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Nicolas Gleschke steht im Glashaus der neuen Aquaponik-Farm. Hinter ihm gedeiht das erste Grün.

© Hendrik Lehmann

Berlins größte Aquaponik-Farm: Fische helfen beim Gemüseanbau

Start frei fürs Start-up: In einem Gewächshaus in Schöneberg ist Berlins größte Aquaponik-Farm in Betrieb gegangen. Barsche liefern Nahrung fürs junge Gemüse. Das soll an hippe Berliner verkauft werden.

Von Hendrik Lehmann

Barsche, Paprikas und Senfrauken gedeihen seit Kurzem zwischen den Backsteingebäuden der ehemaligen Malzfabrik im Süden Schönebergs. Die neue Stadtfarm, ein Komplex aus Gewächshaus, überdachten Fischbecken und kleinem Hofladen ist gut versteckt – obwohl sie auf einer 15.000 Quadratmeter großen matschigen Wiese steht. Gleich hinter den Möbelhäusern am Südkreuz gehört auf dem Malzfabrik-Gelände selbst der Himmel noch der längst vergangenen Industrie: auf der Nordseite vier weithin sichtbare Schlote, daneben prangt ein altes Schultheiß-Logo auf dem vergrauten Silo.

Ein Zentrum für Kreative - und Fisch züchtende Gemüsebauern

Die Industriegegend an der Grenze zu Tempelhof sieht nicht gerade nach Szeneviertel aus. Doch der Eindruck trügt. Der Schweizer Investor Frank Sippel versucht seit 2005, dem Areal an der Bessemerstraße wieder Leben einzuhauchen. Er will es in ein Zentrum für „Visionäre, Kreative und Künstler“ umgestalten. Die Klingelschilder auf dem Areal füllen sich bereits: Plattenlabel, Werbeagenturen, Start-ups.

Und auf der Brache dazwischen steht das gläserne Gewächshaus, das zur Eröffnung am Freitag etwa 200 Gäste sehen wollten. 1800 Quadratmeter groß, wirkt es zwischen den Gebäuden trotzdem verloren. Es gehört der Firma ECF Farmsystems, die hier nicht nur Gemüse zieht, sondern auch Fische züchtet. Nicolas Leschke, einer der beiden Gründer, führt hindurch. „Hier drinnen herrschen verschiedene Klimazonen“, sagt er, während er stolz auf einen Steuerungscomputer zeigt: „Dadurch können wir von überall auf der Welt einsehen, was gerade in der Farm geschieht, Pumpen abstellen, Fenster öffnen.“

Im Hauptgewächshaus herrschen zehn Grad, es wachsen Tomaten, Auberginen, Paprika und Gurken. Versorgt werden sie durch fein gesteuerte Tröpfchenbewässerung. Im Raum dahinter findet man Austernkresse, Radieschen und Senfrauke. Kleinkräuter und Salate gedeihen in Tonkugeln auf beweglichen Metalltischen.

Nährstoffe für die Pflanzen liefern: Barsche

Das Besondere an der Farm: Ihre Nährstoffe erhalten die Pflanzen bis zu 70 Prozent von Rosé-Barschen. Die schwimmen in großen schwarzen Plastikbecken nebenan. Hier herrschen tropisch- feuchte 27 Grad. Gefüttert werden die bislang noch sehr kleinen Fische mit Bionahrung, erläutert Leschke. Das von den Fischen verbrauchte Wasser voller Ausscheidungen wird von Biofiltern aufbereitet, dann zu den Pflanzen geleitet.

Auf kleinerer Fläche lässt sich so weit mehr produzieren, als es in der herkömmlichen Landwirtschaft möglich ist. Zudem sinkt der Wasserverbrauch stark. Das System nennt sich „Aquaponik“, laut Experten eine vielversprechende Neuentwicklung für nachhaltige Landwirtschaft.

Hier gehts es um Business statt Liebhaberei

Die Fisch-Gemüse-Kombi in Schöneberg soll kein neues Stadtgärtnerprojekt wie die Kreuzberger Prinzessinnengärten oder die Pioniergärten auf dem Tempelhofer Feld sein. Den Gründern geht es um wirtschaftlichen Erfolg. Der 36-Jährige Leschke hat Business und Management studiert; vorher schon Start-Ups in Indien und Italien gegründet. „Unsere Farm kann sich vollständig selbst tragen“, sagt Leschke, inklusive der dreieinhalb nötigen Stellen für ihre Bewirtschaftung.

25 Tonnen Fisch und bis zu 30 Tonnen Gemüse und Kräuter sollen in der laut eigenen Angaben größten Aquaponik-Farm Europas jährlich gedeihen. „In Spitzen-Qualität“, wird Leschke nicht müde zu betonen. „Weil Aquaponik als geschlossener Kreislauf funktioniert, ist die Qualität der Erzeugnisse tatsächlich wesentlich leichter zu kontrollieren“, erklärt Harry Palm, Professor an der Universität Rostock.

Vor allem bräuchten solche Systeme keine Antibiotika. Denn die würden sofort die notwendigen Bakterien in den Filtern töten, das System bräche zusammen. Hinzu komme die Einsparung von Transportwegen. „Diese Barsche werden sonst tiefgekühlt aus Südostasien hergeschifft“, so Palm. Was dort an Antibiotika in die Zuchtbecken gekippt werde, könne beim Import der Fische kaum kontrolliert werden.

Der Verkauf erfolgt ab Gewächshaus

Leschke und sein Mitstreiter richten sich deshalb ganz gezielt an „bewusst lebende Städter“, wie sie es nennen. Im direkt angeschlossenen quietschbunten „Farmer's Market“ konnten diese seit Freitag schon mal testweise Kräuter und regionale Produkte kaufen. Anfang Mai soll der Laden dann richtig eröffnen. Ab Oktober soll es dann den ersten Fisch geben. Dieser direkte Verkauf von der Farm an den Kunden ist für die Stadtbauern der einzige Weg zum Erfolg. Ihr Fisch wird jedoch weitaus mehr kosten als im Supermarkt.

Werner Kloas, ein Berliner Professor für Gewässerökologie und Binnenfischerei, forscht ebenfalls an der Aquaponik und hat früher mit Leschke zusammengearbeitet. Urban Farming sei gewissermaßen ein Hype, sagt Kloas, „in Berlin finden sich da auch Leute, die bereit sind, das Doppelte bis Dreifache dafür zu bezahlen.“ Immerhin bekämen die Kunden absolut frischen Fisch. Um das klimaschonende System aber massentauglich zu machen, bräuchte es weitaus größere Anlagen.

Berliner Stadtplaner diskutieren darüber, solche Anlagen auf Dächern zu errichten. In der Schweiz baut ECF bereits eine Farm auf dem Dach eines Gemüsegroßhandels. In den meisten Fällen aber seien Dächer zu klein und zu teuer zu bebauen, sagt Kloas. Er hat da trotzdem eine Idee für Berlin: „Das riesige Dach des Flughafengebäudes Tempelhof als Aquaponik-Farm – das fände ich schick!“

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