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Berlin: Bernhard Langner (Geb. 1945)

„Manchmal küss ick ooch die Alten im Heim.“

Wenn ich an Bernhard denke, dann fallen mir immer Ringelnatz’ Worte vom ,herzbetrunkenen Kind‘ ein. Genau das war er, ein herzbetrunkenes Kind. Einmal sind wir durch die Dörfer bei Pasewalk gefahren, wo er in den Achtzigern als Pfarrer arbeitete. Trist sah das alles aus, grau. Bernhard aber zeigte auf die Häuser und erzählte. Von den Menschen, von ihren Leben. Der schaffte es, sein Herz an Orte zu hängen, an denen andere nicht begraben sein möchten.“ So erzählt ein Freund von Bernhard.

Alle nannten ihn Bernhard. Niemand sprach ihn mit „Herr Langner“ oder gar „Herr Pfarrer“ an. In den kleinen grauen Häusern wohnten die Günthers, die Volkers, die Erikas. Er war eben der Bernhard. Einer von ihnen. Er hat sich mal einen riesigen Esstisch anfertigen lassen. Er wollte nicht das höhere Wesen sein, das aus einer feinen Welt huldvoll zu den Günthers, Volkers, Erikas herabkommt. Er wollte seine Türen öffnen. „Komm rinn!“ Diese beiden Worte hat Bernhard wohl öfter ausgesprochen als das Amen. Und wer denn rinnkam, tat gut daran, etwas zu Essen mitzubringen. Was Bernhards Kühlschrank hergab, war längst verzehrt. Täglich versammelte sich um seinen Tisch eine bunte Truppe: Der Arzt, der Organist, die Witwe, der Obdachlose, der Alte, das Brautpaar. Sie kamen, weil sich mit Bernhard, der viel gelesen, nachgedacht und auch gelitten hatte, so gute Gespräche ergaben. Und weil er mit seiner scheußlichen Mischung aus Raucherhusten und Lachen jedem Kummer wenigstens für eine Weile das Wasser abgrub.

An den Wänden seines Pfarrhauses hingen Uhren, deren Batterien leer waren, Kalender, die von vergangenen Jahren kündeten, verkitschte Heiligenbildchen. Alles Geschenke von Menschen, die Bernhard ebenso ins Herz geschlossen hatten wie er sie.

Dieser unrasierte, ungekämmte Priester, an dem selbst das gebügelte Priestergewand irgendwie schief und unordentlich aussah, rührte die Menschen, nicht nur die katholischen, von denen es in der DDR ohnehin nicht viele gab. Sie spürten, dass sich hinter seiner in Berlin gewachsenen Schnauze ein weicher Mensch verbarg. Ein Mensch, der seine Predigten zu leben versuchte. Er gab alles her, Bücher, Essen, Geld, irgendwann selbst sein Allerheiligstes, das Kreuz, vor dem er am liebsten betete. Er schlief auf einer Matratze auf dem Boden, wies niemanden ab, der ihn um Hilfe ersuchte. „Manchmal küss ick ooch die Alten im Heim“, erzählte er einmal. Überhaupt nahm er die Menschen gerne in den Arm, und wer so von ihm umfangen wurde, fühlte sich niemals bedrängt, sondern immer ans Herz genommen.

Damit, so sollte man meinen, verhielt er sich ganz im Sinn der Kirchenoberen, erfüllte er doch das Zweite Vatikanische Konzil, in dessen Geist er 1970 geweiht wurde, und in dem es heißt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi, und es gibt nichts Menschliches, das nicht in ihren Herzen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet.“

Wie aber soll ein Mensch das aushalten, alles Menschliche ins eigene Herz vorzulassen? Bruder Bernhard stärkte sich mit Alkohol, ohne ein Geheimnis daraus zu machen. Darauf angesprochen winkte er lachend ab: „Dit verteilt.“ Ernstlich gestört fühlte sich von seiner Trinkerei niemand, schien Bernhard sich davon doch nicht zum Schlechten zu verändern.

„Er wird als erfrischend lebensnah gelobt“, schrieb 2004 eine Usedomer Netzzeitung über ihn, „und daran scheiden sich wohl auch die Geister der Kirchenoberen.“ Zu dieser Zeit wurde seine Gemeinde, die er seit sieben Jahren hingebungsvoll geleitet hatte, mit einer anderen zusammengelegt und er selbst als Subsidiar, als Unterstützungskraft, nach Berlin beordert. Zu seiner Abschiedspredigt strömten hunderte Menschen in die Kirche „Stella Maris“, nicht nur Katholiken. Bernhard klagte nicht, doch wäre er gerne bis zur Rente geblieben.

„Grüß alle schön! Und sag, ich bitte um Vergebung, wenn ich jemandem wehgetan habe“, sagte er am Tag seines Todes zu einer Besucherin. Anne Jelena Schulte

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