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Pflegezentrum und Flüchtlingsheim. Der Gebäudekomplex Blücherstraße 26 soll erweitert werden. Fünf Neubauten sind geplant, unter anderem für betreutes Wohnen. Doch die Anwohner sind skeptisch.

© Stephan Wiehler

Betreutes Wohnen in Berlin-Kreuzberg: Anwohner und BVV gegen Großbauprojekt in Kreuzberg

Die Erweiterungspläne für eine Wohnheimanlage in Kreuzberg stoßen auf Widerstand bei Nachbarn. Auch eine Mehrheit der BVV forderte, das Projekt zu überdenken. Doch der Baustadtrat ignoriert den Beschluss.

Bürgernah, transparent und kiezverträglich soll es zugehen, wenn in Friedrichshain-Kreuzberg Politik gemacht wird, so zumindest lautet das vom grünen Bezirksamt gepflegte Selbstbild. Konflikte werden hier gerne am Runden Tisch wegmoderiert. Doch es geht auch anders.

Seit Monaten beharrt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) auf einem umstrittenen Großbauprojekt an der Kreuzberger Blücherstraße – und ignoriert dabei einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, die im Juni dieses Jahres eine Bürgerbeteiligung gefordert hatte. Bereits im Februar hatte die BVV mehrheitlich einem SPD-Antrag zugestimmt, in dem gefordert wurde, die Planungen "zu überdenken und dabei frühere Planungen erneut einzubeziehen". "Das ist nicht das erste Mal, dass Panhoff Beschlüsse der BVV ignoriert", sagt dazu der Bezirksverordnete Lothar Jösting Schüßler (Linke), Mitglied im Stadtplanungsausschuss der BVV.

Es geht um die umstrittenen Erweiterungspläne für das Heinich-Plett-Haus an der Blücherstraße/Ecke Schleiermacherstraße. Auf dem Areal des Gebäudekomplexes aus den 70er Jahren, in dem Flüchtlingsfamilien und Senioren wohnen, planen die Sozialträger "Jugendwohnen im Kiez e.V." und "Vita e.V." insgesamt fünf Neubauten, in denen künftig psychisch belastete Jugendliche, alleinerziehende Frauen in Notlagen und ehemalige Obdachlose in betreuten Wohnformen leben sollen. Die Flächen werden dringend gebraucht - auch, weil der Druck auf dem Immobilienmarkt gerade für soziale Einrichtungen immer größer wird.

Die beiden Sozialträger haben deshalb 2012 gemeinsam das Grundstück gekauft und dazu die Eigentümergesellschaft „Blücher 26 Housing GmbH“ gegründet. Sie will auf den Freiflächen des ehemals städtischen Grundstücks fünf zusätzliche Gebäude errichten. Für die Neubauten würde ein Großteil der Grünflächen sowie ein Teil des Spielplatzes an der Schleiermacherstraße verschwinden, kritisieren Anwohner.

„Der Bezirk hat ca. 3/4 höhere Baumassen genehmigt als im Baunutzungsplan für das Grundstück festgelegt. Unser Anwalt hat den Vorbescheid als rechtswidrig eingestuft“, schreibt die Nachbarschaftsinitiative "Erhaltung des lebenswerten Kiezes in der Schleiermacher/Blücherstraße" auf ihrem Blog.

Anwohner befürchten Gentrifizierung

Zusätzlich zu den Bestandsflächen von rund 5000 Quadratmeter sollen durch die Neubauten 10.000 bis 11.000 Quadratmeter Flächen entstehen. Die Initiative fürchtet nicht nur eine problematische “Ballung von betreuungsbedürftigen Menschen”. Sie hält es außerdem für denkbar, dass ein Teil der Flächen gewinnbringend vermarktet werden soll, um die Investitionen von geschätzten 30 Millionen Euro wirtschaftlich darstellen zu können.

Die Vermutung: Im Zuge der Neubauten könnte das Grundstück geteilt werden, um den Milieuschutz zu umgehen: “Wäre das Grundstück erst einmal geteilt, hätte die Gentrifizierung im Milieuschutzgebiet kein Hindernis mehr. Und Wohnungen mit bezahlbaren Mieten würden dort wohl kaum entstehen."  

Die Bauplanung für die Verdichtung, für die laut Initiative rund 80 Bäume gefällt werden sollen, sei außerdem „nachweislich ohne vorherige Baumbestandserhebung und ohne Einbeziehung von Umweltdaten und Klimaschutzaspekten“ erfolgt, heißt es weiter. Die Planung widerspreche damit "der Einstufung Kreuzbergs als stadtklimatisches Sanierungsgebiet".  

Die Initiative hat sich deshalb an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt. Außerdem sammelt sie Unterschriften für einen Einwohnerantrag, um das Bauvorhaben erneut in der BVV zu thematisieren. "Wir haben dafür bei allen Parteien Unterstützung gefunden, außer bei den Grünen. Die sitzen das aus", sagt Claudia Bartholomeyczik von der Anwohner-Initiative.

Ex-Bürgermeister Schulz: "Ein heftiger Neubauvorschlag"

Nur ein Grünen-Politiker teilt bisher offen die Bedenken der Anwohner: der ehemalige Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Nach den ersten Planungen, die Schulz 2012 noch als Bürgermeister begleitete, sollten auf dem Grundstück Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für verarmte Künstler sowie Unterkünfte für betreutes Wohnen entstehen.

Schon damals sei "deutlich" geworden, "dass ein solches soziales Mietmodell ohne Quersubventionierung durch (höherpreisigen) Neubau nicht gelingt", schrieb Schulz in einer Stellungnahme. “Allerdings war bei allen damaligen Beteiligten klar, dass ein Neubau den gewachsenen Grünraum mit den alten Bäumen respektieren soll." Überrascht reagierte Schulz beim Blick auf die jetzigen Planzeichnungen: "Das ist schon ein ziemlich heftiger Neubauvorschlag. Zu meiner Zeit wurde nur ein Einzelbaukörper (relativ klein) entlang der Blücherstrasse diskutiert."

Bedrohte Grünflächen. Die Ergänzungsbauten für die Wohnheime sollen vor allem auf den Grünflächen an der Schleiermacherstraße entstehen. Auch ein Teil des öffentlichen Spielplatzes müsste dem Bauprojekt weichen.
Bedrohte Grünflächen. Die Ergänzungsbauten für die Wohnheime sollen vor allem auf den Grünflächen an der Schleiermacherstraße entstehen. Auch ein Teil des öffentlichen Spielplatzes müsste dem Bauprojekt weichen.

© Stephan Wiehler

Im Oktober wandte sich die Kiezinitiative an Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und teilte ihr in einer ausführlichen E-Mail die Vorbehalte gegen das Projekt mit. Doch die Grünen-Politikerin, die zugleich an den rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen auf Landesebene beteiligt ist, fand bisher keine Zeit für eine Antwort.

Stattdessen erhielt der Baustadt die E-Mail. Panhoff schickte die Mail an die Absender zurück, ergänzt durch eigene Anmerkungen, in denen er die Bedenken der Initiative in fast allen Punkten zurückwies und Fragen weitgehend unbeantwortet ließ. Nur eines machte der Stadtrat unmissverständlich klar: Für ein Bebauungsplanverfahren mit Bürgerbeteiligung “gibt es kein Erfordernis, da Baurecht bereits besteht”. Ein B-Plan “wird nicht angestrebt”. Der Stadtrat ignoriert damit den BVV-Beschluss vom März. Fragen des Tagesspiegels zu dem Projekt beantwortet Panhoff vorerst nicht, der Stadtrat sei im Urlaub, teilte sein Büro mit.

"Wir haben der Initiative empfohlen, gegen das Bauprojekt zu klagen", sagt Linken-Politiker Jösting-Schüßler. Allerdings mit dem Hinweis, die Bildung des neuen Bezirksamtes abzuwarten. Denn Jösting-Schüßler hält es durchaus für möglich, dass die Personalie Panhoff bei den laufenden Verhandlungen zwischen Grünen, SPD und Linken noch zum Streitfall wird. "Es gibt eine große Unzufriedenheit mit Panhoff. Ich wage keine Prognose, ob er dem nächsten Bezirksamt angehören wird."

Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Beitrags wurde irrtümlicherweise berichtet, die Erweiterungspläne beträfen auch das benachbarte Pflegewohnheim "House of Life" in der Blücherstraße 26. Dies trifft nicht zu. Weder das Wohnheim "House of Life", noch dessen Träger, die FSE Pflegeeinrichtungen gGmbH, oder die Stiftung FSD Förderung sozialer Dienste sind an dem Bauprojekt Blücherstraße 26a/26b beteiligt noch beabsichtigen sie, sich an der Eigentümergemeinschaft "Blücher 26 Housing GmbH" zu beteiligen.

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