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Die Schilfdachkapelle in Berlin-Kladow. Moos auf dem Dach, kein Moos in der Kasse.

© PNN

Kirche in Berlin-Spandau in Not: Schilfdachkapelle ohne Schilfdach?

Diese Kirche ist eine Berühmtheit, weil ihre Geschichte viel mit West-Berlin und Mauerbau zu tun hat. Jetzt braucht sie Hilfe. Hier spricht der Pfarrer.

Sie ist eine der bekannten Kirchen in Berlin, weil ihre Geschichte ganz besonders eng mit der Berliner Mauer und der DDR verbunden ist: die Schilfdachkapelle in Kladow im Bezirk Berlin-Spandau.

Doch jetzt braucht die Kladower Kirche von Pfarrer Alexander Remler, 49, Hilfe. Die Kirche ist Baujahr 1953, das Dach ist kaputt. Schilfdachkapelle ohne Schilfdach? Nicht vorstellbar.

Herr Remler, was ist los? „Unser Schilfdach ist in die Jahre gekommen. Sieht jeder beim Spaziergang und beim Kirchenbesuch. Wir haben starken Moosbefall, es gibt sogar ein, zwei Löcher. Wissen wir schon länger, aber die Sanierung von Reet- oder Schilfdächer ist kompliziert und teuer. Wir können so viel Geld alleine nicht aufbringen.“

Also? „Unsere Gemeinde hat 1850 Mitglieder, und noch mehr fühlen sich mit ihr verbunden - wie Peggy Trommer. Sie ist 45 Jahre alt und Polsterin von Beruf. Peggy ist in unserer Gemeinde in den Miniclub gegangen, war auch auf Konfirmandenfahrt. Nun lebt sie zwar in Charlottenburg, aber der Schilfdachkapelle fühlt sie sich noch immer verbunden.

Robert Gummi, der Imker unseres „Schilfhonigs“, hat ihr neulich von der Sanierung unseres Daches erzählt und wie schwierig das zu finanzieren ist… Peggy hörte ihm zu und sagte: Aha, soso. Und hatte eine Idee.

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Wie lautete denn die Idee? "Bei ihrer Arbeit fallen häufig Stoffreste ab, gebrauchte, aber wunderschöne Stoffe. Diese verarbeitet sie nun unter dem Label „Schilfdach“ zu Taschen, Kissen, Beuteln und Mappen. Gegen eine Spende für das Schilfdach können sie erworben werden. Zum Beispiel am Donnerstag, ab 15 Uhr.“

Aus dem Tagesspiegel, im Sommer 1961. "Achtung, Zonengrenze!" Rechts die neue Schilfdachkapelle in West-Berlin mit DDR-Pfarrer.
Aus dem Tagesspiegel, im Sommer 1961. "Achtung, Zonengrenze!" Rechts die neue Schilfdachkapelle in West-Berlin mit DDR-Pfarrer.

© tsp

Was kostet das so? „Naja. Sie stellt die Taschen kostenlos für uns her. Wenn wir 1.500 Menschen dazu bringen, 50 Euro für eine Tasche zu spenden, ist das Dach bezahlt. Allerdings ist mir klar: So viele Unikate muss man erst mal per Hand anfertigen. Es ist vor allem schöner Idealismus dabei, und Peggys Begeisterung ist ansteckend. Wir haben eine Auswahl an ihren Unikaten in den beiden Kladower Gemeindebüros vorrätig. Und ich habe einige Sorgen weniger, denn um Weihnachtsgeschenke mache ich mir keine Gedanken mehr.“

Und was machen die Gottesdienste in Coronazeiten? „70, 80 Menschen kommen immer. Die Hälfte kommt rein, die andere Hälfte bleibt lieber an der frischen Luft. Gar kein Problem. Wir haben Decken, Kissen und bei Regen auch große Schirme. Und zwei Feuertonnen haben wir auch vor der Kirche aufgestellt. Daran kann man sich im Winter wärmen.“

Eine klitzekleine Frage noch: Und was ist mit dem Honig vom Imker, der den Dachschaden erst weitererzählt hat? „Der Imker wohnt in der Nachbarschaft, die Bienen fliegen hier ums Kirchendach. Den Honig gibt es auch bei uns im Gemeindebüro. Ist lecker.“

Der Pfarrer und eine Frau mit Talent und einer richtig guten Idee: Peggy Trommer.
Der Pfarrer und eine Frau mit Talent und einer richtig guten Idee: Peggy Trommer.

© Kirche

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Und wie geht nun die Geschichte der Kirche? Pfarrer Alexander Remler: "Die Schilfdachkapelle „Zum guten Hirten“ steht für einen einmaligen Teil der deutsch-deutschen Geschichte. Durch den Gebietsaustausch im September 1945 wird die zu Groß Glienicke gehörende Siedlung „Wochenend West“ britische Besatzungszone in West-Berlin. Die Gemeindemitglieder werden von ihrer Kirche drüben in Groß Glienicke getrennt. Pfarrer Wilhelm Stintzing aus Groß Glienicke hat den kühnen Plan, für diesen Teil seiner Gemeinde eine eigene Kirche zu bauen – politisch gesehen im Land des „Klassenfeindes“, in Kladow, West-Berlin. Mit Erfolg. Im Mai 1951 ist Baubeginn. Die Steine der zerstörten Ruine des Gutshofes, das Holz für den Dachstuhl und das Schilf für das Dach werden über die DDR-Grenze nach West-Berlin gebracht. Am 26. April 1953 wird die Schilfdachkapelle eingeweiht.“

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