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Dirk Behrendt, 47 Jahre, ist seit 2016 im rot-rot-grünen Senat für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zuständig.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlins Justizsenator im Interview: „140 Gramm Cannabis im BH einer Besucherin“

Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt spricht über Clan-Kriminalität, Drogen in den Gefängnissen sowie Berlins Gülleproblem.

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Herr Behrendt, Ihre Partei, die Grünen, fordern die Legalisierung von Cannabis. Wann haben Sie zuletzt gekifft?

Das ist lange her. Aber ja, wir als Grüne plädieren für die Legalisierung sogenannter weicher Drogen. Und inzwischen nicht nur wir.

Ein grünes Anliegen ist es auch, Schwarzfahren zu entkriminalisieren.

Am Ende brauchen wir eine Mehrheit im Bundestag. Die fehlt noch. Aber eine breite Debatte und den Entwurf für eine Bundesratsinitiative gibt es schon. Die Forderung unterstützt übrigens auch Berlins Innensenator, der ja von der SPD ist.

Andreas Geisel – der geht gegen Clankriminelle vor. Hat das mit der zunehmend interessierten Öffentlichkeit zu tun? Clan-Serien wie „4 Blocks“ sind sehr erfolgreich.

Wir wollen mit der Innenverwaltung bestehende Möglichkeiten besser nutzen. Neben der Strafverfolgung ist das die Vermögensabschöpfung, wie wir es mit der Beschlagnahme der 77 Immobilien vergangenen Sommer getan haben. Seitdem gibt es auch bundesweit eine lebhaftere Debatte. So hat auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul den Kampf gegen Clankriminalität zum Schwerpunkt gemacht.

Gerichte entscheiden nun, ob die konfiszierten Immobilien und die damit erzielten Mieten beim Staat bleiben. Wir sensibilisieren in Berlin nun Immobilienmakler, Kunst- und Schmuckhändler. Und in meinem Bereich die Notare. Die müssen der Financial Intelligence Unit beim Zollkriminalamt melden, wenn es Hinweise gibt, dass eine Immobilie mit bemakeltem Geld gekauft werden soll. Die 2018 eingezogenen 77 Immobilien wurden ja auch mal durch Notare beurkundet. Wir rechnen bald mit deutlich mehr Hinweisen darauf, wo erbeutetes Geld angelegt werden soll.

Haben Sie genug Rechtspfleger?

Die kann man nicht backen, richtig. Wir suchen noch, aber es sieht gut aus.

Personal fehlt auch für die Haftanstalten. Von insgesamt 2800 Stellen sind immer noch Hunderte unbesetzt, oder?

Wir bilden mit Hochdruck aus. Im Mai hatten wir 315 Anwärterinnen und Anwärter in der Ausbildung. Wir müssen ja auch die Kollegen ausgleichen, die in den Ruhestand gehen. Wenn die meisten unserer Azubis ihre Prüfungen bestehen und nicht in andere Städte abwandern, dann erreichen wir die Sollstärke bis Ende 2020. Abwanderung ist allerdings ein Problem. Der Bund zahlt im Vergleich zu uns mehr, dagegen kommen wir nicht an. Und mancher entscheidet sich nach 30 Jahren Schichtdienst im Gefängnis für einen ruhigeren Job woanders.

Verständlich. Im Februar gingen in der JVA Heidering inhaftierte Männer auf einen Insassen los, sie attackierten auch einen Bediensteten. Die Angreifer sollen „Allahu Akbar“ gerufen haben, 16 Beamte waren nötig, um das zu stoppen.

In Einzelfällen gibt es Angriffe auf Bedienstete. Bei dem Vorfall in Heidering haben die Gefangenen nicht einmal voneinander abgelassen, als die Beamten kamen. Wir erfahren nach Kämpfen zwischen Gefangenen oft nicht, was der Grund war. Aussagen gibt es fast nie.

Einige in der Justiz regt auf, dass für Häftlinge für sieben Millionen Euro Tablets gekauft werden, während Richter sich winzige Arbeitszimmer teilen.
Wir geben ein Vielfaches für unsere Mitarbeiter aus. Aktuell werden die Computer und die Büros modernisiert, ergonomische Tische und Stühle angeschafft – für deutlich mehr als sieben Millionen Euro übrigens. Die sieben Millionen Euro geben wir auch nicht nur für Tablets aus, sondern für die Wlan-Ausleuchtung aller Haftanstalten.

Die Häftlinge sollen Internet haben, selbstverständlich begrenzt. Probeweise läuft das schon. Die Liste der bisher erlaubten Internetseiten ist recht kurz. Nennenswerten Missbrauch gab es nicht. IT-Kenntnisse sind heute auf dem Arbeitsmarkt unerlässlich, es ist also im Sinne der Resozialisierung vernünftig, das zu machen.

Und was ist mit den fehlenden Räumen für Staatsanwälte und Richter?
Die Raumnot in Moabit beschäftigt uns seit 20 Jahren. Es wurde zu lange diskutiert, zu wenig getan. Jetzt geht es los! Wir haben das Gebäude von Air Berlin am Saatwinkler Damm für fünf Jahre gemietet, da zieht die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft hin, weil sie nicht zwingend in Moabit sitzen müssen. Das sind fast 200 Personen.

Parallel wollen wir das Kathreiner-Haus am Kleistpark sanieren, wo das Verwaltungsgericht einziehen soll. Nach fünf Jahren können die Staatsanwälte in die dann freien Räume nach Moabit, die bislang vom Verwaltungsgericht genutzt werden.

Passt das Verwaltungsgericht überhaupt ins Kathreiner-Haus?

Ja. Wegen der ungewöhnlich vielen Asylverfahren gibt es derzeit viele Verwaltungsrichter. Doch die Verfahrenszahlen gehen zurück. Das Verwaltungsgericht wird perspektivisch eher kleiner werden als größer. Aber wir benötigen insgesamt neuen Platz. Beispielsweise für Staatsanwälte und Rechtspfleger. Auf dem Areal des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, dem Lageso, planen wir einen Neubau zu errichten. Das Bezirksamt Mitte will dort übrigens eine Stadtbibliothek unterbringen – die kommt nun ins Erdgeschoss. Wir haben dafür extra umgeplant. Dabei sollte das ursprünglich in zwei Jahren erledigt sein, jetzt rechnen wir mit vier. Über die Kooperation mit dem Bezirk freue ich mich.

Was würde der Oppositionspolitiker Behrendt dem Senator Behrendt vorwerfen?

Er würde ihm vorwerfen, dass der Sicherheitssaal in Moabit noch immer nicht fertig ist – obwohl der Senator sagte, den könne man in einem Jahr bauen. Das ist zwei Jahre her. Wenn andere für einen planen und bauen, hat man es eben nicht in der Hand. Neueste Verzögerung: Der Kran, den wir brauchen, um Bauteile über das Gebäude in den Hof zu hieven, sollte nach den Planungen so stehen, dass der Schwenkarm über das Gelände der JVA Moabit schwenkt. Dass das aus Sicherheitsgründen nicht geht, hätte man auch früher merken können. Zuvor stellte sich heraus, dass unter dem Hof eine Fernwärmeleitung entlangführt, auf der man nicht bauen darf. Auch das hätte man früher bemerken können.

Wann wird’s besser?

Es wurde bereits besser. Wir haben in den letzten zwei Jahren 147 Richter und Staatsanwälte zusätzlich neu eingestellt. Die räumliche Entlastung am Landgericht wird man im Herbst spüren. Neue Büromöbel werden gerade für alle Mitarbeitenden der Justiz geliefert. Und mit der elektronischen Akte wird perspektivisch auch das Arbeiten moderne Standards erreichen.

Gegen deren Chefin, Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, wird in der Schießstandaffäre ermittelt.

Frau Koppers hat ihre Probezeit bestanden, ist auf Lebenszeit ernannt worden und macht das sehr gut. Wir haben mit ihr den Kampf gegen Organisierte Kriminalität gestärkt, eine Fachabteilung zur Vermögensabschöpfung aufgebaut und eine Antisemitismusbeauftragte in der Staatsanwaltschaft ernannt. Das sind nur wenige Beispiele. Die Anfeindungen gegen sie habe ich nie verstanden.

Zum Gefängnis Tegel: Die Teilanstalten II und III sind marode. Um diese Häuser mit Hunderten Häftlingen zu sanieren, brauchen Sie alternativ Platz.

Wir wollen zuerst die Teilanstalt III sanieren, die steht ja leer, und das Haus als Rangierbahnhof nehmen, um danach die anderen Teilanstalten zu sanieren. Der Denkmalschutz macht mit, die Finanzierung steht auch. Es geht voran.

Wie kommen eigentlich die Drogen und Mobiltelefone in die Knäste?

Manches fliegt über die Mauer, das finden wir häufig. In anderen Fällen schmuggeln Besucher, auch da finden wir die Drogen. Jüngst fanden wir 140 Gramm Cannabis im BH einer Besucherin. Es gibt auch Einzelfälle, wo Häftlinge zu Bediensteten erst vorsichtig Nähe suchten, sie dann zu kleineren Regelverstößen animierten, etwa einen Brief mitzunehmen. Schließlich wurden die Gefallen größer.

Wachturm der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel.
Wachturm der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel.

© Paul Zinken/dpa

Wir brauchen eine gute Fehlerkultur, damit sich Mitarbeiter offenbaren können, wenn ihnen das passiert. Das Schmuggelproblem gibt es allerdings weltweit. Die allermeisten Bediensteten machen einen tollen Job, und die Fälle von Schmuggel sind eine große Ausnahme.

Senator Geisel hatte im Herbst die Koordinierungsstelle Organisierte Kriminalität eingerichtet – wie läuft es damit?

Das ist ein lernendes System. Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuer- und Gewerbeaufsicht... Von der Zusammenarbeit profitieren wir alle. Während die Vorgängerregierung die Rigaer Straße zum Schwerpunkt machte, haben wir den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität aufgenommen und packen die Probleme der Stadt an. Berlin wurde mit Rot-Rot-Grün sicherer und wird es auch weiter werden. Das sieht man auch an Orten wie dem Kotti oder dem Alex.

Sie haben sich bei Agrarministerin Julia Klöckner, CDU, für weniger Gülle eingesetzt. Hat Berlin ein Gülleproblem?

Indirekt ja. Es geht um sicheres Trinkwasser. Bei der Gülle geht es darum, wie sich die Massentierhaltung entwickelt und was der Verbraucher noch hinzunehmen bereit ist. In Niedersachsen gibt es ein großes Gülleproblem. Und Brandenburg hat sich immer wieder als Alternative der bedrängten Landwirte aus Niedersachsen angeboten – und da uns Brandenburg umgibt, bekommen wir von dort unser Trinkwasser. Und es gibt tatsächlich Gülletourismus: Gülle wird für Geld aus den Niederlanden in Deutschland abgeladen.

Wie steht’s sonst um die Natur, was machen die Wölfe, die Bienen?

Wölfe haben wir nicht, der Autobahnring hält sie auf Dauer ab. Und den Bienen geht's in Berlin gut. Während die hoch industrialisierte Landwirtschaft in den Flächenländern meist durch ihre Monokulturen, wo die Pflanzen nur zu bestimmten Zeiten blühen, der Biene die Nahrung nimmt, lebt die Biene in Berlin besser. In Berlin ist jeder Park, jeder Balkon anders bepflanzt – die Imker sind zufrieden.

Verstehen Sie, dass in der Stadt nicht wenige sagen, Senator Behrendt kümmert sich eher um Verbraucherschutz und Genderfragen als um die Justiz?

Nein. Kein Justizsenator vor mir hat für mehr Personalzuwächse in der Justiz gesorgt als ich. Auch die Raumnot und veraltete Büroausstattung packen wir an. Da wurde zu lange geredet und nicht gehandelt. Ein Beispiel: Wir haben bei der Staatsanwaltschaft das Thema Fahrraddiebstahl zu einer Priorität gemacht und es entstand auf unsere Initiative hin die polizeiliche Ermittlungsgruppe „Velo“...

... weil in Berlin statistisch gesehen jeden Tag 83 Fahrräder gestohlen werden?

Genau! Die Diebe sind professionell, man kann im Darknet bestimmte Modelle bestellen, die zügig geliefert werden. Wir haben kürzlich acht Männer erwischt, die nun angeklagt werden. Drei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Hier geht es um Tausende Räder, die gestohlen wurden. Ein anderer Täter hat allein täglich drei Räder in Pankow geklaut, insgesamt eine dreistellige Zahl. Der wurde auch erwischt. Wenn man bei der Strafverfolgung gezielt zusammenarbeitet, kann man Erfolg haben. Das war auch bei Wohnungseinbrüchen so, die gingen deutlich zurück.

Ein letztes Wort – zur Senatskoalition und dazu, ob Sie als geheimer Grünen-Landeschef nächster Spitzenkandidat sind?

Wir treten zur Berlin-Wahl 2021 auf jeden Fall mit einer Frau an. Und zur Koalition: Da gibt es Licht und Schatten. Wir Grünen haben Sorge, ob es noch genug Übereinkunft bei allen drei Parteien gibt, um die Projekte des Koalitionsvertrages umzusetzen. Das Antidiskriminierungsgesetz etwa kommt kaum voran.

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