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Berliner Wirtschaft: Telefonieren ohne Tarifvertrag

Callcenter-Firmen treffen sich zum Kongress in Neukölln. Die Branche boomt – hat aber keinen guten Ruf

In der Lobby des Estrel-Hotels haben sich lange Schlangen am Empfang gebildet. Die Männer tragen Anzüge, saisonbedingt mit hohem Wollanteil, die Damen dunkle Kostüme und weiße Blusen. Anthrazit und Grau sind die zeitlosen Farben ihrer Kongressuniformen. Nur die Werbeträger bringen Farbe ins Einerlei, kleiden Hostessen in leuchtend gelbe Kleider oder kurze schwarze Röcke mit knallroten T-Shirts – so lockt man Kunden nach „Cuba“, einem der Stände auf der Fachmesse „Call-Center World 2009“.

Für Berlin ist die Branche ein Segen: Viele der neuen Arbeitsplätze in der Stadt entstanden durch die Gründung oder Verlagerung von Telefondienstleistern an die Spree. Die Branche ist aber auch ein bisschen ein Fluch: Die Jobs gelten als schlecht bezahlt und so manches Unternehmen als unseriös. Zuletzt kratzte die Verwicklung in den Datenskandal der Telekom am Ruf. Ganz fair ist das nicht. Denn Messeteilnehmer und Verbandsvertreter weichen diesen Themen – Seriosität, Ausbildungsstandards, Mindestlohn sowie Neuregelung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – nicht aus.

Das geht auch schlecht, denn vor dem Hotel haben an diesem sonnigen Wintermorgen einige Dutzend Verdi-Aktivisten Stellung bezogen. „Die Branche braucht einen Tarifvertrag und zwar jetzt“, steht auf einem Transparent. Verdi-Mann Theodor Walter, der aus Magdeburg angereist ist, sagt warum: „Viele müssen Arbeitslosengeld II beantragen trotz einer Vollzeitstelle im Callcenter“, sagt er. Der Grundlohn betrage teilweise nur 5,11 Euro die Stunde. Viele Mitarbeiter von Callcentern dürften auch nur rund 30 Stunden pro Woche arbeiten, weil die Firmen sonst um deren Effizienz fürchteten – „deshalb reicht das Geld vorne und hinten nicht aus“, sagt Walter. Und wer sind die schwarzen Schafe der Branche? Das seien nicht die Callcenter, sondern Unternehmen, die ihre Dienstleistungen an Callcenter ausgliedern, glaubt der Verdi-Mann. Die Telekom zum Beispiel, die fremde Firmen mit der Abwicklung von Telefonauskunft und technischer Hotline beauftragt habe. Während am anderen Ende der Leitung früher Sachbearbeiter des Bonner Konzerns gesessen und dafür etwa 15 Euro die Stunde erhalten hätten, seien es heute Mitarbeiter der Callcenter-Betreiber Arvato oder Walter Services, die mit 7,50 Euro entlohnt würden. Das nennt man Kostensenkung.

In der Halle gehen den Kongressteilnehmern Bekenntnisse zu Mindestlohn und Tarifvertrag nicht leicht über die Lippen. Der Preisdruck in der Branche ist groß: „Bei vielen Ausschreibungen fragen wir uns auch ohne Mindestlohn, wie unsere Konkurrenten die Leistungen so billig anbieten können“, sagt Jutta Lorberg, Sprecherin von SNT. Die Firma hat 530 Mitarbeiter in Berlin und 2300 in Potsdam. Sie telefonieren zum Beispiel für den Handy-Provider E-plus und für Medion, den Technik-Lieferanten von Aldi.

Und weil namhafte Kunden bedient werden, setzt man bei SNT auf Qualität. „Das ist kein Job, sondern ein Beruf“, zählt zu den Glaubenssätzen der Firma. Deshalb werden bevorzugt ausgebildete Mitarbeiter eingestellt: Seit zwei Jahren gibt es die von der Industrie- und Handelskammer geschützten Berufsbezeichnungen „Service-Fachkraft“ und „Kaufmann für Dialogmarketing“.

Qualifizierte Mitarbeiter braucht man bei SNT auch deshalb, weil man dem Kostendruck durch „Cross- and Upselling“ begegnet: Die Mitarbeiter sollen bei Gesprächen über die Verlängerung eines Handyvertrages den Kunden gleich noch eine Versicherung gegen Diebstahl oder Beschädigung des Handys anbieten. Das muss freundlich, ohne Druck oder Irritationen ablaufen – darauf legen die Auftraggeber Wert. Dazu braucht man geschicktes geschultes Personal. Deshalb sei die Gründung von Callcentern in Indien oder Irland aus der Mode. „Die Anzahl der Muttersprachler ist dort naturgemäß begrenzt“, sagt Jutta Lorberg. Und der Aufwand für Schulungen, Qualitätskontrolle und Management zu hoch.

Fernab vom Firmensitz sitzen die meisten Mitarbeiter der Berliner „Value5“: In der Einzimmerwohnung im Hinterhaus oder unter dem Dachgeschoss des Reihenhauses – Hauptsache es gibt Telefon und Internet. „Egopreneure“ nennt sie Geschäftsführer Thomas Dehler im neudeutschen Jargon, der seit dem Ende der New Economy seltener zu hören ist. Für Dehlers Firma telefonieren 400 Mitarbeiter. Sie sind spezialisiert auf Computerspiele, Energieanbieter und Gesundheitsindustrie. Was man verdient? „Die Human Resource bestimmt den Preis“, weicht Dehler aus.

„Die Verdi-Forderung nach einem Mindestlohn ist absolut berechtigt“, sagt Jens Fuderholz. Der Sprecher der Branchenvertretung „Call Center Forum Deutschland“ spricht sich sogar für die Novelle des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb aus. Das würde die Callcenter unter anderem dazu zwingen, ihre Rufnummern bei Telefonkontakten mitzusenden, was Beschwerden erleichtern würde. Ein Anruf sei der „sicherste und preiswerteste Kontakt mit Kunden“, sagt Fuderholz. „Das machen wir uns kaputt, wenn wir nicht gegen die schwarze Schafe vorgehen.“

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