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Ein Obstkorb reicht nicht - es geht um gesundheitsfördernde Strukturen, egal ob am Bau oder im Großraumbüro.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Betriebliche Gesundheitsförderung: Fit bei der Arbeit

Was bedeutet „betriebliche Gesundheitsförderung“ – und warum ist sie so wichtig? Ein Gespräch mit Expertin Sieglinde Ludwig von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Rund ein Drittel des Tages verbringen die meisten Menschen am Arbeitsplatz. Damit diese Zeit auch für die Gesundheit genutzt wird, gibt es die betriebliche Gesundheitsförderung. Manche Arbeitgeber und auch Arbeitnehmer haben in ihrem Unternehmen schon mit ihr zu tun gehabt, für andere ist sie noch ein Fremdwort.

Frau Ludwig, was genau ist mit „betriebliche Gesundheitsförderung“ gemeint?

Wer als Arbeitgebender denkt, er brauche bloß einen Obstkorb hinzustellen und unternehme damit genug für die Gesundheit der Mitarbeitenden, der irrt. Betriebliche Gesundheitsförderung hat sich zur Aufgabe gemacht, gesundheitsförderliche Strukturen auf der Arbeit aufzubauen und zu stärken und damit die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Man muss sich als Arbeitgeberin und Arbeitgeber fragen: Welche Beschwerden können entstehen? Im Klartext: Jeder Arbeitgebende muss Gefährdungen beurteilen, egal ob fast nur im Sitzen gearbeitet oder schwere Materialien zu heben sind. Jeder hat sich zu fragen: Wie kann ich meine Beschäftigten gesundheitlich entlasten und Krankheiten vorbeugen? Zur betrieblichen Gesundheitsförderung zählen viele Maßnahmen. So kann ein Unternehmen Pilates-, Gymnastik-, Rückenfit-Kurse oder Entspannungsübungen anbieten, nach der Arbeitszeit oder währenddessen. Teils kommen auch Physiotherapeuten ins Haus, um Verspannungen zu lösen. Das spart sogar Zeit, da Beschäftigte nicht erst zum Therapeuten gehen müssen. Auch Beratungen und Fortbildungen zu Stressmanagement oder Suchterkrankungen gehören dazu.

Das ist schon ein sehr breites Feld.

Und trotzdem nur ein Teilbereich. Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst viel mehr als Sport- und Entspannungskurse. Es geht um Aufbau und Stärkung gesundheitsförderlicher Führungs- und Kommunikationskultur. Statt Beschäftigten einen Stressmanagementkurs anzubieten, muss vorher geprüft werden, was an der Organisation verändert werden kann. Vor dem Angebot von Sportkursen sollte geprüft werden, wie die Arbeitsumgebung so gestaltet werden kann, dass sie Bewegung fördert. Höhenverstellbare Schreibtische und zentrale Druckerstationen sind nur zwei Möglichkeiten. In anderen Feldern, wo Beschäftigte schweren körperlichen Anforderungen ausgesetzt sind – etwa am Bau – können technische Hilfen entlasten. Sie sehen, es gibt viele Ansätze. Welche Maßnahme sinnvoll ist, hängt von den Strukturen vor Ort ab. Deshalb ist es auch so wichtig, erst Gefährdungen zu beurteilen und dann Maßnahmen zu planen.

Das klingt paradiesisch. Haben Arbeitnehmer ein Recht auf eine betriebliche Gesundheitsförderung?

Leider nein. Anders als bei Arbeitsschutz und betrieblichem Eingliederungsmanagement ist betriebliche Gesundheitsförderung nicht gesetzlich verpflichtend, sondern ein rein freiwilliges Angebot. Den Arbeitnehmenden steht es aber ebenso frei, das Angebot anzunehmen.

Warum sollten Betriebe dennoch Zeit und Geld in die Gesundheitsförderung stecken? Man könnte auch argumentieren: Jeder ist selbst für seine Gesundheit verantwortlich.

Durch den demografischen Wandel und das hohe Renteneintrittsalter werden Beschäftigte tendenziell immer älter. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Beschwerden. Doch ältere Beschäftigte besitzen meist weitreichendes Fachwissen und hohe Fachkompetenz, die in Zeiten des Fachkräftemangels wichtig sind. Betriebe brauchen arbeits- und leistungsfähige Beschäftigte. Die bekommen und behalten sie nur, wenn sie sich um ihr Wohlbefinden kümmern. Gleichzeitig fördert betriebliche Gesundheitsförderung Image und Ansehen der Unternehmen, denn gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen sprechen sich in der Branche rum. Das stärkt die Bindung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Betrieb, außerdem verschaffen sich Unternehmen so einen Wettbewerbsvorteil im Kampf um qualifiziertes Personal. Zudem steigert ein höheres gesundheitliches Wohlbefinden Arbeitszufriedenheit, Motivation und Einsatzbereitschaft, was letztlich auch dem Unternehmenserfolg zugutekommt.

Sieglinde Ludwig
Sieglinde Ludwig

© Sauro Porta

Nun zur Realität: Wie gut ist die Gesundheitsförderung in Betrieben ausgebaut?

Man muss zwischen großen sowie kleinen und mittleren Unternehmen unterscheiden. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass 61,8 Prozent der Großunternehmen – mit über 500 Beschäftigten – mindestens eine Person angestellt haben, die sich hauptamtlich mit betrieblicher Gesundheitsförderung beschäftigt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen liegt dieser Anteil gerade einmal bei 19,4 Prozent. Aufgrund ihrer Größe mangelt es oft an personellen und finanziellen Ressourcen oder auch Beschäftigten, die diese Angebote in Anspruch nehmen.

Wie können auch kleine Unternehmen betriebliche Gesundheitsförderung anbieten?

Sie können sich mit Unternehmen in der Nachbarschaft zusammenschließen und gemeinsame Angebote für ihre Mitarbeitenden entwickeln. Das geschieht schon in sogenannten Betriebsnachbarschaften des GeMit-Projekts („Gesunder Mittelstand in Deutschland“).

Seit 2015 gibt es das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“, kurz: Präventionsgesetz. Gesetzlichen Krankenkassen, aber auch die Renten- und Sie als Unfallversicherung müssen die Betriebe kostenlos bei Aufbau und Durchführung beraten. Hat das Gesetz den erhofften Erfolg gebracht?

Ich denke, betriebliche Gesundheitsförderung hat mit dem Gesetz einen Schub erfahren und an Akzeptanz gewonnen. Wir sind auf einem guten Weg. Doch nach wie vor machen eher größere Betriebe davon Gebrauch, da sie bereits Arbeitsschutz-Maßnahmen etabliert haben und nun die Gesundheitsförderung ausbauen wollen. Sie fragen uns dann nach der konkreten Gestaltung ihrer Angebote oder bitten uns, Vorträge oder einen Gesundheitstag für das ganze Haus zu organisieren. Uns ist dabei wichtig, dass es nicht bei dem einen Gesundheitstag bleibt, sondern betriebliche Gesundheitsförderung nachhaltig im Sinne eines Managementsystems implementiert wird. In vielen kleineren Betrieben ist das Thema leider weiterhin nicht präsent. Deshalb müsste man bereits in Qualifizierungen für angehende Führungskräfte oder in Meisterausbildungen ansetzen und für die betriebliche Gesundheitsförderung sensibilisieren.

Das Gespräch führte Julia Bernewasser. Sieglinde Ludwig leitet den Fachbereich „Gesundheit im Betrieb“ bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Dieses Interview und weitere interessante Texte finden Sie im aktuellen Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Vorsorge & Reha“. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel- Shop, www.tagesspiegel.de/shop sowie im Zeitschriftenhandel.

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