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Näher, mein Gott, zu dir. Auch auf dem Dach des Doms sieht Charlotte Hopf an vielen Stellen Restaurierungsbedarf. Nebenbei gibt es wenige Plätze, an denen man so erhaben nah am Himmel ist wie hier.

© Mike Wolff

Berlins Dombaumeisterin: Die Architektin des Herrn

Jetzt hat auch Berlin eine Dombaumeisterin. Sie heißt Charlotte Hopf und kümmert sich um die wichtigste Kirche der Stadt. Ein Arbeitsplatz mit 516 Zimmern.

Dombaumeister, das ist definitiv ein Titel, für den man kalt lächelnd die eigene Großmutter verkaufen würde. Er klingt nach Kathedralen, in Jahrhunderten erbaut, nach Gotteslob, in Stein gehauen, nach mittelalterlichen Bauhütten, wandernden Steinmetzen, nach Reims, Naumburg, Straßburg, Ulm, Köln. Und dann erst Dombaumeisterin. Das ist noch seltener. Zwar gab es sie schon in Ulm, in Freiburg, in Köln, doch erst jetzt hat auch Berlin seine erste. Charlotte Hopf heißt sie, ist 34 Jahre alt, stammt aus Braunschweig, studierte Architektur in Dresden, arbeitete bei Daniel Libeskind in New York und Warschau, im Berliner Architektenbüro Kahlfeldt, an der Uni Dortmund, lebt jetzt in Wedding und ist seit gut einem Jahr leitende Architektin am Berliner Dom.

Das wären die dürren Fakten, der Alltag der Baumeisterin aber ist nicht nur voller höherer Hausmeistermühsal, sondern voller Pathos, voller Größe. Die schafft der Dom, da kann die sachkundige Person gar nichts dagegen tun. Das fängt schon an, wenn sie morgens am Lustgarten die Riesentür mit der Klingel „Dombaubüro“ am Portal VIII aufschließt. 137 Stufen geht die steile Wendeltreppe hoch. Und dann oben: ein Turmzimmer, holzvertäfelt, rund, behängt mit Restaurierungsplänen, in der Mitte ein langer Besprechungstisch, oben auf einer rundumlaufenden Galerie die Arbeitsplätze. Jeder mit eigenem grandiosen Blick. Ein Raum wie im Traum, gemacht, den Geist weit, das Herz voll und den Willen fest zu machen.

Das alles kann die Dombaumeisterin gebrauchen, die an diesem Mittag mit sorgenvoller Miene an der Ostseite des Domes steht. Am Portal XII könne man an dem 1905 eingeweihten Gebäude alle nur denkbaren Schäden sehen, sagt sie. Aufgeworfene Bodenplatten, Risse, ausgewaschene Fugen, bröselige Baluster, Mineralausblühungen auf dem Sandstein. Charlotte Hopf zählt auf, zeigt, erklärt, weiter und immer so weiter. „So ein großes Haus kann man nur ins Wasser bauen, wenn man Kaiser ist.“ Hier und da ein bisschen was ausbessern brächte bei einer trägen Masse dieser Größe nichts. 15 Jahre veranschlagt sie allein für die Fassadensanierung nach dem oben im Büro ausgehängten Plan der Landesdenkmalpflege. Mit der einen Million Euro für Gebäudeunterhalt, die der Dom pro Jahr verbraucht, ist das nicht zu bezahlen. Für jeden Bauabschnitt werden Förderer und Sponsoren gesucht. „Sowohl konstruktiv als auch funktional ist der Dom eine verschleißende Riesenmaschine.“ Er ist geweiht, doch er nutzt sich ab.

So wie die beiden Engel aus Kupferblech an der Westseite, rechts und links überm Hauptportal. Hopfs nächste Großaktion. „Die kommen im Frühjahr runter und werden auf Schäden untersucht.“ Dabei gilt, was für die Dombaumeisterin immer gilt. Gebaut wird nach dem Kirchenjahr. Das heißt, an hohen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten, Weihnachten darf keine Baustelle den Zugang zum Dom und damit die Andacht stören.

Andächtig kann man auch beim Rundgang durch die nicht öffentlich zugänglichen Räume des Domes werden. 516 Zimmer hat das wilhelminische Baudenkmal, dessen Vorgängerbauten seit 1465 die Spreeinsel prägten. Es geht treppauf, treppab die Gänge entlang, von der Dombauwerkstatt im Keller gleich neben der Hohenzollerngruft durch das Museum über die Gipssammlung, Plansammlung, zu den Hohlräumen über den vier Tonnengewölben, die die vier Türme des Doms verbinden. Die Verbindung der geometrischen Formen Quadrat und Kreis geht nicht ohne Spannungen ab, erläutert die Dombaumeisterin. Hier und da kleben Apparaturen am Mauerwerk. Das sind Rissmonitore, die vor kurzem oder vor längerem entstandene Spalten überwachen. „Wir stehen genau über der Predigtkirche“, sagt Charlotte Hopf, „unter uns liegt die Orgel.“ Und schweigt. Sonst braust sie hier oben ordentlich. Orientierungsprobleme kennt die Dombaumeisterin nicht, schon nach dem guten Jahr hat sie den von Baumeister Julius Carl Raschdorff im Stil der barock beeinflussten Hochrenaissance entworfenen Bau verinnerlicht.

Ein Gebäude zu verstehen, hat Hopf vorher im Büro Kahlfeldt an Hans Scharouns Philharmonie geübt. „Es dauert sehr sehr lange, bis man sich alle baulichen Ebenen erschließt.“ Als das geschafft war, war auch die Angst vor großen Häusern verloren. Für die gibt es auch keinen Grund, wenn man wie Charlotte Hopf gläubige Christin und der Schutzpatron des Hauses der Heiland selber ist. Mit triumphaler Wiederauferstehungsgeste und wallendem Gewand herrscht Christus über Hauptportal und Stadt. Nur von hinten, da sieht Fritz Schapers Dachstatue von 1899 ziemlich kläglich, weil grob geflickt und vernietet aus.

„Nicht auf die Falze treten“, mahnt die Baumeisterin, als auf dem regenrutschigen Kupferdach die Leiter endet. Mit dumpfem Ton gibt das grün verfärbte Blech nach. Gehen auf Domen gleicht gehen auf rohen Eiern. Hopf sieht schon wieder Restaurierungsbedarf und zeigt Schäden. Man selbst hat die Mitte der Stadt nie erhabener gesehen als von hier, sich nie so nah am Himmel gefühlt. Die Menschen sollten auf Dächern leben! Doch heftig ziehen tut es hier. Die schmale Dombaumeisterin bekommt allmählich blaue Lippen. Nach stundenlangem Domwandern wird es Zeit für eine heiße Zitrone mit ihr.

Natürlich weiß Charlotte Hopf, dass ihr Job, den kriegszerstörten und bis 1993 und länger wiederaufgebauten Dom zu erhalten, größer als ihre Berufung zur Dombaumeisterin ist. Obwohl die Kirche – verglichen mit mittelalterlichen Sakralbauten – lachhaft jung und in Teilen schon industriell erbaut ist. Sie hat aber im Gegensatz zur 60 Mitarbeiter umfassenden Kölner Dombauhütte nur drei angestellte Handwerker und eine Bürokollegin dafür. Ihren Ehrgeiz und ihre Heiterkeit schmälert das nicht. Das macht das Pathos, die Größe, das macht der Dom mit ihr. „Wenn man versteht, wie raffiniert, hintersinnig und intelligent er geplant ist.“ Was andere gern als historistische Pralinenschachtel schmähen, ist für sie, was jede gute Architektur sein muss: Baukunst. „Das hat Kraft und das begeistert mich.“ Von ihrem Schreibtisch aus kann sie draußen im Abenddämmer zwei leuchtende Riesenräder sehen. Krähen umschwirren die Domkuppel. Sie ist in guten Händen.

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