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Berlin: Bezirke befürchten ein Chaos

Stadträte warnen vor mehr Bürokratie

Der Beschluss im Koalitionsvertrag von CDU und FDP zur Auflösung der Jobcenter stößt in den Bezirken einhellig auf Ablehnung. Man kritisiert nicht den drohenden Verlust der Einflussnahme auf Beschäftigungsmaßnahmen. Für die Bürger werden massive Nachteile befürchtet. „Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe“, sagt Stephan von Dassel (Grüne), Sozialstadtrat in Mitte.

Die Leistungsempfänger müssten damit rechnen, widersprüchliche Bescheide zu erhalten und von einer Behörde an die andere verwiesen zu werden, sagt von Dassel. „Das kann dramatisch werden“, befürchtet Sozialdezernentin Martina Schmiedhofer (Grüne) aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Ihr Kollege in Spandau, Martin Matz (SPD), erwartet „das pure Chaos im kommenden Jahr“.

Vor der Gründung der Jobcenter waren für die Sozialhilfeempfänger einzig die Bezirke und für die Arbeitslosen ausschließlich die Arbeitsagentur zuständig. Auch künftig sollen für alle Betroffenen wieder zwei Behörden zuständig sein, der Bezirk für Miete und Heizkosten und die Arbeitsagentur für den Lebensunterhalt. In Neukölln verweist Stadtrat Michael Büge (CDU) auf den Ermessensspielraum, den das Gesetz beispielsweise bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit einräumt. Was geschehe, wenn hier die jeweiligen Sachbearbeiter zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen, sei völlig ungeklärt.

Büge nennt auch noch eine weitere Erschwernis bei der künftigen Zusammenarbeit. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Bezirke die von der Arbeitsagentur für die Jobcenter bestellten, neuen Computerprogramme, die ab 2013 zur Verfügung stehen sollen, nicht nutzen können, was den Datenaustausch erheblich behindern wird.

Dass die Bürger voraussichtlich auch weiterhin nur einen Antrag stellen sollen, der dann von der Verwaltung geteilt wird, hält Martin Matz für Augenwischerei. Tatsache sei, dass die geteilte Zuständigkeit auch zur Verdoppelung der Rückfragen, Widersprüche und Klagen führen werde. Deutliche Mehrarbeit dürfte auch die doppelte Aktenverwaltung machen.

„In zwei Jahren wäre das Jobcenter eine gut funktionierende Behörde gewesen“, meint Stephan von Dassel. „Wir hoffen, dass wir bei getrennter Verantwortung unter einem Dach bleiben können und sehen, wie der Bürger seinen Bescheid bekommt“, sagt Knut Mildner-Spindler, Sozialstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. In Neukölln werden nach langen Diskussionen die bisher vier Jobcenter-Standorte im Dezember im Kindl-Boulevard an der Hermannstraße zentriert. Die Rückabwicklung des Jobcenters sei ohnehin in wenigen Monaten nicht zu bewältigen, dazu brauche man mindestens ein Jahr.

Beklagt wird von den Bezirken auch der Verlust des Mitspracherechts. „Bisher konnten wir darauf Einfluss nehmen, wie und wo Beschäftigungsmaßnahmen mit welchem Zweck organisiert wurden“, sagt Mildner-Spindler. „Zukünftig muss uns niemand mehr fragen“. In der Vergangenheit habe sich die Arbeitsagentur oft „völlig kontraproduktiv“ verhalten, sagt von Dassel. Der Zwang zur Zusammenarbeit in den Jobcentern habe sich da als „sehr fruchtbar“ erwiesen. Damit könnte es bald vorbei sein. „Die politische Steuerung von Beschäftigung und Integration wird aufgegeben“, sagt Neuköllns Sozialstadtrat. Rainer W. During

Rainer W. During

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