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Mindestlohn: Baufirmen unter Verdacht

Unterschreitet jeder dritte Berliner Betrieb den Mindestlohn? Ein Fall für die Finanzkontrolleure.

Peter Teßmer ist eigentlich ein ruhiger Typ. Dennoch ist der Chef des Berliner Tiefbauunternehmens Kemmer-Harbauer jetzt mächtig sauer. Seine stete Befürchtung, dass sich viele seiner Wettbewerber nicht an den Mindestlohn halten, scheint sich nämlich in diesen Tagen als Tatsache herauszustellen.

Das legt zumindest eine aktuelle Auswertung der Sozialkasse für das Berliner Baugewerbe nahe, die dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegt. Demnach steht mindestens jeder dritte der rund 1800 mittelständischen Baubetriebe in Berlin im Verdacht, den Baumindestlohn nicht zu zahlen. „Die von uns erstellten Auswertungen der Arbeitszeiten und der Löhne der bei uns gemeldeten Arbeitnehmer lassen das zumindest vermuten“, erklärt Dietmar Witt, Geschäftsführer der Sozialkasse, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifparteien.

Aus den Daten geht hervor, dass in rund 35 Prozent der Betriebe weniger als die Hälfte der tariflichen Arbeitszeit gearbeitet wird. Demnach müsste eine große Zahl der etwa 16000 beim Berliner Bau beschäftigten Arbeitnehmer nur Halbtagsstellen haben. Das eben sei aber unwahrscheinlich, sagt Witt. Denn Teilzeit am Bau existiere eigentlich nur in der Theorie. „Die Vermutung, dass in einer Vielzahl dieser Betriebe gegen den Mindestlohn verstoßen oder schwarzgearbeitet wird, liegt da auf der Hand“, sagt Witt. Wolf-Burkhard Wenkel, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau (FG Bau), sagt es noch deutlicher: „Der Mindestlohn wird in vielen Fällen offenbar dramatisch unterschritten.“

In der Praxis soll das so funktionieren: Ein Bauarbeitnehmer arbeitet 40 Stunden pro Woche. Am Ende eines Monats teilt sein Arbeitgeber die Summe seines Lohns durch den Mindestlohn. Die Zahl der Arbeitsstunden, die sich daraus errechnet, meldet er anschließend an die Sozialkasse – ohne dass der Betrug auffällt. Für Peter Teßmer ist diese Praxis eine Frechheit: „Mit so einer Politik verzerren die Betriebe den Wettbewerb und gefährden die seriösen Betriebe“, schimpft der Unternehmer, der zugleich Präsident des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg ist.

Aber nicht nur den Unternehmern ist das ein Dorn im Auge. Auch die Sozialkassen und das Finanzministerium ärgert dieser Betrug immens. Denn ihnen entgehen auf diesem Weg jedes Jahr Gelder in Millionenhöhe. Die Sozialkasse hat daher inzwischen die zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), eine Unterbehörde des Bundesfinanzministeriums, über ihre Auswertungen in Kenntnis gesetzt. Damit habe man den Kontrollbehörden erstmals belastbares Material vorlegen können, dem nun nachzugehen sei, sagt die FG Bau. Die FKS konnte auf Anfrage zu dem aktuellen Stand der Ermittlungen allerdings keine Auskunft geben. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, drohen den Unternehmern Geldbußen, der Ausschluss von Ausschreibungsverfahren und im schlimmsten Fall sogar Gefängnisstrafen.

Rainer Knerler, Regionalleiter der Gewerkschaft IG Bau, räumt jedoch ein, dass es schwierig ist, die betroffenen Unternehmer zu fassen. „Oft sind das Kleinstbetriebe, die nur kurze Zeit am Markt bestehen, um dann unter einem anderen Namen zurückzukehren“, sagt Knerler.

Die Fachgemeinschaft Bau befürchtet sogar, dass der Betrug künftig noch zunehmen wird, wenn am 1. September in Berlin der Mindestlohn für gelernte Arbeiter von derzeit 12,50 Euro auf 12,85 Euro steigt, während er im Umland bei 9,80 Euro bleibt. Auch Peter Teßmer bedauert, dass die Mindestlohnschere weiter auseinandergeht, betont aber zugleich, wie wichtig er die gesetzliche Lohnuntergrenze findet. „Das Instrument funktioniert, vorausgesetzt der Wettbewerb findet unter seriösen Firmen statt.“

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