zum Hauptinhalt
Kunst im Altbau bei Kunstraum Ko in der Meraner Straße.

© Sabine Baer

Kunstraum Ko im Bayerischen Viertel: Rupfen und Schmutz

"Ich ist ein anderer" ist der Titel der aktuellen Schau im Kunstraum Ko. Christine von Arnim sprach auf der Vernissage und stellte Künstlerin und Künstler vor.

„Ich ist ein anderer“, diesen Titel haben die beiden Künstler gewählt und so steht es bei Arthur Rimbaud. Jean-Paul Sartre zitierte Rimbaud in seinem Buch „Die Suche nach dem Absoluten“, als er Texte zur bildenden Kunst schrieb. Dieser Rimbaud hörte bereits mit 19 Jahren auf zu dichten, also künstlerisch zu arbeiten, radikal und schnell. Er hat dann den Rest seines kurzen Lebens mit Bildungsreisen verbracht.

In dieser Hinsicht stimmt der Vergleich mit Ernst-Georg Wimmer und Inge Kaspar-Böhm ganz und gar nicht. Mit 19 war ihr künstlerisches Leben noch hinter der hoffnungsvoll angehenden Schauspielerin und dem laut revoltierenden Abiturienten verborgen.

Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung: An der Begegnung von Inge und Ernst-Georg, genannt Ego, bin ich nicht ganz unschuldig: Inge ist die langjährige Freundin, deren künstlerisches Schaffen ich seit vielen Jahren begleite; Ego ist mein Bruder. Und: ich verstehe von Kunst sehr wenig. Und, fast schlimmer noch: ich bin total subjektiv, weil mir beide Künstler nahe stehen.

Ihre erste Begegnung war so selbstverständlich, als seien sie sich schon seit Jahren vertraut.

Dabei passt auf den ersten Blick wenig zusammen: Inge gibt jeder Arbeit einen assoziierenden Titel, häufig mit Verweis auf die Entstehungsidee, manchmal eine philosophische Betrachtung, manchmal leise Lyrik. Sie baut ihre Bilder reliefartig auf, verwendet Material- und Collage-Elemente und ihre Farbpalette ist zurückhaltend und oft monochrom. Ego hingegen stellt farbig-expressive Bilder vor, die keinen Titel tragen, die das Entstehungsdatum nicht verraten, die ganz allein von sich aus leuchten sollen und dem Betrachter keinen Leitfaden an die Hand geben.

Ego ex- , Inge impressionistisch? Stimmt das? Natürlich nicht.

Beide stimmen aber einhellig diesem Satz zu: Irgendetwas steckt in mir, was sich außerhalb meines Wollens und Planens selbstständig macht, Zufälle entstehen lässt, die ich dann aufgreifen kann. „Ich ist ein anderer“. Der Untertitel – eine Begegnung – hat also eine zweifache Bedeutung: In der konkreten Begegnung zweier höchst unterschiedlicher Künstler kommt es durch das Auge des anderen auf ungewöhnlich erfrischende Weise zu einer neuen Begegnung mit sich selbst.

Inge Kaspar-Böhm zeigt uns zwei verschiedene Themenbereiche, die sie zur Zeit beschäftigen, die sich also noch in einer Art work in progress befinden. Einmal sehen wir unter dem Thema „Gordischer Knoten“ einige kleinere Objekte, die den legendären gordischen Knoten zum Inhalt haben, den sie überträgt als einen Knoten in jedem von uns. Wir können die Arbeit „Gordischer Knoten - zerrissen“ als die Legende von Alexander dem Großen verstehen, der den Knoten mit einem Schwert zerschlug, aber auch als Befreiung eines jeden von uns von unseren unsichtbaren Knoten.

Inge widmet andere Arbeiten ihren künstlerischen Idolen, in diesem Fall den spanischen Künstlern Eduardo Chillida und Antoni Tàpies. Die markante Formensprache des baskischen Bildhauers Chillida hat es der Künstlerin angetan, wie z.B. für uns Berliner sichtbar in seiner Skulptur BERLIN 2000, fast täglich zu sehen in der Tagesschau vor dem Kanzleramt. Inge versucht, diese Formensprache in ihrer Arbeit – Tanz der Windkämme - Hommage à E.C. - einzufangen. Sie verwendet dafür die Mittel der arte povera: Rupfen/Packpapier und schwarze Ölkreide.

Ähnlich arbeitet sie mit dem „Großen schwarzen X“, mit dem sie ein oft verwendetes Symbol des katalanischen Künstlers Antoni Tàpies abwandelt, auch hier wieder mit erstaunlich „groben“ Mitteln: Rupfen, Sand, Asche und schwarze Ölkreide. Dieser freie und mutige Umgang mit Materialien jeglicher Art wie bei Tàpies hat Inge Kaspar-Böhms Schaffen intensiv geprägt und inspiriert. Das kann man auch an ihren anderen hier ausgestellten Arbeiten beobachten, die eine große Vorliebe für das Relief zeigen.

Ernst-Georg Wimmer widmet niemandem etwas. Er malt, so sagt er, häufig und ausschließlich zu seinem Vergnügen. Er sei Nichtfachmann und Halbwissender, Liebhaber der Malerei. Gern schließt er sich dem Satz von Peter Roehr an: „Ob das, was ich mache, Kunst ist, weiß ich nicht; andererseits wüsste ich auch nicht, was es sonst sein könnte“.

Wer „Eine Beschäftigung aus Liebhaberei betreibt“, ist ein Dilettant, sagt das Wörterbuch, in dem es auf den Ursprung des Wortes: „delectare = „sich angenehm beschäftigen, erfreuen“ verweist.

Der künstlerische Dilettant hat Germanistik und Politik studiert, war einige Jahre im Schuldienst, studierte dann Jura und arbeitet als Rechtsanwalt in Frankfurt.

Dort malt er einmal wöchentlich mit drei Frauen in einem Atelier, wo seine Arbeiten regelmäßig in kleinen Veranstaltungen mit dem wunderbar zweideutigen Titel „Kunst isst Käse“ vorgestellt werden. Einmal haben er und seine Maler-Freundinnen ein Haus, das seine Fensterläden mit erheblichem Gesichtsverlust gegen neue Rollläden eingetauscht hat, mit individuell gestalteten Leinwänden in Fensterladenformat versehen. Diese Ironie, die ihm gedanklich (und übrigens auch in seiner leider nur privat zugänglichen Lyrik) äußerst skurril gelingt, versucht er in der Malerei darzustellen, was ihm, wie er bescheiden behauptet, nicht gelingt. Ich sehe das völlig anders.

Wichtig sind ihm beim Entstehungsprozess seiner Arbeiten das Unfertige, Ungeplante, das Fragment, der Entwurf, das Provisorium, die Schöpfung und Zerstörung, die Auseinandersetzung mit Textsprache und die Anleihe an die Geheimnisse der Symbolik. Und nichts schreckt ihn mehr als das Gefällige.

Die disziplinierte Atelierarbeit tauscht er zu Hause in freies Spiel ein, in dem er zwischen 20 und 24 Uhr in seine Skizzenbücher malt, zeichnet, sudelt, schreibt, schmutzt. Begleitet von drei treuen Gefährten: dem Fernsehapparat, Büchern und Rotwein. Da ist die Nähe zu Lichtenbergs Sudelbüchern und Heines Matratzengruft nicht weit, was Ego jetzt erröten lässt.

Treffender als das Wort eines amerikanischen Hirnforschers kann man es nicht sagen, wenn man über Ego und seine Kunst nachdenkt:

„Wenn man nicht weiß, wonach man sucht, kann man der Lösung sehr nahe kommen, ehe man sie erkennt.“

Wir begegnen Inge und Ego. Sehen sie nun selbst! Vielen Dank.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false