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Frank Gilly, Chef der Berliner Bank.

© Thilo Rückeis

Wachstum in Berlin: "Berlin muss wieder Industriestadt werden"

Berlin hat eine lange Phase der Deindustrialisierung hinter sich. Kann die Hauptstadt nun Dax-Unternehmen in die Stadt locken? Frank Gilly, Chef der Berliner Bank, über die Entwicklung seines Unternehmens und der Region.

Herr Gilly, die Berliner Bank wurde einst von Ernst Reuter gegründet, in schwierigen Zeiten. Schwierige Zeiten erlebte die Bank auch, bis sie 2006 an die Deutsche Bank verkauft wurde. Heute hat die Bank 350 000 Kunden und will wieder wachsen. Wo sehen Sie Wachstumsfelder?

Wachstum ist zum Beispiel rund um das Thema Baufinanzierung möglich. Es gibt keine deutsche Großstadt, in der die Eigentumsquote so gering ist. Die Bevölkerung wird weiter wachsen, Wohnraum ist hier noch bezahlbar, und die Zinsen sind noch historisch niedrig. Im Privatkundengeschäft konzentrieren wir uns auf einkommensstarke Haushalte. Aber auch die Themen Altersvorsorge, klassische Vermögensberatung und -verwaltung sind spannend. Mein Ziel für 2011 sind 20 000 Neukunden, in den ersten Monaten haben wir schon deutliche Erfolge erzielen können. Im Fokus stehen dabei insbesondere einkommensstarke Haushalte.

Ein Konkurrent auf dem Markt für Privatkunden ist die Deutsche Bank. Wie grenzen Sie sich gegen die mächtige Mutter ab?

Die Berliner Bank war immer schon die Bank des Berliners, vor allem bei den vermögenden Kunden. Unser Marktanteil in diesem Segment war ein Grund für die Entscheidung der Deutschen Bank, uns zu kaufen. Das liegt auch daran, dass wir stark auf Kontinuität setzen, bei uns wechseln die Berater nicht alle zwei bis drei Jahre. Die Kundenbindung ist stark ausgeprägt, das sieht man daran, dass wir während der Übernahme kaum Kunden verloren haben, obwohl wir ihnen einiges zugemutet haben, etwa den Wechsel der Kontonummer.

Sie wollen neue Kunden gewinnen. Was bieten sie, was große Konzerne nicht haben?

Was die klassischen Bankprodukte angeht, kann man sich kaum vom Wettbewerb unterscheiden. Wir setzen daher auf eine sehr persönliche und individuelle Beratung. Die Hauptfrage ist heute: Wie begegnet man den Kunden, wie geht man auf Bedenken und Vertrauensverluste nach der Finanzkrise ein? Anders als andere Banken sind wir in den Berliner Kiezen stark verwurzelt. Wir sind auf Straßenfesten präsent und bieten auch außerhalb unserer Öffnungszeiten sowie zu besonderen Themen Beratungstage am Sonnabend an.

Im Osten sind Sie kaum präsent?

Anders als andere Banken haben wir in der Nachwendezeit keine Bank im Osten übernommen. Einige Standorte haben sich nicht so entwickelt, wie wir uns das gedacht haben, andererseits haben wir in Adlershof eine Filiale eröffnet. Wir werden sehr genau beobachten, was sich im Südosten Berlins tut, rund um den BBI.

Berlin hat seit 2006 mehr als 110 000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Kann sich dieses Wachstum fortsetzen?

Berlin wird in erster Linie weiter im Tourismusbereich wachsen, auch durch den neuen Flughafen BBI. Dazu kommt etwa Adlershof, wo wir die höchste Wachstumsrate an Arbeitsplätzen in Deutschland haben. Die Ballung an Forschung, Entwicklung und Innovation sowie den rund 140 000 Studierenden wird zu neuen Impulsen und Geschäftsideen führen.

Berlin hat eine lange Phase der Deindustrialisierung hinter sich. Liegt die Zukunft im Dienstleistungsbereich?

Die alleinige Konzentration auf Dienstleistungen war meines Erachtens ein großer Fehler. Wir wären gut beraten, wenn wir wieder versuchten, mehr zur Industriestadt zu werden. In Berlin ist die Quote an Industriearbeitsplätzen nur halb so hoch wie im Bundesschnitt. Wenn wir den hervorragenden Wissenschaftsstandort nutzen und Existenzgründungen unterstützen, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien, der Optik oder der Schienentechnik, dann werden hier sicherlich auch industrielle Arbeitsplätze entstehen.

Berlin ist Gründungshauptstadt – 2010 wurden 43 000 neue Unternehmen gegründet, doch die Arbeitsplatzeffekte sind noch gering. Brauchen Gründer mehr Unterstützung und Risikokapital?

Das sind ja keine Gründungen, die gleich mit 20, 30 Arbeitsplätzen einhergehen. Es entwickeln sich erst im Laufe der Zeit neue Perspektiven und Arbeitsplatzzahlen. Aber diese Existenzgründer sind entscheidend für die Zukunft der Stadt, die ja eher wenige große Arbeitgeber hat. Zusätzliche Kapitalformen brauchen wir aber nicht bei Existenzgründern. Wir tun einiges. Wir übernehmen zum Beispiel Stipendien für Studenten und haben einen Businessplan-Wettbewerb für Gründer gemeinsam mit der Investitionsbank. Die Berliner Bank finanziert auch seit Jahren konsequent den Bereich Solartechnik. Berlin hat zudem gute Voraussetzungen, etwa in der Verkehrstechnik. Es gibt ein gutes Straßensystem und ein hervorragendes Nahverkehrssystem. Berlin sollte daher versuchen, eine Vorreiterrolle bei der E-Mobility zu spielen und sich das Ziel setzen, hier 100 000 Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Aus so einer Initiative entstünden neue Arbeitsplätze. Und Berlin hätte durch eine solche grüne Initiative nicht nur ein verbessertes Verkehrssystem, sondern auch einen enormen Imagegewinn.

Kann Berlin in absehbarer Zeit ein Dax-Unternehmen in die Stadt holen?

Den baldigen Zuzug eines Dax-Unternehmens halte ich für unwahrscheinlich. Allerdings kommt es darauf an, welche Flächen und welche Konzepte Berlin anbietet, gerade bei der Verknüpfung mit der Wissenslandschaft der Hauptstadt.

Jahrelang haben Investoren und Unternehmer beklagt, dass sie hier eher als Bittsteller behandelt werden. Gibt es eine Willkommenskultur in der Verwaltung?

Das Verhältnis der Stadt zu Unternehmensansiedlungen hat sich wahrnehmbar zum Positiven geändert. Mit der Initiative Industriestadt Berlin hat der Senat zudem ein richtiges Signal gesetzt.

Engagiert sich der Regierende Bürgermeister genügend für die Wirtschaft?

Berlin hat heute viele Wachstumsperspektiven. Und diese Perspektiven sind teilweise in den letzten Jahren entstanden. Berlin ist insgesamt auf einem guten Weg, auch wenn man immer Themen findet, die man besser machen kann. Die Verkehrspolitik ist nicht konsequent genug auf die Möglichkeiten der Stadt ausgerichtet. Bei der Nachnutzung des Flughafens Tempelhof mangelt es an einem klaren Entwicklungskonzept. Und in Adlershof hat man viel für die Ansiedlung von Forschung und Unternehmen getan, aber versäumt, dort auch Wohnmöglichkeiten zu schaffen. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass wir immer noch über die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 debattieren, die ich für die verkehrliche Erschließung für unverzichtbar halte, insbesondere wenn der neue Flughafen in Schönefeld in Betrieb geht.

Hat die Finanzbranche, haben Sie Angst vor einer grünen Bürgermeisterin?

Die Grünen haben in den Bundesländern schon in vielen verschiedenen Koalitionen regiert. Ich würde mich deshalb mal überraschen lassen.

In der City West tut sich was. Erobert sie sich ihre Vorrangstellung zurück?

Die City West hat in den letzten zwei Jahrzehnten sehr stark gelitten. Was aber in der letzten Zeit hier in Bewegung gekommen ist, mit dem Waldorf-Astoria im Zoofenster-Hochhaus, dem Bikini-Haus oder der Sanierung der Gedächtniskirche, sind wichtige Impulse – auch als Anziehungspunkt für Touristen. Hinzu kommt der Wissenschaftscampus, der sich rund um die TU entwickelt. Damit gewinnt die City West insgesamt deutlich an Attraktivität. Um den Bahnhof Zoo herum kann man noch sehr viel mehr tun, doch um die Entwicklung zu unterstützen, muss der ICE wieder am Bahnhof Zoo halten, weil er die schnelle Anbindung nach Hamburg, Hannover oder Frankfurt sicherstellt.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski, Miriam Schröder und Cay Dobberke. Frank Gilly (52) ist seit Beginn dieses Jahres der Vorsitzende der Geschäftsführung der Berliner Bank. Der gebürtige Berliner arbeitet bereits seit 1997 für das Geldinstitut.

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