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Berlin: „Besser getrennt“

Geriatrieprofessorin Steinhagen-Thiessen über die richtige Betreuung von Demenzkranken

Frau Steinhagen-Thiessen, bei behinderten Menschen setzt man auf Integration. Wieso gibt es für Demenzpatienten in manchen Heimen eigene Stationen?

Man macht in der Praxis einfach keine guten Erfahrungen mit gemischten Wohngruppen. Auf beiden Seiten sind Konflikte programmiert. Viele Demenzerkrankungen werden begleitet von nächtlicher Unruhe oder Aggressivität. Nicht-demente Bewohner können damit oft schlecht umgehen. Auch das Personal ist in gemischten Gruppen schnell überfordert. Ich kenne ein Heim in Hamburg, in dem die Bereiche probeweise wieder zusammengelegt wurden. Nach kurzer Zeit baten die Pflegekräfte, die Entscheidung zurückzunehmen.

Was halten Sie von privaten Wohngruppen für Demenzkranke?

Auch das ist eine gute Sache. Die Betroffenen leben zusammen in einer gewohnten Umgebung und sind 24 Stunden am Tag betreut. Sie haben keine wechselnden Bezugspersonen und können im Alltag mithelfen, zum Beispiel beim Gemüseputzen und Kochen. Allerdings gibt es hier oft Probleme mit dem Personal. Der momentane Pflegeschlüssel sieht vor, dass eine Hauswirtschafterin einen Großteil der Arbeit erledigen kann. Deshalb mangelt es oft an fachkundigem Pflegepersonal. Das könnte man ändern, wenn die Pflegekassen die WGs besser unterstützen würden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass oft Menschen zusammenziehen, bei denen die Krankheit ähnlich weit vorgeschritten ist. Irgendwann sind dann bei allen Bewohnern gleichzeitig die geistigen Fähigkeiten und auch die Mobilität so eingeschränkt, dass das Zusammenleben nicht mehr funktioniert.

Wie steht es um die Kontrolle der Wohngemeinschaften? Gelten hier weniger strenge Vorschriften als bei Heimen?

Nein. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen sowie die Heimaufsicht begutachten sowohl Pflegeheime wie auch Demenz-Wohngruppen. Die Ansprüche, die gestellt werden, sind die selben.

In den nächsten 40 Jahren soll sich die Zahl der in Deutschland lebenden Demenzkranken mehr als verdoppeln. Sind die Heime auf die wachsende Nachfrage vorbereitet?

Nein. Denn wir haben es mit einem doppelten Problem zu tun. So wie die Zahl der Demenzpatienten steigt, so sinkt die Zahl der Kinder, die sich einmal um ihre Eltern kümmern könnten. Momentan wird die große Masse der Pflegefälle ja noch zuhause von Töchtern und Schwiegertöchtern betreut. Wenn es weitergeht wie bisher, wird es irgendwann einen Mangel an Heimplätzen geben.

Wird Demenz absehbar heilbar sein?

Auf dem Gebiet wird weltweit sehr intensiv geforscht. Momentan lässt sich eine Einweisung ins Heim mit Medikamenten um ein Jahr herauszögern. Meine Einschätzung: Auf absehbare Zeit wird Demenz aber nicht heilbar sein.

Elisabeth Steinhagen-Thiessen ist

Ärztliche Leiterin und Chefärztin des Ev.

Geriatriezentrums

Berlin und Professorin für Geriatrie an der Charité. Mit ihr sprach Moritz Honert

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