zum Hauptinhalt

Berlin: Bersarins erste Station

Am 21. April 1945 erreicht die Rote Armee Berlin. Auf einem kleinen Haus am Stadtrand wird die Siegesfahne gehisst. Heute wird der Ereignisse gedacht

Ein kleines, rot angestrichenes Mehrfamilienhaus, das sich unter den benachbarten zwölfgeschossigen Plattenbauten an die Marzahner Erde zu ducken scheint, steht am heutigen Donnerstag im Mittelpunkt feierlichen Gedenkens: Vor 60 Jahren wird auf dem Dach des ersten Hauses auf Berliner Boden, das die Rote Armee am 21. April 1945 erreicht hatte, die rote Fahne des Siegers gehisst.

Das Haus mit der heutigen Adresse Landsberger Allee 563 ist zu damaliger Zeit das östlichste Gebäude der Reichshauptstadt, es steht nahe der Wuhle, jenem Flüsschen, das die Grenze zur Stadt bildete. Die 5. Stoßarmee unter Generaloberst Nikolai Bersarin – dem späteren Stadtkommandanten – erreicht als erster sowjetischer Verband jenes gelbe Schild, dessen sechs Buchstaben wie ein magisches Ziel für zigtausende Soldaten und Offiziere der Roten Armee gewesen ist: BERLIN. Das bedeutete Metropole, Regierungssitz, Reichstag, Adolf Hitler.

Gute zwölf Kilometer trennen die Rotarmisten noch vom Stadtzentrum, zehn Tage Kampf von Straße zu Straße, von Haus zu Haus. Die letzten Toten und Verwundeten des Krieges. Am 21. April erhalten die sowjetischen Soldaten vor der letzten Schlacht Befehle und Anweisungen über den Kampf in einem dicht besiedelten, aus Ruinen, engen Straßen und Trümmerbergen bestehenden Stadtgebiet, in dem sich die letzten Verteidiger verschanzt und tausende Frauen, Kinder und Alte in die Keller geflüchtet hatten.

Berüchtigt ist das (später widerrufene) Manifest des Dichters Ilja Ehrenburg an die in die Hauptstadt einrückenden Soldaten: „Tötet! Tötet! Kein Deutscher ist unschuldig – weder die Lebenden noch die Ungeborenen. Folgt der Weisung des Genossen Stalin und vernichtet für alle Zeit die faschistische Bestie in ihrer Höhle. Gewaltsam brecht den Rassenstolz der deutschen Frau. Nehmt sie euch in gerechter Revanche!“

Was vor 60 Jahren in Marzahn genau geschah, wissen wir nicht. Damalige Bewohner des heute dunkelrot gestrichenen Hauses sind nicht mehr auffindbar, Marzahner Historiker wie Günter Peters vom Heimatverein berichten von relativ geringen Kriegszerstörungen in dem einstigen Dorf, das dem 1979 gebildeten, von Plattenbausiedlungen geprägten Bezirk seinen Namen gab.

Das erste befreite Berliner Haus war einmal Museum, vor 20 Jahren wurde es saniert. Am Ost-Giebel steht unter dem Wort „Pobeda!“ (Sieg) der damals angebrachte Hinweis: „Auf dem Wege der Befreiung Berlins vom Hitlerfaschismus hissten Sowjetsoldaten in Berlin Marzahn die rote Fahne des Sieges“. In dem Gebäude arbeiten jetzt die Psychologen einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle.

Heute um zehn Uhr trifft sich hier die lokale Prominenz um Bezirksbürgermeister Uwe Klett mit Botschaftern, Senator Flierl als Gastredner und vielen Berlinern, um in einer Feierstunde an die Ereignisse vor 60 Jahren zu erinnern. Worte des Gedenkens sprechen dabei auch Oberst Alexander Penschin, der damals mit der 5. Stoßarmee Berlin erreichte, und der polnische Kriegsveteran Josef Zwierko. Mit dabei sind 50 Jugendliche aus den Partnerstädten Minsk, Tychy (Polen) und Halton (Großbritannien). Anschließend erhält die nahe Brücke über die Wuhle den Namen „Bersarin-Brücke“. Das Schild enthüllt Bersarins Enkelin Dr. Alexandra Lazuk aus Moskau. Lothar Heinke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false