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Lehrstellen: Ausbildungsplätze nach Maß

Kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres suchen viele Chefs noch den richtigen Bewerber. Die Arbeitsagentur warnt vor überhöhten Ansprüchen.

Je näher der Beginn des Ausbildungsjahres am 1. September rückt, desto drängender klingen die Aufrufe aus der Wirtschaft: „In vielen Berliner Betrieben werden noch händeringend Auszubildende gesucht“, meldete die Industrie- und Handelskammer (IHK) am Dienstag. „Nie war die Chance auf einen Ausbildungsplatz besser als jetzt!“, betont der Berliner Handwerkskammer-Präsident Stephan Schwarz. Auch in Brandenburg fänden zahlreiche Firmen kaum noch Lehrlinge, beklagen die dortigen Kammern.

Doch Margit Haupt-Koopmann, Chefin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, macht Mut: „Wir können noch viel für die Unternehmen tun“, sagt sie. Man unterstütze Arbeitgeber bei der Suche nach künftigen Fachkräften und könne zurzeit „rechnerisch genügend Jugendliche“ vermitteln. Der demografische Wandel mit sinkenden Schulabgängerzahlen habe zwar dazu geführt, dass es im Vergleich zum Vorjahr 12,3 Prozent weniger Bewerber um Lehrstellen gebe, trotzdem aber liege die Zahl der Interessenten noch immer höher als die der verfügbaren Plätze (siehe Infokasten).

Allerdings mahnt Haupt-Koopmann eine größere Kompromissbereitschaft der Unternehmen an. Firmenchefs, Personalleiter und Ausbildungsbeauftragte müssten verstärkt „Bewerbern die Chance geben, sich persönlich vorzustellen, und nicht nur nach Aktenlage entscheiden“. Es komme nicht allein auf die Schulnoten an, manche Fähigkeiten und besondere Interessen junger Leute zeigten sich erst im direkten Gespräch. Darüber hinaus „hängen manche Betriebe die Latte zu hoch“, sagt der Sprecher der regionalen Arbeitsagenturen, Olaf Möller. Als Beispiel nennt er einen Berliner Friseursalon, der auf einem Azubi mit Abitur besteht. Der Chef sei von Berufsberatern der Arbeitsagentur mehrfach darauf hingewiesen worden, dass „eine passgenaue Vermittlung mit diesen Anforderungen nur sehr schwer erfolgen kann“. Schließlich würden Abiturienten in der Regel lieber ein Studium beginnen oder sich, wenn sie eine Ausbildung anstreben, „eher in anderen Berufsfeldern umsehen“. Bisher halte der Friseurmeister jedoch an seinem hohen Anspruch fest.

Von den Kammern heißt es dagegen, solche Beispiele seien seltene Einzelfälle. „Handwerksbetriebe sind lebensnah und an der Realität orientiert“, sagte Sprecherin Susan Shakery von der Berliner Handwerkskammer. Das Problem sei vielmehr die oft unzureichende Bildung. Eine „typische Klage“ der Betriebe gelte mangelnden Mathematikkenntnissen; zu viele Schüler seien es inzwischen gewohnt, Rechenaufgaben „am Taschenrechner zu lösen“. Das aber sei in der betrieblichen Praxis nicht immer machbar.

Laut Gerd Woweries, Bereichsleiter für Berufsausbildung bei der IHK Berlin, sind vor allem Metall- und Elektroberufe wegen des technischen Fortschritts „anspruchsvoller und schwieriger als in den vorigen Jahren“ geworden. Für Mechatroniker etwa sei „ein guter mittlerer Schulabschluss von Vorteil“. Noch mehr Schulbildung sei allerdings verzichtbar: „Es müssen nicht alle Abiturienten sein.“

Die IHK bietet kleinen und mittleren Unternehmen kostenlos eine „passgenaue Vermittlung“ an, die auf einem gleichnamigen Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums beruht. Betriebe, die keine eigenen Einstellungsverfahren organisieren wollen oder können, können der Kammer die wichtigsten Voraussetzungen für künftige Azubis nennen. Die IHK fragt Interessenten dann nach ihren Neigungen und Kenntnissen, sichtet die Bewerbungsunterlagen und schätzt die Erfolgschancen der Jugendlichen ein. Scheint alles zu passen, wird ein Vorstellungsgespräch in der Firma vermittelt.

Andere Firmen, wie eine Tischlerei in Tegel oder ein Metallbau- und Kunstschmiedebetrieb in Weißensee, bevorzugen eigene Tests oder Kurzpraktika, um die potenziellen Lehrlinge näher kennenzulernen. Wer sich beim Siemens-Konzern um einen Ausbildungsplatz bewirbt, wird in der Regel erst einmal gebeten, einen Online-Qualifikationstest zu absolvieren. Die Ergebnisse sind zunächst für die Selbsteinschätzung des Bewerbers gedacht. Laut Thomas Bruse, Ausbildungsleiter bei Siemens in Berlin, fallen schon in diesem Stadium rund 20 Prozent aller Bewerbungen weg. Manche davon seien ohnehin nur „Spaßbewerbungen“.

Siemens nimmt in Berlin jährlich rund 250 neue Lehrlinge auf. Darüber hinaus schult man 180 Azubis im Auftrag externer Firmen, die laut Bruse die hohe Qualität der Ausbildung schätzen. Aktuell gibt es bei Siemens unter anderem noch Lehrstellen für Automatisierungstechniker, Informations- und Kommunikationstechniker, IT-Systemtechniker oder Oberflächenbeschichter. Bewerber gibt es genügend, auch wenn nicht alle die nötigen Fähigkeiten mitbringen.

Ähnlich ist es beim Energieversorger Vattenfall, der in Berlin jährlich 108 Lehrlinge neu einstellt. Gefragt sind vor allem Ausbildungsplätze für Industriemechaniker, Mechatroniker und Industriekaufleute sowie der „Bachelor of Arts, Fachrichtung Industrie“ . Entgegen dem Trend „sind die Bewerberzahlen bei uns gestiegen“, sagt Vattenfall-Sprecherin Barbara Meifert. Diesmal gab es rund 4300 Interessenten – und die Plätze sind auch schon alle weg.

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