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Berlins Kultviertel Prenzlauer Berg: Zwischen Spießern und Individualisten

So ungeschminkt, so unverstellt, so Prenzlauer Berg. Hier treffen die schrägsten Typen der Stadt auf Spießeridylle. Der Fotograf Eberhard Klöppel hat zwei Jahre lang das Leben in seinem Kiez fotografiert.

Vielleicht etwas drastisch, das Motiv und der Bildtext. „Besucher des Mauerparks“ steht da auf Seite 136 unter dem Foto eines deutschen Mannsbilds mit schwarz- rot-goldenem Hütchen, der seinen Rausch in einer Schubkarre ausschläft, neben sich die Bierpulle und die nackten Beine ins Gebüsch gestreckt. Oder das hübsche blonde Mädchen von Seite 118: gehört zur Antifa-Demo an der Oderberger Straße, umkrallt mit rot gelackten Fingernägeln den Besenstiel für ein Transparent mit der Losung des Tages: „Die Welt is scheiße“.

Also, ganz so schlimm und verloren kann sie gar nicht sein, die Welt von Prenzlauer Berg, wie sie uns der Fotograf Eberhard Klöppel in seinem neuesten opulenten Bilderbuch vorführt – als bunten Reigen jener Szene, die den Bezirk schon immer zu etwas Besonderem gemacht hat: Hier war und ist Berlin am berlinischsten. Die Typen von nebenan. Die bunten Vögel mit der Macke. Die Kiez-Schönheiten. Die neuen und die alten Häuser, von denen früher der Putz rieselte und die heute, frisch gestrichen, an ihren Putten und Erkern, Balkonen und lebendigen Dachgeschossen zu erkennen sind, fast ganz ohne Pocken und Narben. Und natürlich die Schönhauser Allee mit der U-Bahn auf dem Magistratsschirm, der das Häusermeer in zwei Teile teilt. Dazwischen Geschäfte und Geschäftigkeit, vor allem aber jene Leute, die, bar allen Glanzes und Glamours, ganz erdverbunden die Werte schaffen: Maurer, Kohlenschlepper, Straßenbauer, Teerkocher. Und immer wieder kleine Geschäfte, Cafés und Kneipen.

Eberhard Klöppel, der seit 1962 sein Geld als Fotograf verdient und 16 Jahre lang als Bildreporter die „Neue Berliner Illustrierte“ bereicherte, hat mehr als zwei Jahre an dem schicken Bildband gearbeitet. Die 100 Fotos sind eine knappe Auswahl von tausenden, die den Alltag einer Großstadt zeigen und oft „aus der Hüfte geschossen“ sind, spontan, zufällig, und die so ungestellt wie ungeschminkt die Facetten des Lebens rund um die viel besungene „Schönhauser“ zeigen. Dabei kam dem Fotografen gewiss zugute, dass er jahrelang an der Allee gewohnt hat, wo die U-Bahn durchs Schlafzimmer rattert und wo die Currybude von Konnopke genauso Kult geblieben ist wie die letzte Eckkneipe mit noch’n Bier und noch’n Korn. Dabei reicht dieser Bezirk ja weit über die viel besungene und verfilmte Schönhauser Allee hinaus.

Kollwitzplatz, Pappel- und Kastanienallee, Oderberger, „Helmi“, all das gehört dazu, und die vielen kleinen Geschäfte und Cafés, die seit nun schon mehr als zwei Jahrzehnten dem Bezirk ein frisch-fröhliches Gesicht geben. Die geschlossenen Rolläden von einst sind längst Geschichte, und die Bewohner erzählen ihre neuen Storys, kein Wort mehr von Außenklo und so. Und irgendwie sieht man diese neue Zeit den Leuten auf Eberhard Klöppels Fotos auch an. Das war beim Vorgänger-Bildband „Berlin – Ecke Greifswalder“ mit dem Gaswerk als Dreckschleuder noch ganz anders. „Berlin – Ecke Schönhauser“ muntert richtig auf.

Eberhard Klöppel: „Berlin Ecke Schönhauser“, Lehmstedt-Verlag, 24,90 Euro.

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