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Ein aktuelles Bild des Künstlers EME Freethinker zeigt den von einem US-Polizisten getöteten Afroamerikaner George Floyd.

© Christoph Soeder/dpa

Besuch im Mauerpark: Wo Berlins Straßenkunst besonders aktuell ist

Unser Autor ist begeisterter Street-Art-Fan. Hier nimmt er uns mit auf seine Lieblingstour durch den Mauerpark und umliegende Straßen.

Neulich die Chilenen, die waren richtig gut. Und auf den Mann mit den langen Dreadlocks ist eigentlich auch immer Verlass. Okay, zwischendurch gibt’s auch mal eine Flaute, wenn wieder der Nachwuchs dran ist. Ein bisschen ist es wie bei der Losbude: Du weißt vorher nie, ob du eine Niete erwischst.

Und trotzdem zieht es mich hier immer wieder hin, an die große Graffiti-Wand oben auf dem Panorama-Hügel im Mauerpark zwischen Prenzlauer Berg und Mitte. Eine der größten Leinwände Berlins, und für mich als Street-Art-Fan ein regelmäßiges Ziel von Stadtspaziergängen.

Fast jeden Tag gibt’s hier was Neues zu sehen, denn anders als die Museen und Kunstgalerien der Stadt hat die Sprayer-Szene in den vergangenen Monaten keine Coronavirus-Pause eingelegt. An manchen Tagen komme ich auch zwei Mal vorbei: Wenn ich tagsüber sehe, wie jemand mit seinen bunten Spraydosen die ersten vielversprechenden Linien auf den Beton zischt, will ich abends wissen, wie das Ergebnis aussieht.

Mal Trump, mal ein Mops mit rosa Brille

Bei besagtem Künstler mit den Dreadlocks, der seine Werke mit dem Namen EME Freethinker signiert und auch als Rapper unterwegs ist, ist es eigentlich immer ein Volltreffer.

Neulich prangte da zum Beispiel ein gigantischer Mops mit rosa Brille und herrlich verkniffenem Gesichtsausdruck. Bei dem Bild saßen jeder Lichtreflex, jeder Schatten und jede Linie perfekt – wie man so was mit einer Tüte voller Spraydosen auf rauem Beton hinbekommt, ist mir ein Rätsel.

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Die Coronakrise ließ EME Freethinker dann zur Hochform auflaufen: Sein Bild des Gollums aus „Herr der Ringe“, der mit euphorischem Blick eine Rolle Toilettenpapier anstarrt und in einer Sprechblase „Mein Schatz!“ krächzt, ging um die Welt.

EME Freethinker bei der Arbeit.
EME Freethinker bei der Arbeit.

© Lars von Törne

Auch das Doppelporträt von Donald Trump und Xi Jinping mit Coronamasken, die sich zu küssen scheinen wie einst Honecker und Gorbatschow an der East Side Gallery, war große Klasse. Das entstand an einem der Tage, als ich hier gleich zwei Mal vorbeigeschaut habe.

Und vor ein paar Tagen hat der Künstler, den es aus der Dominikanischen Republik nach Berlin verschlagen hat, dem von einem US-Polizisten getöteten Afroamerikaner George Floyd ein gespraytes Denkmal gesetzt.

„I can’t breathe“ steht da in großen Lettern neben dem fast drei Meter großen Porträt des Polizeiopfers. So tagesaktuell wie hier an dieser Wand ist politische Kunst nur selten.

Dann gibt es immer wieder auch die anderen Tage, die, an denen sich der besagte Nachwuchs ausprobiert. Junge Männer, die mit tief ins Gesicht gezogenen Basecaps schluffig ein paar Zeichen als Reviermarkierung hinkritzeln oder mit großer Geste banale Buchstabenkombinationen hinterlassen, die fürs eigene Ego toll sein mögen, aber künstlerisch so aufregend wie eine gewöhnliche Autolackierung sind.

Nur gut mit Hut. Erdmännchen-Kunst in der Stargarder Straße.
Nur gut mit Hut. Erdmännchen-Kunst in der Stargarder Straße.

© Lars von Törne

Da muss man als Straßenkunst-Liebhaber dann eben auch durch. So ähnlich haben sicher auch die Meister des Faches mal angefangen. Spätestens ein paar Tage danach kommen erfahrungsgemäß wieder richtige Künstler. Wie zum Beispiel besagte Chilenen, die im Winter zu Besuch waren und Hunderte Quadratmeter voller kunstvoller Werke hinterließen. Politische Parolen zur aktuellen Lage in Chile und Figuren, die mal im Cartoon-Stil, mal in einem an Picasso erinnernden Kubismus gesprüht waren.

Dass solche gelungenen Werke spätestens ein paar Tage später schon wieder durch neue Farbschichten verdeckt sind, ist schmerzhaft, macht aber auch einen Teil des Zaubers dieses und anderer Street-Art-Orte aus: Was du hier gerade an gesprühter Kunst bewunderst, ist morgen vielleicht schon für immer verloren.

Besuch der Erdmännchen-Touristen

Oft verbinde ich Besuche im Mauerpark mit Touren durch umliegende Viertel, in denen sich neue Werke bewundern lassen. Besonders ergiebig sind in der Hinsicht die Neben- und Parallelstraßen der Gleimstraße und ihrer Verlängerung nach Osten, der Stargarder Straße. Manches Straßenkunst-Fundstück ist hier aber nur teilweise beabsichtigt.

[Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, der Teufelsberg , die Halbinsel Stralauder Tiergarten und die Ecke Thomas-Friedhof bis Körnerpark in Neukölln.]

So wie neulich die herrliche Szene mit den Erdmännchen, die hat ein Street-Art-Künstler – oder eine Künstlerin (ein Name war nicht erkennbar) als Papierfiguren, so genannte Paste-ups, auf Fußhöhe an die Wand geklebt. Die drei Tierchen haben Sonnenhüte auf dem Kopf, der eine schaut mit einem Fernglas voraus, der Zweite mit einem Rucksack guckt direkt dem Betrachter ins Auge und der Dritte sucht mit seinem Schmetterlingsnetz nach einem Fang.

Davor hat irgendjemand ein knappes Dutzend ausgetretene Schuhe gestellt, so wie es in Berlin halt üblich ist, wenn man seine Schuhe nicht mehr haben will. Das gab dem Ganzen die Anmutung einer dreidimensionalen Installation: als seien die drei tierischen Touristen in einem von Riesenschuhen bewachsenen Märchenland unterwegs.

Richtung Helmholtzplatz dann ein Klassiker der Straßenkunst, das große Graffito an einem einst besetzten Haus in der Lychener Straße nahe dem Helmholtzplatz: „Ein Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter“, steht da in mannshohen, inzwischen vom Wetter und einer Kletterpflanze fast unleserlich gemachten Buchstaben. Gibt mir jedes Mal wieder zu denken, dieser Spruch.

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, die Ecke vom Neuköllner Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark, der Teufelsbergdie Halbinsel Stralau und der südliche Teil des Großen Tiergartens.

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