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Berliner Wirtschaft: Wenn der Ofen aus ist

Es gibt immer weniger klassische Bäcker und Fleischer, die noch selbst produzieren Sie werden von Discountern und Supermärkten verdrängt. Aber auch von Bioanbietern

Dorett Auerswald reiht sich sonnabends ohne Murren in die lange Schlange ein, die sich vor der kleinen Bäckerei Bernd Lau am Arnswalder Platz bildet. Einmal pro Woche fährt sie den längeren Weg von Tiergarten nach Prenzlauer Berg: „Weil es in der Bäckerei Lau die besten Brötchen der Stadt gibt“, sagt sie. Denn hier backt der Meister noch selbst – von Hand und ohne Backmischungen.

Auf diese Weise hergestellte Brötchen, Brote und Kuchen gab es noch vor zwanzig Jahren an jeder Ecke. Inzwischen müssen die Berliner danach suchen: Die Zahl der klassischen Bäckereien, die noch selbst produzieren, hat drastisch abgenommen. Waren es 1990 noch 533 Handwerksbäckereien in Berlin, sind es derzeit nur noch 206. „Die Betriebe geben auf, weil sie kaum noch kostendeckend arbeiten können“, sagt Lau. Er selbst mache zwar weiter, aber nur aus Idealismus. „Die Umsätze sind rückläufig“, klagt der Bäckermeister. Die lange Schlange entstehe nur sonnabends vor seinem Geschäft. Die Kunden seien nicht bereit, seine gute Arbeit angemessen zu honorieren, sagt Lau.

Weil Ähnliches auch für Fleisch- und Wurstwaren gilt, ist der Rückgang bei den Fleischerfachgeschäften ähnlich dramatisch. Sie sind im gleichen Zeitraum von 375 auf 153, und damit ebenfalls um rund 60 Prozent, geschrumpft. „Von 150 Innungsbetrieben vor zehn Jahren sind nur noch 55 übrig geblieben“, sagt Klaus Gerlach, Inhaber eines Fleischerfachgeschäftes in Prenzlauer Berg und Obermeister der Berliner Fleischer-Innung. Einen Mangel an Brot und Wurst gibt es dennoch nicht zu beklagen. Noch immer kann man an jeder Ecke Schrippen und Salami kaufen. Nur heißen die Bäcker und Metzger von nebenan mittlerweile Aldi oder Kaisers – manchmal gar Aral oder Shell. Supermärkte und Tankstellen sind an die Stelle der traditionellen Bäckereien und Fleischereien getreten. Harte Konkurrenz für Bernd Lau und seine Kollegen sind seit einiger Zeit auch Discount-Bäcker mit Selbstbedienung. Das Hamburger Unternehmen Back-Factory zum Beispiel will die Zahl der Verkaufsstellen in Berlin innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre von derzeit fünf auf 15 verdreifachen. Schließlich seien die bestehenden Filialen „sehr erfolgreich“, sagt Verkaufsleiter Swen Jaggard: Im Schnitt kämen 1000 Kunden pro Tag in jeden Laden. Und auch die Firma BackWerk aus Essen sieht in Berlin „langfristig das Potenzial von mehr als 30 Standorten“, sagt eine Sprecherin.

Die Backwaren aus dem Supermarkt und den Discountern unterscheiden sich sehr von Bernd Laus Brötchen: Meistens sind es industriell hergestellte, aufgebackene Teiglinge, angeliefert aus Osteuropa oder China, haltbar gemacht mittels Konservierungsstoffen. Die Supermarkt- und Discounter-Kunden scheint das wenig zu stören, weil der Preis konkurrenzlos ist: Für 15 Cent gibt es die Schrippe nur beim Discounter. Der klassische Bäcker verlangt zwischen 20 und 25 Cent. Auch an der großen Zahl von Filialbetrieben wie Kamps, Wiedemann oder Thoben liegt es, dass kleinere Bäckereien nicht mehr mithalten können. Kamps zum Beispiel unterhält mehr als 100 Filialen im Stadtgebiet, Wiedemann und Thoben kommen zusammen auf mehr als 50. Diese Ketten liegen qualitativ und im Preis zwischen den traditionellen Bäckern und den Discountern. Kamps etwa produziert für alle Bäckereien im Stadtgebiet in einer zentralen Bäckerei.

Auch bei den Fleischern geht es im Konkurrenzkampf um große Preisunterschiede. Während das Kilogramm Hähnchenbrustfilet bei Kaisers für 6,90 Euro zu haben ist, kostet es in der klassischen Fleischerei rund 10 Euro. Aber nicht jeder Verbraucher schaut zuerst auf den Preis, viele greifen sogar gerne tiefer in die Tasche – allerdings nur, wenn sie dafür besondere Qualität bekommen. Es reicht jedoch nicht, allein auf den guten Geschmack zu setzen, wie die meisten Traditions-Bäcker und -Fleischer es tun. Wenn Betriebe aber ihre Produkte mit Bio- oder anderen Qualitätssiegeln „veredeln“, kehrt sich der Trend um: Die Bio-Company etwa verlangt 25,50 Euro für ein Kilo Hähnchenbrustfilet, und das Geschäft läuft gut.

Von anspruchsvollen Kunden können auch kleine Firmen profitieren, wie die Bio-Bäckerei Beumer & Lutum in Kreuzberg beweist. „Seit 14 Jahren verzeichnen wir mit unserer Philosophie, nach Original-Rezepten zu backen und ausschließlich ökologische Rohstoffe aus der Region zu verwenden, ein kontinuierliches Wachstum“, sagt Inhaberin Christa Lutum. Für Biobrötchen zahlt der anspruchsvolle Kunde gern 30 Cent.

Auch Fleischermeister Jens Dankert setzt auf besondere Qualität. Und der Inhaber einer Fleischerei in Mariendorf ist mit dem Geschäft zufrieden. „Jedes Jahr steigt der Umsatz“, sagt Dankert, „weil ich selbst gemachte Wurst anbiete – ohne Zusatzstoffe wie Phosphat, Glutamat oder Laktose.“ An seiner Tür hängt das „Neuland“-Logo: Es bedeutet, dass das Fleisch von Tieren stammt, die artgerecht und umweltschonend gehalten werden. Der Hinweis auf den feinen Unterschied macht sich bezahlt.

Wo keine Fachgeschäfte mehr in der Nähe sind, profitieren die Biomärkte. „Wir haben unser Angebot an Fleisch-, Wurst- und Backwaren in letzter Zeit enorm ausgedehnt und entsprechend die Umsätze gesteigert“, sagt Werner Schauerte, Geschäftsführer der LPG-Biomarkt GmbH. Der Bio-Supermarkt Lüske in Lichterfelde verzeichnet ebenfalls „steigende Umsätze“, so Pressesprecher Bernd Schüßler. Etliche Kunden kämen nur deshalb zu Lüske, um Fleisch oder Brot zu kaufen. „Das ist erfreulich“, so Schüßler, „zeigt allerdings auch, dass wir der nächstgelegene Laden sind.“

Sabine Hölper

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