser. Und nicht nur der Begriff stört sie: „Unsere Bedürfnisse kamen bisher oft zu kurz.“

Deshalb will sie ihr Kaufhaus speziell für diese Zielgruppe eröffnen. Als sie sich Gedanken über ihr geplantes Geschäft machte, war ihr sofort klar: Das Wort „Senioren“ darf nicht vorkommen. Bislang hätten sich Produkte, Anzeigen und Werbespots entweder an junge, dynamische Menschen bis dreißig, oder gleich an weißhaarige, gemütliche Großeltern im Schaukelstuhl gerichtet. Wenn man – wie manche Studien und Statistiken – auch die 45- bis 50-Jährigen zu den „Best Agern“ zählt, wird die Absurdität des ganzen besonders deutlich: Senioren sind sie bestimmt nicht. Das wird langsam auch Firmen und Gründern klar – sie entdecken die neue Zielgruppe, während sie sich vorher hauptsächlich an die Kundschaft zwischen 19 und 49 richteten. „Unternehmen stellen sich zunehmend auf den demografischen Wandel ein, aber insgesamt steckt der Markt noch in den Kinderschuhen“, fasste Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Juli diesen Jahres die Ergebnisse einer großangelegten Studie zusammen. Um den Wandel zu unterstützen, hat ihr Ministerium ein Unternehmensprogramm ins Leben gerufen: „Wirtschaftsfaktor Alter – Unternehmen gewinnen“. Im Mittelpunkt steht dabei Gessners Generation, es geht aber auch um die über 70-Jährigen. Ganz so differenziert wie Birgitt Gesser sieht von der Leyen die beiden Altersgruppen nicht.

Dabei sind Menschen im „besten Alter“ eine immer größere und zudem finanzstarke Bevölkerungsgruppe. In Berlin war nach Angaben des Statistischen Landesamtes im letzten Jahr 44,4 Prozent der Bevölkerung über 45 Jahre alt und 26,5 Prozent von ihnen jünger als 65. Tendenz stark steigend. Die Berliner dieser Generation legten zunehmend Wert auf Fitness und würden immer wichtiger als Kunden für Dienstleister – von der Putzfirma über das Wellnessstudio bis zum Reisebüro. Das hat Thomas Rüsch von der Unternehmens- und Wirtschaftsberatung Promo Tool jetzt bei einer Studie herausgefunden. Die Studie ist Teil des EU-geförderten Projekts „Neue Märkte 45+“. Befragt wurden Berliner in Altpankow, Buch, Friedrichshain und Kreuzberg. Trotz einiger Unterschiede in den Stadtteilen sei ein eindeutiger Trend auszumachen. Die Zielgruppe unterscheidet sich nach Meinung von Konsumforschern von der jüngeren: Über 50-Jährige legten besonderen Wert auf Qualität und seien weniger auf Schnäppchen aus. Sie geben gern etwas mehr aus, lassen sich nicht leicht zum Kauf überreden und wollen umfassend zu einem Produkt beraten werden.

Vor allem aber muss das Marketing stimmen und die Zielgruppe erreichen ohne sie dabei alt aussehen zu lassen. Viele tun sich damit noch schwer. Die Messe „Aktiv im Alter“, die vom 16. bis 18. November auf dem Messegelände unterm Funkturm stattfindet, richtet sich zum Beispiel kaum an die „Best Ager“: Viele Aussteller informieren über Krankheiten und betreutes Wohnen. Auch Deutschlands erster „Seniorenfachmarkt“ hatte sich offensichtlich am Markt vorbei orientiert: 2005 in Groß-Räschen in der Lausitz gegründet, meldete er Anfang dieses Jahres Insolvenz an. Die zukünftige Unternehmerin Birgitt Gesser hat das nicht überrascht. Sie sah sich vor der Geschäftsaufgabe im „Seniorenfachmarkt“ um. Man habe sie wie „eine Alte“ behandelt, bemängelt sie. Die Generation ab 45 wolle „keine Oma-Klamotten“, sondern praktische, aber modische Kleidung, zum Beispiel mit größeren Knöpfen und Reißverschlüssen. In ihrem Kaufhaus soll es genau das geben. Dazu besondere Lebensmittel aus Frankreich, Kosmetik für die reife Haut, Bücher mit großer Schrift und Spiele mit großen Symbolen und Zahlen. Außerdem soll es ein Café als Treffpunkt und Veranstaltungsort geben.

Auch Galeria Kaufhof am Alexanderplatz hat sich auf die Zielgruppe eingestellt: „Wir unterliegen nicht dem Jugendwahn“, sagt Geschäftsführer Detlef Steffens. Deshalb gebe es dort eigens Abteilungen mit Marken, die sich an „die mittlere und ältere Generation“ richteten. Dort stehen auch besonders viele Sitzgelegenheiten. „Ab 50 nimmt die Kraft ab, man hört und sieht schlechter", sagt Carla Heldt. Sie ist gerade selbst fünfzig geworden und hat die Firma „Fünfzig+ & Siebzig +“ gegründet. Sie berät Unternehmen, wie sie ihre Produkte für Ältere optimieren können: von der Kaffeemaschine, die sich nach einer Weile selbst ausschaltet bis zur Reise mit Tür-zu-Tür-Service. Heldt prüft Produkte auf ihre „Alterstauglichkeit“ und vergibt die Prüfsiegel „50 Plus" und „70 Plus“. Dabei hat sie beobachtet, dass „die meisten Produkte massiv an der Altersgruppe 45 bis 60 vorbeigehen.“ Die „Schieflage“ falle besonders in der Unterhaltungselektronik auf: „Unternehmen interessieren sich bei der Entwicklung selten für eine leichtere Handhabung von Produkten.“ Beispiel DVD-Player: Bedienelemente und Beschriftung seien oft zu klein, ein älterer Mensch muss immer erst zur Brille greifen, bevor er damit zurechtkommt. Dabei wünschten sich die Menschen der Zielgruppe mehr Komfort – aber auch schickes Design.

Genau das trifft auf das Plastik-Teesieb „Audrey“ zu: Es passt auf nahezu jede Tasse , hat genau die richtige Größe für eine Portion Tee und sieht wie eine rosa Blüte aus. Dazu gehört ein grüner Ständer in Form von Blättern. Das Sieb hat Selma Serman entwickelt, als sie noch Design-Studentin an der Universität der Künste war. Die Idee, Produkte, „die helfen und trotzdem gut aussehen“ für Kunden über 50 zu entwickeln, stammt von ihrer Professorin Karin Schmidt-Ruhland. „Alt“ müsse nicht automatisch etwas Negatives sein, sagt sie. Das Thema sei endlich „nicht mehr so tabu sei wie früher.“ Unter ihrer Anleitung entwickeln viele Studenten solche Produkte: Zum Bespiel ein Pflaster, das mit einer Hand zu öffnen und aufzukleben ist, einen leicht zu öffnenden Drehverschluss, einen rollbaren Getränkekasten mit Griff- und Teleskopstange. Einige Firmen hätten schon Interesse an den Entwürfen ihrer Studenten gezeigt, sagt Schmidt-Ruhland – „noch nicht so üppig – aber sie sind dran!" Besonders gut zu vermarkten seien Produkte, die auch Jüngere ansprechen – wie das Teesieb. Das fand schnell einen Produzenten: Die Firma Koziol. Allein 2006 ist es nach Firmenangaben mehr als 100 000 Mal verkauft worden .

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