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Marktlücke. Dörte (links) und Gerhard Ihler (hinten in der Mitte) verkaufen ihre selbst angebauten Lebensmittel aus der Uckermark auf dem Arkonaplatz in Mitte. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Lebensmittel aus der Region: Frisch von nebenan

Berliner Kunden schätzen Lebensmittel aus der Region, doch in Supermärkten sind diese noch die Ausnahme. Und wo Brandenburg draufsteht, ist manchmal anderes drin.

Die Pilze stammen aus Bayern, die Petersilienwurzeln aus der Pfalz, und der Weiß- und Rotkohl, die Zwiebeln und Boskoop-Äpfel sind überhaupt nicht regional etikettiert. Sie kommen „aus Deutschland“. Der Blick auf die Obst- und Gemüsetheken der Berliner Supermärkte lässt kaum vermuten, dass die Stadt von einem stark landwirtschaftlich geprägten Bundesland umgeben ist. Und das nicht nur jetzt. Auch im Sommer und Frühherbst, der Hauptsaison von Beeren, Tomaten, Gurken, Salaten und Äpfeln, sieht es mit dem Produktangebot aus Brandenburg in den Läden mager aus.

„Wir sind sehr unzufrieden mit dem jetzigen Stand. Da muss sich noch viel bewegen“, sagt Gerd Lehmann. Er ist Geschäftsführer des Verbandes zur Förderung des ländlichen Raumes im Land Brandenburg (pro agro), dem rund 100 vor allem kleinere und mittlere Erzeugerbetriebe angehören. Größere Betriebe liefern Rohstoffe wie Getreide überwiegend in die großindustrielle Produktion nach Westdeutschland oder auf den Weltmarkt. Die Gründe, warum in Berlin außer Spargel aus Beelitz und Gurken aus dem Spreewald so wenig Produkte aus Brandenburg auf den Tisch kommen, sind vielfältig. Lehmann sieht die Hauptursache „im mangelnden Willen zur Zusammenarbeit bei Erzeugern und Einzelhändlern“.

Die Kleinerzeuger müssten stärker unternehmerisch denken, sagt der Vermarktungsexperte. Sie sollten sich über Vertriebswege wie zum Beispiel den Naturkost-Großhändler Terra informieren und sich mit anderen vernetzen, um neue Kunden und Absatzwege zu finden. Ein gutes Beispiel für eine langfristige Entwicklung sei das auch nach Berlin liefernde Ökodorf Brodowin, Gründungsmitglied der Aktionsgemeinschaft „fair & regional“. Die Einzelhändler wiederum müssten akzeptieren, dass es mehr Arbeit bedeutet, wenn Kleinerzeuger nur einzelne Supermärkte und die auch nur saisonal beliefern können. Ihnen sollte der Zugang nicht noch über hohe Listungsgebühren und Werbekosten erschwert werden. Vor allem aber müsse der Handel lernen, Produkte nicht nur über Preissenkungen zu bewerben. „Umfragen zeigen, dass viele Kunden bereit sind, für regionale Produkte etwas mehr zu bezahlen“, sagt Lehmann. Dass dieser Preisunterschied mitunter deutlich, aber nicht riesig ist, zeigt der Blick auf Kartoffelkisten in den Kaiser’s-Supermärkten: Kartoffeln aus Brandenburg kosten pro Kilo derzeit 1,33 Euro, Kartoffeln nicht näher angegebener deutscher Herkunft 99 Cent.

Doch oft muss der Kunde genau hinsehen, um regionale Produkte zu erkennen. Immerhin gibt es bei Kaiser’s oder in den Ullrich- und Bolle-Supermärkten die Regionalmarke „Von hier“ mit rund 70 Produkten aus Brandenburg. Edeka bietet die Marke „Bestes aus der Region“ an. Die genossenschaftliche und dezentrale Organisation der Gruppe erleichtert es den Marktleitern, Angebote kleiner Erzeuger aufzunehmen. „Aufgrund der wachsenden Nachfrage bauen wir die regionale Produktpalette stetig aus“, sagt Heinrich Egbers, Warenkoordinator für Obst und Gemüse bei Edeka. 2010 habe man trotz der schlechten Ernte sechs Apfelsorten aus Brandenburg anbieten können. Doch Egbers gibt auch zu: „Die Kennzeichnung muss offensiver werden.“

So haben viele Supermärkte unter anderem Hemme-Milch aus der Schorfheide und Chicorée aus Oberhavel im Angebot, doch das erfährt nur der Kunde, der Etiketten genau studiert. „Durch die mangelnde Sichtbarkeit der Produkte wird sehr viel Potenzial verschenkt“, sagt Martina Schäfer, Professorin für Nachhaltigkeitsforschung an der Technischen Universität Berlin, und empfiehlt Extraregale wie bei Bioprodukten. Diese könnten auch eine mögliche Irreführung der Kunden verhindern, die aus unzureichenden EU-Etikettierungsregeln resultiert: Da Regionalität im Wettbewerb an Bedeutung gewinnt, versehen immer mehr Firmen ihre Produkte mit passenden Namen. So greift ein Kunde aus Berlin in der Absicht, mit dem Kauf eines regionalen Molkereiprodukts die heimische Wirtschaft und kurze Transportwege zu unterstützen, zu „Mark Brandenburg“-Artikeln von Campina – und überliest dabei womöglich die kleine Aufschrift „aus Milch von deutschen Bauernhöfen“.

Ein Extraregal reicht jedoch nicht aus, um Kunden mit regionalen Spezialitäten bekannt zu machen, die auch in Biosupermärkten wie der Bio-Company oder den LPG-Märkten angeboten werden. „Viele Produkte wie besondere Öle oder Käsesorten sind erklärungsbedürftig. Sie brauchen den aktiven, beratenden Verkauf“, sagt Detmar Leitow von der Handelsgesellschaft Q-Regio, die in Berlin zwei und in Brandenburg fünf „Hofläden“ betreibt; diese führen rund 1000 Erzeugnisse aus Brandenburg.

Zu den etwa 60 Lieferanten gehören Dörte und Gerhard Ihler, die in Gerswalde vor rund zwei Jahren die alte Schlossgärtnerei aus langem Dornröschenschlaf geweckt haben. Das Paar baut unter anderem Äpfel, Möhren und Salate an, fertigt Aufstriche und verkauft seine Produkte auch auf dem Wochenmarkt auf dem Arkonaplatz in Mitte. In Zukunft möchten sie sich genossenschaftlich mit Erzeugern aus der Uckermark zusammentun, um Absatzwege und -märkte in Berlin zu erschließen. „Die Kundennachfrage und das Potenzial bei den Erzeugern sind da“, sagt Gerhard Ihler. Nur an Mut, gemeinsamer Initiative und Ausdauer fehle es manchmal leider noch.

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