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Die Probleme in der Behörde waren so gewaltig, dass sich Feuerwehrleute zu Protesten trafen. Sie zündeten Feuer in Tonnen an, um ihren Unmut über Mehrarbeit und zu geringe Bezahlung auszudrücken. Dieser Konflikt wurde vorerst befriedet.

© Paul Zinken/dpa/ZB

Berlins Feuerwehrchef zieht Bilanz: „Unser Krankenstand ist deutlich gesunken“

Berlins Feuerwehrchef Karsten Homrighausen soll die Feuerwehr neu aufstellen und sie fit für die Zukunft machen. Was hat sich bisher unter ihm verändert?

Seit einem Jahr ist Berlins Feuerwehrchef Karsten Homrighausen offiziell im Amt. Seine Behörde kämpft mit steigenden Einsatzzahlen und Personalmangel. Der 51-Jährige soll die Feuerwehr neu aufstellen sie und fit für die Zukunft machen. Was ist nach zwölf Monaten passiert? Ein Interview.

Herr Homrighausen, Sie sind jetzt seit einem Jahr offiziell im Amt, welcher Illusion wurden Sie mittlerweile beraubt?
Vielleicht gibt es jemanden, der die „Rettung“ der Berliner Feuerwehr für nicht möglich hielt, aber das gilt nicht für mich. Von Anfang an wusste ich, dass die Aufgabe, die Berliner Feuerwehr fit für die Zukunft zu machen, besondere Aufmerksamkeit und das Zusammenstehen auf allen Ebenen erfordert. Ich bin bestätigt worden, dass in Berlin die Bereitschaft und das Bewusstsein da sind, sich der Thematik zu widmen – zumindest im Augenblick. Also: Was braucht die Berliner Feuerwehr, damit sie auch im Jahr 2030 leistungsfähig ist?

Als Sie die Behörde vergangenes Jahr übernommen haben, da brannte es ja buchstäblich.
Wenn wir es genau nehmen, war die brennende Tonne der Belegschaft schon gelöscht. Es gab bereits eine politische Vereinbarung.

Feuerwehr und Gewerkschaften einigten sich damals mit dem Senat auf mehr Gehalt, kürzere Arbeitszeiten und die Ausbezahlung der Überstunden.
Diese Vereinbarung war und ist für mich heute die Geschäftsgrundlage. In meinen ersten Monaten galt es Zusagen umzusetzen, die von den politisch Verantwortlichen gemacht worden.

Wie hat das geklappt?
Retrospektiv kann man sagen, wir haben im letzten Jahr nahezu alles umgesetzt oder auf den Weg gebracht, was vereinbart wurde. Ob das die Einführung der 44-Stunden-Woche oder die Auszahlung der Überstunden war, auch die Notrufkampagne läuft. Da sind wir vertragstreu. Darüber hinaus möchte ich aber auch mehr Teilhabe, mehr Transparenz und mehr Kommunikation innerhalb der Feuerwehr. Aktuell lassen wir beispielsweise auf drei Wachen unsere neuen ,Rettungswagen 2020‘ erproben. Wir wollen die Erfahrung derjenigen berücksichtigen, die damit täglich fahren.

Unsere neue Mitarbeiterzeitung soll die interne Kommunikation verbessern. Die wird auf allen Wachen in gedruckter Form verteilt, denn ich bin überzeugt: Print ist die Wertschätzung von morgen.

Dennoch: Die Feuerwehren sind weiterhin unterbesetzt und die Ausrüstung bleibt mangelhaft.
Auch da konnten wir viele gute Beschlüsse herbeiführen, das muss man deutlich sagen. Im aktuellen Doppelhaushalt haben wir schon mehr als 350 zusätzliche Stellen erhalten und werden, wenn das Parlament zustimmt, im nächsten Doppelhaushalt 2020/21 nochmals mehr als 400 Stellen für die Feuerwehr bekommen. Das heißt, wir haben mehr als 750 Stellen in den nächsten vier Jahren. Eine Quote, die keine andere deutsche Feuerwehr nachweisen kann.

Karsten Homrighausen ist Berliner Landesbranddirektor.
Karsten Homrighausen ist Berliner Landesbranddirektor.

© Carsten Koall/dpa

750 neue Stellen in vier Jahren klingt erst einmal viel, vor allem wenn man auf die letzten 15 Jahre zurückblickt. Allerdings werden bis 2026 auch 1500 Beamte der Berufsfeuerwehr in Ruhestand gehen.
Sie sprechen ein Thema an, das uns alle beschäftigt, und das ist die Ausbildungsoffensive. Die vielen Mitarbeitenden, die planmäßig bis 2026 abgehen, hinterlassen natürlich auch freie Plätze. Das heißt, die genannten 750 Stellen sind in der Tat on top. Also müssen wir nicht nur diese in den kommenden vier Jahren, sondern insgesamt rund 2200 neue Leute in sechs Jahren feuerwehrtechnisch oder medizinisch ausbilden. Das ist die Mammutaufgabe, die wir vor uns haben …

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… während die Feuerwehrakademie jetzt schon aus allen Nähten platzt.
So ist es. Das ist die nächste große Herausforderung. Wir brauchen einen neuen Standort, der jetzige Standort in Schulzendorf ist schon lange nicht mehr zukunftsfähig. Geplant ist ein neuer Standort auf dem Gelände des Flughafens Tegel, dort könnten wir eine angemessene Feuerwehr- und Rettungsdienstausbildung garantieren. Aber wenn wir ehrlich sind, wird es noch einen Moment dauern, bis wir in Tegel in die Nachnutzung einsteigen können. Diesen Übergang gilt es zu gestalten und das ist die größte Aufgabe, vor der die Berliner Feuerwehr steht. Die Beschlüsse, die heute gefällt werden, wirken eben leider erst morgen.

Morgen? Da sprechen wir aber von einem Zeitraum von zwei bis fünf Jahren, oder?
Durchaus. Im Fahrzeugbereich geht es etwas schneller als im Ausbildungsbereich. Wir haben über 30 Millionen Euro bekommen, um den Fahrzeugpark zu verjüngen oder zumindest zu ersetzen. Nach dem aktuellen Haushaltsentwurf werden wir den Zielkorridor erreichen, um das Durchschnittsalter der Fahrzeuge halten zu können. Bis die zusätzlichen 400 Mitarbeiter aus dem Entwurf 2020/21 ausgebildet sind, dauert es jedoch vier Jahre.

„Warum rufen die Leute die 112? Weil wir verlässlich und schnell da sind“

Die Probleme in der Behörde waren so gewaltig, dass sich Feuerwehrleute zu Protesten trafen. Sie zündeten Feuer in Tonnen an, um ihren Unmut über Mehrarbeit und zu geringe Bezahlung auszudrücken. Dieser Konflikt wurde vorerst befriedet.
Die Probleme in der Behörde waren so gewaltig, dass sich Feuerwehrleute zu Protesten trafen. Sie zündeten Feuer in Tonnen an, um ihren Unmut über Mehrarbeit und zu geringe Bezahlung auszudrücken. Dieser Konflikt wurde vorerst befriedet.

© Paul Zinken/dpa/ZB

Innensenator Andreas Geisel hat Sie gebeten, mit der Strategie 2030 die Berliner Feuerwehr zukunftsfähig aufzustellen. Wie sieht eine zukunftsfähige Feuerwehr aus?
Um den Anforderungen des Jahres 2030 gerecht zu werden, müssen wir erst einmal wissen, wie das Jahr 2030 überhaupt aussehen könnte. Unsere Projektgruppe ,Strategie 2030‘ beschäftigt sich daher mit Megatrends – also Fragen wie: Wie sieht die Bevölkerungsentwicklung in der wachsenden Stadt aus? Wie sieht die Digitalisierung aus? Wie entwickelt sich die Verkehrssituation? Werden wir weiterhin so viel Individualverkehr haben, werden wir vielleicht flächendeckend ganz andere Transportmittel nutzen – also etwa Flugtaxis oder Ähnliches? Es geht darum unterschiedliche Szenarien zu entwickeln, wie es in der urbanen Stadt der Zukunft aussieht.

Und, wie wird 2030?
Wird ein spannendes Jahr (lacht). Mit Blick auf 2030 stehen für uns, wie gesagt, insbesondere die zwei Großthemen Mobilität und Digitalisierung im Fokus. Sehr viel wichtiger ist für mich jedoch ein Aspekt, der nach innen wirkt: die Attraktivität als Arbeitgeber. Insbesondere vor dem Hintergrund einer demographischen Entwicklung, die uns alle mit Sorgen erfüllt. Bekommen wir in Zukunft überhaupt noch genug Personal?

In der Konkurrenz um Arbeitskräfte sind öffentliche Arbeitgeber nicht so attraktiv wie Wirtschaftsunternehmen. Ich sehe es als Auftrag, heute schon zu beginnen, die Attraktivität des Landes Berlin als Arbeitgeber zu stärken. Das fängt bei einer guten Bezahlung an, aber ich denke auch an Wohnraum oder andere Vorteile. Denn wenn wir in der Feuerwehr keine Menschen haben, brauche ich mir über Digitalisierung und Mobilität gar keine Gedanken zu machen.

Nach der Berliner Polizei wird auch die Feuerwehr im nächsten Jahr mit neu gegliedert. Warum ist das notwendig?
Als lebendige Organisation, die die Feuerwehr ist, müssen wir uns auch regelmäßig fragen, wie unsere Prozesse laufen. Wo wir Schwierigkeiten oder Herausforderungen zu meistern haben oder an welchen Schnittstellen Informationen verloren gehen. Das heißt, Prozessorientierung und Prozessoptimierung sind das Ziel.

In Zukunft wollen wir wieder zu einer zentraleren Struktur zurückfinden und Prozesse möglichst linear in einer Zuständigkeit verlaufen lassen. Bislang gibt es drei Direktionen, deren erster gemeinsamer Vorgesetzter ich bin. Das ist keine effiziente Struktur.

Das heißt, Sie geben Kompetenzen ab?
Ja. Ich bin der festen Auffassung, dass wir als Feuerwehr im Besonderen, aber auch als Verwaltung im Team noch besser funktionieren, und insofern möchte ich ganz gerne Aufgaben abgeben beziehungsweise bündeln. Wir brauchen jemanden, der gesamtverantwortlich das operative Geschäft verantwortet.

Das heißt?
Die strategische Ausrichtung ist etwas, wo auch meine Meinung eine Rolle spielt. Aber die Umsetzung dieser Ausrichtung soll den einzelnen Abteilungen obliegen. Den Kern bildet der Einsatzbetrieb, der von einer erfahrenen Feuerwehrführungskraft geführt werden und regional untergliedert sein soll. Dann haben wir einen Bereich Zentraler Service, der insbesondere für Fahrzeuge, Geräte und das Personal zuständig ist. Eine weitere Abteilung ist die Berliner Feuerwehrakademie, die die Aus- und Fortbildung übernimmt. Und schließlich die Einsatzvorbereitung, die taktische Konzepte entwickelt, sowie die Einsatzsteuerung.

Die meisten Feuerwehrleute werden von dieser Umstrukturierung wenig mitbekommen. Eine Sache, die die Feuerwehrleute in den Wachen stresst und unter anderem zum hohen Krankenstand in der Behörde führt, sind die ständig steigenden Einsatzzahlen. 2018 konnten daher auch nur 55 Prozent der Rettungswagen ihr Schutzziel von zehn Minuten einhalten.
Zum einen kann ich sagen, dass uns deutliche Signale vorliegen, dass der Krankenstand im ersten Halbjahr 2019 im Vergleich zu 2018 schon signifikant gesunken ist. Bei den Einsatzzahlen müssen wir das grundlegende Thema der ambulanten und medizinischen Versorgung beleuchten. Der häufige Einsatz der Rettungswagen ist auch eine Kompensation vieler anderer Strukturschwächen.

Wie meinen Sie das?
Wenn sich ein Mensch entschließt, sich in die staatliche Versorgung zu begeben, gibt es erstens die ambulanten medizinischen Strukturen, wie niedergelassene Ärzte oder die kassenärztlichen Notdienste. Zweitens gibt es die Sozialdienste, die gerade isolierte Menschen versorgen. Die dritte Säule ist der Rettungsdienst. Wir nehmen wahr, dass der Rettungsdienst, weil er funktioniert, die nicht ausreichenden Strukturen links und rechts kompensieren muss.

Und wie kann das gelöst werden?
Zunächst einmal ist es im Rahmen unserer Versorgungsmentalität wichtig, an die Eigenverantwortung der Menschen für ihr Leben zu appellieren. Eigenverantwortung und Selbsthilfe müssen wieder mehr in den Fokus gerückt werden, nicht nur in medizinischen Fragen.

Zum Beispiel?
Stichwort Stromausfall in Köpenick: Wer hat denn noch Kerzen im Keller? Oder sechs Flaschen Wasser im Haus? Der Staat kann nicht immer einspringen, wo du's nicht mehr machen willst oder dir gar keine Gedanken machst.

In dem Zusammenhang sehen wir auch unsere Notrufkampagne. Wenn sich dann jemand immer noch in die staatliche Versorgung begeben möchte, müssen wir herausfiltern: Was ist kassenärztlicher Notdienst? Was ist Notfallrettung des Rettungsdienstes? Was kann ambulant oder ganz anders gelöst werden?

Wie soll das angegangen werden?
Grundlegend muss man sich fragen, ob es zeitgemäß ist, dass Menschen, die ein medizinisches Problem haben, fünf Kilometer zum nächsten Krankenhaus oder der ambulanten Praxis fahren müssen. Sollte man nicht auch die Möglichkeit schaffen, ärztliche Konsultation über das Telefon oder Internet zu machen? Von einem Fernbehandlungsverbot sind wir ja inzwischen weg. Wenn der Arzt jetzt noch ein E-Rezept ausstellen könnte und der Bringdienst einer Apotheke das Medikament zeitnah liefern würde, wären das meiner Meinung nach Kompensationsmöglichkeiten. Vor allem für Fälle, die zu niedrigschwellig für die Notfallrettung sind. Warum rufen die Leute denn die 112? Weil wir verlässlich und schnell da sind.

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