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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller im Tagesspiegel-Interview im Roten Rathaus.

© Mike Wolff

Berlins Regierender Bürgermeister: Müller kämpft um seine politische Zukunft

Michael Müller profiliert sich mit sozialen Projekten, Innovation und Klimaschutz. Die SPD konnte er damit aber bisher nicht aus dem Umfragetief holen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der 4. Oktober dieses Jahres ist für Michael Müller ein besonderer Tag. Dann ist er länger im Amt des Regierenden Bürgermeisters als sein großes Vorbild Ernst Reuter. Wenn er auch noch Willy Brandt und Klaus Schütz überholen will, müsste Müller die nächste Abgeordnetenhauswahl gewinnen und wenigstens einen Teil der nächsten Wahlperiode heil überstehen. Genau da liegt das Problem.

Denn abgesehen davon, dass die Länge der Amtszeit keinen Platz im Geschichtsbuch garantiert, muss der Berliner Regierungs- und SPD-Landeschef die Wähler und die eigenen Genossen erst noch davon überzeugen, dass er auf lange Sicht der richtige Mann im Roten Rathaus ist. Es ist unübersehbar, dass Müller genau das versuchen will. Er kämpft zäh um die eigene politische Zukunft.

In der Sommerpause, die Anfang August endet, hat er keine Gelegenheit ausgelassen, um eigene Themen zu setzen und in die Offensive zu kommen. Wenn auch mit wechselndem Erfolg. Pluspunkte sammeln konnte Müller mit der Auszeichnung der drei Berliner Universitäten und der Charité als „Exzellenz-Verbund“. Das bringt Geld und fördert das Image Berlins als international konkurrenzfähiger Standort für Wissenschaft und Forschung.

Auch die Integration des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG) in die Charité, gefördert mit 75 Millionen Euro vom Bund, ist eine Erfolgsgeschichte. Ebenso die Kooperation mit Siemens für einen Innovations-Campus in Spandau. Welchen persönlichen Anteil der Regierende Bürgermeister an alledem hat, sei dahingestellt. Das Amt des Wissenschaftssenators, operativ geführt vom kompetenten und gut vernetzten Staatssekretär Steffen Krach, hat Müller aber optimal genutzt.

Lieblingsprojekt "solidarisches Grundeinkommen"

Breite Schichten der Bevölkerung, das weiß er selbst, wird er mit der Hochschul- und Forschungspolitik aber nicht erreichen können. Deshalb bemühte er sich in den vergangenen Wochen, das Sommerloch mit dem Vorschlag für ein 365-Euro-Jahresticket für Busse und Bahnen in Berlin und mit dem Start seines Lieblingsprojekts, des „solidarischen Grundeinkommens“ zu füllen. Ergänzt durch eine scharfe Intervention gegen die Wohnungsbaupläne der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) bis 2030, die er im Senat blockierte. Der frühere Stadtentwicklungssenator will zeigen, dass er es besser kann.

Schon Anfang Juli veröffentlichte Müller im Tagesspiegel sein Konzept für eine moderne Sozialdemokratie. Er fordert ein neues Grundsatzprogramm, mehr Engagement für die staatliche Daseinsvorsorge in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Energie und Verkehr. Im Kampf gegen den Klimawandel sieht er auch die SPD in der Pflicht, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer dürfe kein Tabu sein, Hartz IV will Müller durch eine „Agenda 2030“ ersetzen. Und in der Diskussion, wer aus Seenot gerettete Flüchtlinge in Europa aufnehmen soll, bietet Müller Berlin als sicheren Hafen an.

Sozialdemokratische Kreativität beweisen

Nach anfänglichem Zögern hat er sich auch den Mietendeckel auf die Fahne geschrieben, das Landesgesetz ist in Arbeit. Kostenloses Schulessen, gratis Schülerticket und gebührenfreier Hort ab dem neuen Schuljahr sind ebenfalls gute Taten, die der SPD-Landeschef gern mit seinem Namen verbindet. Auch wenn das Konzept für ein bezahlbares Berlin, das vor allem Familien zu Gute kommen soll, aus anderen Ideenküchen stammt. Die SPD müsse sich „radikal als linke progressive Kraft“ aufstellen, steht in einem Beschluss des SPD-Landesvorstands, der unter der Leitung des Vorsitzenden Müller kurz vor Beginn der Sommerferien im Juni gefasst wurde.

Müller hofft offenbar darauf, dass sein Versuch, sich in den Ferienmonaten als kreativer, führungs- und meinungsstarker Sozialdemokrat neu zu erfinden, Langzeitwirkung entfaltet. Die schnöde Gegenwart sieht anders aus. Im Vergleich mit den Senatskollegen präsentiert sich Müller zwar als der mit Abstand bekannteste Landespolitiker, auf der Beliebtheitsskala des Instituts Forsa verharrt er aber auf einem Mittelplatz. Sehr ungewöhnlich für einen Regierenden.

Unbeliebter Landeschef

Vorn auf dem Treppchen stehen die Spitzenleute der Linken und Grünen, Klaus Lederer und Ramona Pop. Im bundesweiten Vergleich ist Müller der unbeliebteste Landeschef. Nur 27 Prozent der Befragten sind mit seiner Arbeit zufrieden, selbst bei den Anhängern der SPD sind es lediglich 42 Prozent. Nur eine verschwindende Minderheit der Berliner, das zeigen aktuelle Umfragen, vertraut auf die Lösungskompetenz der Landes-SPD.

Für Müller kommt erschwerend hinzu, dass die Sozialdemokraten in einem dauerhaften Umfragetief verharren. Derzeit steht die Bundes-SPD bei 13 bis 14 Prozent, die Berliner Sozialdemokraten sind auf demselben Niveau. Seit vergangenem Herbst steht die Regierungspartei in Berlin fast durchgängig auf dem vierten Platz. Hinter den Grünen, der CDU und den Linken. Auch Zweckoptimisten im Landesverband halten es für eine kaum lösbare Aufgabe, den aktuellen Abstand zu den Grünen von über zehn Prozent bis zur Wahl im Herbst 2021 aufzuholen.

Führungsfigur dringend gesucht

Es sei denn, die Berliner SPD könnte bis zum Wahlkampf in zwei Jahren eine Führungsfigur aus dem Hut zaubern, die überzeugt. Seit über einem Jahr wird die Bundesfamilienministerin und ehemalige Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey im Landesverband als Spitzenkandidatin in spe gehandelt, mit der ein Wahlergebnis von 25 Prozent vielleicht erreichbar sei. Sollte die Parteibasis befragt werden, wer die Berliner Sozialdemokraten in die Abgeordnetenhauswahl führen soll, könnte Giffey nach internen Schätzungen mit einer Zustimmung von 80 Prozent rechnen.

Es zeigt sich ja auch in anderen Bundesländern, dass profilierte Führungspersönlichkeiten gegen den Trend arbeiten können. Dafür stehen beispielsweise Stephan Weil (Niedersachsen), Peter Tschentscher (Hamburg) oder Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz). Aber die Berliner Hoffnungsträgerin Giffey hält sich bedeckt, auch weil ungeklärt ist, ob ihr der Doktortitel aberkannt wird. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus hält sich, so hört man, auch für geeignet, die eigene Partei wieder an die 20-Prozentmarke zu bringen. Aber nicht alle Genossen glauben daran.

Erfahrener Amtsinhaber

Es wäre außerdem falsch, den seit Dezember 2014 amtierenden Regierungschef Müller vom Zettel zu nehmen. Der SPD-Mann macht in Berlin seit 30 Jahren Politik, hat viel Erfahrung und ist mit 54 Jahren in einem Alter, in dem man noch nicht ans Aufhören denkt. Seine Sommeroffensive ist als Signal zu verstehen, vor allem an die eigenen Leute: Mit mir ist noch zu rechnen!

Ein entscheidender Termin könnte die Neuwahl des SPD-Landesvorstands im Mai 2020 werden. Bisher gibt es kein Indiz dafür, dass Müller den Vorsitz freiwillig niederlegen wird, wie es ihm die Juso-Landesvorsitzende Annika Klose im Mai empfahl. In einem klugen Schachzug könnte er, als Befürworter von Doppelspitzen, eine Frau an seine Seite holen. Die Macht zu teilen, kommt bei Sozialdemokraten immer gut an. Die Alternative, den Parteichef Müller „wegzuputschen“ und ihn somit auch als Regierenden Bürgermeister zu schwächen, davor scheuen angesichts der dramatischen Lage der Partei auch jene Genossen zurück, die ihn als Problem empfinden.

Kräftemessen in der Regierungskoalition

Der SPD-Landesvorsitzende könnte schon den Parteitag im November nutzen, auf dem es mal wieder um neue Konzepte für die künftige SPD-Politik in Berlin geht, sich als Taktgeber und Macher zu profilieren. Vielleicht ist die Bundespartei dann in der Opposition, das könnte auch für die Berliner Landespolitik neue Spielräume für die Sozialdemokraten eröffnen. In scharfer Abgrenzung zu Grünen und Linken. Im Regierungsalltag bemüht sich Müller schon länger darum, beiden Koalitionspartnern zu zeigen, wer das Sagen hat. Auch wenn der Schuss des Öfteren nach hinten losgeht.

Bisher kommen beide Regierungspartner damit zurecht. Auch in der jüngsten Auseinandersetzung um den neuen Stadtentwicklungsplan Wohnen, den Müller in der Senatssitzung erneut stoppte, bemühen sich Grüne und Linke um Contenance. Vereint im festen Glauben, mit der Wahl 2021 die Kräfteverhältnisse umkehren zu können, ohne die Zusammenarbeit mit der SPD zu gefährden. Allerdings müssten sich die Genossen dann mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben.

Zwar wäre es für Berlins Sozialdemokraten ein Albtraum, das Rote Rathaus nach 20 Jahren aufgeben zu müssen, doch andere Bündnisse, mit denen das Amt des Regierungschefs gerettet werden könnte, geben die Umfragen zurzeit nicht her. „Dann lieber Opposition als Junior bei Grün-Rot-Rot“, sagen manche SPD-Funktionäre. Aber: Beide Konstellationen kämen ohne Müller aus. Als unvorstellbare Katastrophe würden das nur enge Vertraute des Regierenden Bürgermeisters und SPD-Landeschefs empfinden.

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