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Berlins kleinste Fähre: Zwölf Ruderschläge bis zur nächsten Haltestelle

Kleines Boot, große Geschichte: Die Mini-BVG-Fähre in Rahnsdorf feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Und nicht nur der Fährmann feiert mit

In Rahnsdorf an der Müggelspree haben sie rund um die Kirche noch das gute alte Kopfsteinpflaster. Es scheppert, wenn die Autos aus der großen Stadt ächzend darüberfahren, wer ist so etwas schon noch gewöhnt, diesen holprigen Boden, der genauso wie das ganze hufeisenförmige Angerdorf unter Denkmalschutz steht? Besser, man erkundet dies stille Dorfidyll erst einmal zu Fuß: Die eingeschossigen Häuser haben schmucke, aber auch wild bewachsene Vorgärten, Honig ist zu verkaufen, Säfte, Äpfel, Birnen. Pferdemist wird kostenlos abgegeben, steht an der Gartenpforte.

Hinter der Kirche haben die Rahnsdorfer ihren Fischern mehrere Denkmäler gesetzt. Die Rahnsdorfer Fischer waren immer auch Lebensretter, die Leichtsinnige und Unvorsichtige, auf jeden Fall in Gefahr geratene Müggelseeschwimmer vor dem Ertrinken bewahrten. Von den einst 17 Fischerwirtschaften ist nur noch eine geblieben: Andreas Thamm ist der letzte Müggelseefischereimeister in der Dorfstraße 13, und wer ihn sucht, muss nur dem Duft frischer Räucherware folgen, immer dem Nass entgegen, bis die Kruggasse im Wellengeplätscher der Müggelspree endet. Rechts davon, in einem Schaukasten-Foto, schleppt Fischermeister Thamm einen 65 Kilo schweren Marmorkarpfen, den er 2010 aus dem Müggelsee geholt haben will.

Es ist ein besonderes Idyll, und ganz besonders ist auch dieses kleine Boot mit dem dicken „F“ auf weißem Grund, das da neben Thamms Fischräucherei gerade angeschippert kommt. „F“ wie Fähre, „Paule III“ heißt es. Ein rot-blaues, drei Meter langes Kunststoffboot. Sven Paetz, ein 48er mit gestählten Armen und zwei Tennisbällen an der Stelle, wo andere keine Bizepse haben, rudert mit genau zwölf Schlägen die 36 Meter von einem Ufer zum anderen. Von den Müggelheimer Spreewiesen bis zum Fähranleger an der Kruggasse in Rahnsdorf. Und das unzählige Mal am Tag, von Ostern bis Oktober, außer montags. Der Fahrplan der F 24 sieht zwar nur ein einmal stündliches Hin und Her vor, aber da kennt die BVG ihre Kapitäne von Paule III schlecht: Wer die uralte Bitte „Fährmann, hol über!“ ans gegenüberliegende Ufer fleht, dem kann ebenso geholfen werden wie jenem Wandersmann, der dem Fährmann von der anderen Seite aufmunternd zuwinkt: Ahoi, komm doch mal rüber! Selbst Fahrräder werden mitgenommen, doch die acht Menschen, die das Boot befördern darf, gehen natürlich vor.

Sven Paetz ist seit zwei Wochen für den angestammten Fährmann Ronald Kebelmann eingesprungen, denn ausgerechnet jetzt, wo die F 24 ihr 100-jähriges Bestehen feiert, bricht sich der Traditions-Ruderer ein Bein, „aber wir vertreten ihn würdig“, sagt der Matrose von der Stern- und Kreisschiffahrt mit seinem breiten Lächeln.

Paule, dieser Kahn der meist fröhlichen Leute, ist die einzige Ruderfähre in ganz Deutschland. Das Bötchen darf wegen der besonderen Bestimmungen für die Personenbeförderung nur von Profis mit einem Schifffahrtspatent gerudert werden – Sven Paetz ist ansonsten Bootsmann auf der „Sanssouci“, dem 44 Meter langen Ausflugsschiff der Touristenflottille von Stern- und Kreis, er empfindet den Job auf dem Mini-Boot als eine schöne Abwechslung. „Das ist alles so erholsam-dörflich, es hat etwas von Urlaub“, und das Publikum von Rahnsdorf und Müggelheim kommt ziemlich entspannt daher, alles sei weniger hektisch als bei den Touristen-Touren unter den Brücken von Berlin. Die Rahnsdorfer Überfahrt dauert eineinhalb Minuten und kostet als Kurzstrecke 1,40 Euro. Die Fahrscheine werden von Hand gestempelt, manche Leute kennt man schon, Stammkunden kommen von Müggelheim, um beim Fischer Thamm am Rahnsdorfer Ufer einzukaufen.

Ob sie ahnen, dass der Herr Paetz mit den rollenden Bizepsen und dem Anker auf dem Arm schon als 17-Jähriger zur See gefahren ist und seit 15 Jahren über Spree und Landwehrkanal schippert? In Rahnsdorf fährt er für die BVG. Das Millionenunternehmen betreibt neben den zehn U-Bahn-Strecken und 151 Buslinien noch fünf weitere Fähren, jeden Tag fahren Bahnen und Busse mehr als 250 Millionen Kilometer, einmal Mond und zurück oder 18 Mal um die Welt. Und dieses große Nahverkehrsunternehmen im deutschen Sprachraum leistet sich, wie schön, ein Bötchen für acht Personen.

Dafür, dass das so bleibt und nicht durch eine schnöde teure Brücke abgelöst wird, kämpfen der Heimatverein Köpenick, Passagiere und die Besatzung der F 24. An diesem Sonnabend von 10 bis 18 Uhr wird am Rahnsdorfer Anleger das 100-Jährige der kleinsten Fähre in Deutschland gefeiert – mit Fischer Thamm und viel Tamtam, mit Räucherfisch und Fährmann Kebelmann mit dem gebrochenen Bein: „Den rudern wir diesmal als Gast rüber.“

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