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V.l.n.r.: Produzent Christoph Müller, Regisseur Marco Kreuzpaintner, Katarina Barley (SPD) und Ferdinand von Schirach.

© Annette Riedl/dpa

Bestseller-Verfilmung nach Ferdinand von Schirach: "Der Fall Collini" im Zoo-Palast

Im Zoo-Palast wurde der "Der Fall Collini" vorgestellt. Die Bestseller-Verfilmung mit Elyas M‘Barek handelt von einem mysteriösen Mordfall - und der Nazizeit.

Von Fatina Keilani

Hell strahlt die Sonne über dem Marktplatz von Montecatini, einem lieblichen Ort auf den Hügeln der Toskana. Ein Grammophon beschallt den Platz mit Musik, 20 italienische Zivilisten müssen sich aufstellen, deutsche Soldaten legen an und erschießen die Italiener. Für jeden toten Deutschen zehn Italiener, willkürlich ausgewählt. Das Kommando erteilt ein schneidiger junger deutscher SS-Obersturmbannführer.

Er verschont ein Kind, doch zwingt er den verzweifelt schreienden Jungen, die Erschießung des eigenen Vaters mit anzusehen - ein Urschmerz, der den Betrachter tief angreift und bis ins Mark durchfährt, selbst wenn dieser in der Jetztzeit in einem komfortablen Kinosessel sitzt.

Gezeigt wird „Der Fall Collini“, die Verfilmung des Bestsellers von Ferdinand von Schirach. Darin geht es um den jungen Rechtsanwalt Caspar Leinen, verkörpert von Elyas M‘Barek, dessen erster Fall als Pflichtverteidiger ein spektakulärer Mordfall ist. Als Leinen den Namen des Opfers zum ersten Mal hört, denkt er sich nichts dabei; als ihm dann klar wird, wessen Mörder er da verteidigt, ist es schon zu spät, er ist verpflichtet.

Der Tote ist Hans Meyer, ein reicher Industrieller, der für Caspar wie ein Vater war und dem er nahezu alles verdankt. Mit dessen Enkelin Johanna verband ihn eine Jugendliebe, und als Johanna erfährt, dass ihr alter Freund Caspar den Mörder ihres Großvaters verteidigt, ist sie entsetzt und will ihn davon abbringen. Caspar will den Fall ihr zuliebe zunächst loswerden, doch sein alter Professor Mattinger macht ihm klar, dass er als Verteidiger sich solcherart Gefühle nicht erlauben kann: „Glauben Sie, dass persönliche Befindlichkeiten etwas im Gerichtssaal zu suchen haben?“ Da ahnt Mattinger noch nicht, was in seinem ehemaligen Studenten steckt.

Nur: Der Mörder, Fabrizio Collini, schweigt.

Es sind viele Themen, die hier verhandelt werden, alles ist mit allem verwoben, der Prozess, der Nationalsozialismus, unser Umgang damit bis heute, der unter Juristen berüchtigte Dreher-Paragraf, Freundschaft, Pflicht, aber auch das Trauma der Vaterlosigkeit. Der Satz „Mein Vater hat sich verpisst, als ich zwei war“ ist es, der den grimmig schweigenden Collini auftauen lässt, denn er ist der Junge, dessen Vater vor seinen Augen erschossen wurde und dessen ganzes Leben seither auf den Moment der Rache zulief. Und Leinens Vater lebt noch.

Der Dreher-Paragraf wurde 1968 im "EGOWiG" versteckt

Der Dreher-Paragraf wurde 1968 in dem unscheinbaren „Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz“, kurz EGOWiG, versteckt. Schlagartig waren alle Taten von Mordgehilfen verjährt, nur noch Mörder konnten angeklagt werden. So kam im Film auch der schneidige junge Deutsche davon, der den Schießbefehl erteilte. Der Paragraf, der eigentlich ein Artikel ist, ist benannt nach Eduard Dreher, einem hochrangigen Nazijuristen.

Nach der öffentlichen Vorführung des Films am Donnerstagabend im Zoo-Palast diskutierten Bundesjustizministerin Katarina Barley, Autor Ferdinand von Schirach, Regisseur Marco Kreuzpaintner und Constantin-Chef Martin Moskowitz über die Themen. „Es ist eine zweite Schuld, die die Deutschen damals auf sich geladen haben“, sagte von Schirach. „Der Umgang mit den Verbrechen der Nazizeit war vollkommen grauenhaft.“ Ferdinand von Schirach ist der Enkel des NSDAP-Reichsjugendführers Baldur von Schirach. Justizministerin Barley erinnerte sich an das ungute Gefühl in ihrer Zeit als Richterin, wenn Recht und Gerechtigkeit auseinanderfielen.

Diskussionsrunde mit Justizministerin im Zoo-Palast

„War es gerecht?“, fragt Leinen seinen Prof im Gerichtssaal, mit Bezug auf den Dreher-Paragrafen, der viele Nazis vor Strafverfolgung bewahrte. „Es war rechtens“, antwortet Mattinger, überzeugend verkörpert von Heiner Lauterbach mit Perücke. Überhaupt ist der Film bis in kleine Rollen hinein sehr gut besetzt, dazu bis ins Detail ausgestattet, und auch der vielleicht etwas zu schöne M’Barek bringt es rüber - er wird womöglich die Massen ins Kino ziehen. Gut so.

Er habe von dem Dreher-Gesetz nichts gewusst, sagt Marco Kreuzpaintner hinterher bei der Diskussion, und das, obwohl er ein politisch interessierter Mensch sei. Kreuzpaintner hat den Gerichtssaal nachbauen lassen, auch den unterirdischen Gang, durch den im Kriminalgericht Moabit die Angeklagten aus der Untersuchungshaft direkt in den Glaskäfig im Sicherheitssaal geführt werden. Berliner Juristen werden die charakteristischen Kacheln der Gänge in Moabit erkennen; die Außenansicht liefert das Kammergericht. Unter dem Koloss in Moabit versteckt sich ein Labyrinth an Gängen.

Jung-Anwalt Leinen steht anfangs in der Gerichtsmedizin und beobachtet die Obduktion des Mordopfers Meyer, des Mannes, der ihm Zeit und Zuwendung und den Zugang zur Bildung geschenkt hat und zum Examen seinen alten Mercedes. „Leiche männlich, 84 Jahre alt“, spricht die Assistentin, es wird die Lunge gewogen, das Herz, es wiegt 480 Gramm. Nackt liegt er da, körperlich intakt, aber mit zertrümmertem Schädel. Jahrzehnte davongekommen, dann nicht mehr.

Der Name des Juristen Eduard Dreher stand noch lange auf dem Rücken des bekanntesten Strafgesetzbuch-Kommentars, ist aber mittlerweile getilgt.

Ganz am Ende des Buches und des Films fragt Johanna, Enkelin des alten Nazis, den jungen Strafverteidiger: "Bin ich das alles auch?" Er sagt: "Du bist, wer du bist." Für diese Sätze habe er Jahre gebraucht, sagt Schirach hinterher bei der Diskussion.

Der Film "Der Fall Collini" kommt am 18. April in die Kinos.

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