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Wer in Berlin eine Wohnung sucht, hat schnell das Gefühl, keine Chance zu haben.

© dpa

Berliner Wohnungsmarkt: Audienz beim Makler

Menschenschlangen, argwöhnische Blicke: Bei der Wohnungssuche muss man ihn überzeugen – den Makler. Vor allem auf dem umkämpften Wohnungsmarkt in Berlin. Über einen Berufsstand, der in Verruf geraten ist.

Zehn Zentimeter, so nah kommt ihm der Ägypter plötzlich. Und er raunt ihm etwas zu. Worte, die nur er, der Makler, verstehen kann und die auch nur für ihn bestimmt sind.

Sven Hubert, 31, blass und schmal, lächelt und sagt nichts.

Der Makler hat zu einer Massenbesichtigung in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Hertastraße in Neukölln geladen. Die beiden Männer stehen in der Küche der Wohnung, die der Ägypter, kräftig und dunkelhaarig, mieten will. Und er ist nicht allein. Auch die Konkurrenz des Ägypters ist da. Vor dem Küchenfenster steht eine junge Ärztin mit großen schwarzen Augen, sie ist extra aus Hamburg angereist. Zwei Studenten mit Jutebeuteln lehnen im Türrahmen, dahinter wartet im Gang ein Frührentner aus Nürnberg.

Später wird Hubert sagen, dass er den Atem des Ägypters spüren konnte, und dass dieser ihm sagte: „Sie bekommen eine Extra-Provision von mir, wenn ich die Wohnung kriege.“

Jetzt macht er einen Schritt zurück, vom Ägypter weg und hin zur Hamburger Ärztin. „Sie wollen auch ein Bewerbungsformular?“, fragt Hubert die junge Frau. „In vier Tagen entscheidet die Hausverwaltung, wer die Wohnung bekommt. Bis dahin brauche ich Ihre Unterlagen.“ Es klingt offiziell.

Die Wohnung ist 61 Quadratmeter groß, kostet 366 Euro kalt, plus etwa 60 Euro für die Gasetagenheizung und wird provisionsfrei vermietet. Die Wohnung liegt gleich hinterm S-Bahn-Ring, hat eine große Küche, zwei Zimmer mit neu verlegtem Laminat. Im Flur liegen alte Dielen, Leisten fehlen, so dass man die schlecht verputzte Kante sieht, an der Boden und Wand aufeinandertreffen. Das Bad hat eine Wanne und ist frisch saniert. Etwa 30 Leute sind gekommen. Neben den Wohnungssuchenden in der Küche sind zwei türkische Pärchen da, ein lesbisches Paar, ein schwules Paar, viele Studenten, eine Frau, die nach der Trennung von ihrem Mann eine eigene Wohnung braucht, ein Paar um die 50. Sie alle sagen irgendwann zu Sven Hubert, dass ihnen die Wohnung sehr gut gefällt.

„Oh“ sagen sie oder „krass“ oder „Pff“, als sie die anderen im Flur sich drängen sehen, um in die Küche zu gelangen, wo Sven Hubert die Bewerbungsbögen verteilt. Wenn sie dann durch die Zimmer streifen, mustern sie einander aus den Augenwinkeln. Und sie verlassen die Wohnung mit hängenden Schultern, niedergedrückt von der Befürchtung, dass sie angesichts der vielen Mitbewerber, ohnehin keine Chance haben.

„Wir steuern auf eine echte Wohnungsnot zu“, sagte Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips im Dezember. „In Deutschland fehlen schon jetzt 250 000 Wohnungen.“

In seinem Stufenmodell stehen Angestellte ganz oben

Jedes Jahr werden zwar ungefähr 70 000 neue Mietwohnungen gebaut. Doch gleichzeitig fallen 100 000 Sozialwohnungen im Jahr weg, und bisher werden sie nicht ersetzt. Die Wohnungsnot betrifft vor allem die Großstädte. Besonders dramatisch ist die Situation in München, Hamburg, Frankfurt und in Berlin, wo jedes Jahr zwischen 6000 und 7000 Wohnungen fehlen, wie der Berliner Mieterbund schätzt. Es ziehen immer mehr Menschen nach Berlin, allein im vergangenen Jahr waren es 41 000. Gleichzeitig werden die Haushalte immer kleiner, leben die Menschen immer häufiger allein oder in Kleinfamilien.

Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mieterbundes, sagt am Telefon, „der angespannte Wohnungsmarkt führt zu einem immer größeren Konkurrenzkampf unter den Mietern“. Der Makler ist der Kampfrichter, er entscheidet, welchen Bewerber er dem Vermieter vorschlägt. Dafür teilt er die Mieter in ein einfaches Stufenmodell ein. Sven Hubert erklärt, dass vor allem die Unterlagen des Bewerbers entscheiden, auf welche Stufe er kommt. Das Einkommen muss hoch genug sein – die Miete sollte höchstens ein Drittel des Nettoeinkommens verschlingen – und er sollte keine Schufa-Einträge haben, die ihn als Schuldner zu erkennen geben. Aber dann sagt Sven Hubert auch: „Das Bauchgefühl spielt natürlich eine Rolle.“

Im Mieter-Stufenmodell von Sven Hubert stehen ganz oben deutsche Angestellte und deutsche Studenten, deren Miete verlässlich von den Eltern überwiesen wird. Ganz unten drängen sich Menschen mit Schufa-Einträgen, Migranten und Hartz-IV-Empfänger. „Deutsche mit Schufa-Einträgen haben immer noch Chancen“, sagt Hubert. Und: „Ausländer nehme ich nicht so gern. Die sind laut und haben oft und viel Besuch.“

Weil Makler zu einem bestimmten Zeitpunkt ziemlich viel Macht über ein Leben haben, sind sie nicht sonderlich beliebt. Auf der Rangliste der angesehensten Berufe liegt der Makler knapp vor dem Versicherungsvertreter, dem Schlusslicht. Zu diesem schlechten Ruf trägt bei, dass es in Deutschland üblich ist, dass der Mieter die Arbeit des Maklers bezahlt – meist beträgt die Provision zwei Kaltmieten plus Mehrwertsteuer, die per Gesetz festgelegte Obergrenze – auch wenn der Makler meist nicht mehr für ihn tut, als die Wohnung aufzusperren. Das heißt, diesen Job könnte jeder ausüben, der mit Nichtstun Geld machen will. Tatsächlich darf sich beim Finanzamt jeder als Makler registrieren lassen.

Sven Hubert gehört zu den guten Maklern. Er hat Immobilienkaufmann gelernt. Seit sechs Jahren arbeitet er bei einer großen Immobilienfirma, die Provisionen normalerweise von demjenigen verlangt, der sie beauftragt, also vom Vermieter, wie es sich der Mieterbund wünscht. Wenn der Vermieter darauf besteht, kassiert allerdings auch Sven Hubert die Provision vom Mieter. „Fast immer kann ich meine Kunden aber überzeugen, dass sie bessere Mieter bekommen, wenn sie selbst es sind, die mein Gehalt bezahlen.“

Bessere Mieter. Jene also, die auf der obersten Stufe stehen.

Trotz allem findet Sven Hubert, dass die Lage auf dem Berliner Mietmarkt noch nicht angespannt sei. Wer eine Wohnung brauche, finde eine. Er sagt aber auch: „Ich kenne natürlich Leute, die seit einem Jahr eine Wohnung suchen.“

Es sind die, die im Stufensystem ganz unten stehen. Für sie gilt in Berlin die Wohnungsnot, die der Mieterbund meint. Das bestätigen viele andere Makler.

Für den Ägypter hat er nichts. Trotz des Angebots der Extra-Provision

Das Haus in der Hertastraße gehört seit eineinhalb Jahren einem Immobilienfonds. Die Managerin verstand schnell, dass es besser ist, die Provision bei Neuvermietungen zu übernehmen. Noch davor hatte sie Sven Hubert erklärt, er solle die Wohnungen teuer vermieten. Saniert werden solle nur, wenn es unbedingt notwendig sei und sich lohne. Nach vier Jahren soll das Haus verkauft werden. Zwei der 18 Wohnungen stehen gerade leer. Die Sanierung würde jeweils etwa 20 000 Euro kosten. Das lohnt sich nicht. Bis zum Wiederverkauf würden die Mieteinnahmen für beide Wohnungen etwa 8000 Euro betragen.

Sven Hubert ahnte, dass viele Leute zur Besichtigung in der Hertastraße erscheinen würden. Noch ehe er die Wohnungsanzeige auf Immoscout hochgeladen hatte und 80 Anfragen kamen. Erstens passt die Wohnung in das häufigste Suchschema der Seite: Ein- und Zwei- Zimmer-Apartments in Kreuzberg und Neukölln sind dort besonders gefragt. Zweitens ist es seinem Auftraggeber egal, ob die Mieter Hartz IV beziehen. Der glaubt nicht an das Vorurteil, dass Arbeitslose ihre Miete nicht bezahlen. Aus Erfahrung weiß er, dass das Jobcenter die Miete zuverlässig überweist.

Die Suchenden in der Hertastraße bilden einen Querschnitt durch das Mieter-Stufensystem von Sven Hubert, das so oder ähnlich von vielen Maklern benutzt wird. Da ist die junge hübsche Ärztin. Sie sagt sofort, nein, es sei einfach für sie, eine Wohnung zu finden. In den vergangenen 24 Stunden hatte sie ihre ersten sieben Besichtigungstermine, fünf Wohnungen fand sie interessant. Sie sagt, sämtliche Makler hätten signalisiert, dass sie gute Chancen habe, die Wohnung zu bekommen. Und da sind die Studenten. Die sagen, sie hätten keine ernsthaften Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Ein paar finden die Angebote ein bisschen teuer. Aber kaum einer sucht länger als vier Wochen.

Nur zwei Interessenten erklären, es sei ein echtes Problem, eine Wohnung zu finden. Der eine ist ein Student, der in Schöneweide an der Fachhochschule studiert und einen kurzen Weg zum Unterricht will. Er hat im Internet nur drei Angebote im näheren Umfeld der Uni gesehen und dieses gehört dazu.

Der andere ist der Ägypter. Seit drei Monaten sucht er nach einer größeren Wohnung für sich und seine Frau. Er lebt seit 20 Jahren in Deutschland, sie kam erst vor wenigen Jahren nach. Gerade wohnen sie in einem 40 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Apartment. Jetzt wollen sie zwei Zimmer, mindestens 60 Quadratmeter, und höchstens 600 Euro warm zahlen. „Mindestens 20 Wohnungen haben wir angesehen“, sagt der Ägypter. Manche waren ihm zu heruntergekommen. Für jene, die ihm gefielen, erhielt immer ein anderer den Zuschlag. Dass die Schwierigkeiten bei der Suche mit seiner Herkunft zu tun haben könnten oder mit der Tatsache, dass er nur gebrochen Deutsch spricht, glaubt der Ägypter nicht. Aber nun will er eben auch nachhelfen, mit einer Extra-Provision.

Nach einer halben Stunde haben alle Interessenten die Zwei-Zimmer-Wohnung verlassen. Hubert blättert, jetzt allein in der Küche, durch einen Schnellhefter. Auf dem ersten Blatt steht „Bewerbung für die Wohnung Hertastraße“. Eigentlich nimmt Hubert auf Besichtigungsterminen nicht gern Unterlagen entgegen. Zu unzuverlässig. Er mag es lieber, wenn Interessenten ihm die Bewerbung später mailen. „Sobald sie sich wirklich für die Wohnung entschieden haben.“

Doch der Student der Fachhochschule in Schöneweide hat ihm den Schnellhefter in die Hand gedrückt, er ließ sich nicht abwimmeln. Dort liest Hubert jetzt, dass der Kommilitone, mit dem der Student zusammenziehen will, aus Malaysia stammt. Weil der kein Geld verdient, soll dessen Vater, der in Kuala Lumpur lebt, bürgen.

„Das geht rechtlich nicht.“ Sven Hubert schnauft. „Theoretisch würde es reichen, wenn der Vater des deutschen Studenten für beide bürgt. Aber ob der das macht?“

Alles viel zu kompliziert.

Noch in der Küche beschließt Sven Hubert, dass er die Wohnung in der Hertastraße einem Neuköllner Pärchen geben will. Beide sind um die 50. Sie waren eine Viertelstunde vor dem angegebenen Termin da, die Frau hatte Gehaltsnachweise und Schufa-Auskunft dabei. Sie erklärten, sie müssten aus der alten Wohnung, die nur zwei Straßen entfernt liegt, ausziehen, weil es dort schimmelt. Und dass sie in der Gegend bleiben wollen, weil der kranke Onkel der Frau im Nebenhaus lebt.

„Der jungen Hamburger Ärztin würde ich gern eine schickere Wohnung in einer besseren Gegend vorschlagen“, sagt Hubert. Für den Ägypter hat er nichts. Trotz des Angebots der Extra-Provision.

Vier Tage nach der Besichtigung in der Hertastraße läuft die Frist ab. Hubert hat zwei weitere Schnellhefter erhalten. Seine Favoriten haben sich nicht gemeldet, auch nicht die Ärztin und auch nicht der Ägypter. Die Wohnung bekommt das schwule Pärchen. Sie waren die einzigen Bewerber mit kompletten und korrekten Unterlagen.

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