zum Hauptinhalt
Wir sind Helden. Mit der Bilderserie „Riverboat Shuffle (Jazz auf dem Fluss)“ schuf Will McBride 1959 seine erste Reportage für die legendäre Zeitschrift „Twen“.

©  Will McBride

C/O Berlin eröffnet mit Will McBride-Ausstellung: Euphorie des Anfangs

So erlebnishungrig, aufbruchbereit und zukunftsfroh hat man das Nachkriegsberlin noch nie gesehen: C/O Berlin eröffnet seine neuen Räume im Amerika Haus mit einer Will McBride-Retrospektive

Als Will McBride 1955 in einer Würzburger Kaserne der US-Army aus seinem Militärdienst entlassen wurde, flog er nicht gleich zurück in die USA. Stattdessen zog er erst einmal nach Berlin, „dorthin, wo das Sprachengewirr am größten war, in die Stadt der Sektoren und Teilungen“. Eigentlich wollte der Amerikaner, der bei dem berühmten Illustrator Norman Rockwell ausgebildet worden war, nur ein paar Semester an der Freien Universität studieren und sich nebenher der Malerei und Fotografie widmen. Doch er wurde angesteckt von der Euphorie in der bereits zweigeteilten, aber noch nicht von einer Mauer durchtrennten Stadt und blieb hängen. Die Parole zum Lebensgefühl der jungen Berliner lautete damals, so schreibt er in seiner Autobiografie „I, Will McBride“: „Hitler ist tot. Es lebe der Ragtime!“

McBride zeigte schon vor 60 Jahren Werke im C/O

„Ich war verliebt in diese Stadt“ heißt die Ausstellung von Will McBrides Fotografien aus den Jahren 1956 bis 1963, mit denen die Galerie C/O Berlin ihre prachtvollen neuen Räume im Amerika Haus eröffnet. Zum „Grand Opening“ nach anderthalbjährigen Umbauarbeiten gehören drei weitere Ausstellungen. Für McBride ist es eine Rückkehr nach einem halben Jahrhundert: 1957, als das Gebäude gerade seinen Betrieb als Re-Education-Center der US-Regierung aufnahm, zeigte er hier als erster Künstler eigene Werke.

Damals war er ein junger Mann, der bald schon Aufträge von Blättern wie der „New York Times“, „Stern“, „Twen“ und „Life“ bekommen und zu einer prägenden Figur der deutschen Nachkriegsfotografie aufsteigen sollte. Heute ist er 83 und sichtlich gebrechlich, bei der Pressekonferenz verkündet er nur, umringt von Reportern: „Ich will nichts sagen zu den Fotografien – die kann man anschauen.“

Berlin - wahrlich wieder jung

Von den achtzig Aufnahmen, die Kurator Felix Hoffmann ausgesucht hat, sind viele noch ausgestellt worden. Sie führen zurück zu einem Nullpunkt der Geschichte, in die kurze Zeitspanne zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Eskalation des Kalten Krieges. So erlebnishungrig, aufbruchbereit und zukunftsfroh hat man das Berlin der späten fünfziger Jahre noch nie gesehen. Einige Bilder scheinen vor Lebensfreude schier zu platzen.

Natürlich tauchen auch die legendären Trümmerfrauen auf, gebeugte Gestalten in Mänteln und Kopftüchern, die Backsteine zerbombter Häusern aufeinander stapeln. Auch die Eckensteher mit mürrischem Kriegsheimkehrerblick fehlen nicht und der alte Tramfahrer, in dessen Windschutzscheibe sich die Ruine der Gedächtniskirche spiegelt. Aber es sind nur Nebenfiguren, als die eigentlichen Helden auf dieser gerade enttrümmerten, wie frisch durchgefegten Stadtbühne treten auf: die Jugendlichen.

„Berlin wurde in dieser Zeit wahrlich wieder jung“, dieses Zitat des Fotografen steht wie ein Motto über seinen Aufnahmen an einer Wand. Kinder spielen mit Holzschwertern und Pappschilden und fühlen sich dabei wie Ritter. Andere sind in die Krone einer winterlich entlaubten Baumkrone geklettert, um ein Fußballspiel zu beobachten. Ein struwelhaariges Menschenknäuel. Und ein neuer Typus des Heranwachsenden taucht auf: der Halbstarke. Er schmiert sich Pomade ins Haar, trägt hochgekrempelte „Ami-Hosen“ und stellt die Autorität der Väter-Generation in Frage. Die Halbstarken treffen sich mit ihren Mofas am Bahnhof Wannsee, knattern am neu errichteten Bikini-Haus vorbei und hören in einem Plattenladen am Ku’damm die neuesten Jazz-Singles. Rebellen sind sie vor allem in ästhetischer Hinsicht.

Wie die Nachwendezeit - aber ohne Technokeller

Der jugendliche Überschwang, der aus McBrides Fotos spricht, erinnert – darauf weist Kurator Hoffmann hin – an die Aufbruchstimmung im Berlin der Nachwendezeit. In beiden Fällen ging es darum, sich Freiräume zu erobern, Experimente zu wagen und in Ruinen zu tanzen. Nur dass in den fünfziger Jahren nicht in Technokellern in Mitte, sondern in Charlottenburger Jazzclubs wie der „Eierschale“ oder der „Badewanne“ getanzt wurde. „AFN-Winde“, die Frequenzen des amerikanischen Soldatensenders mit seinen Jazzprogrammen, waren es, die für McBride damals „die Wiedergeburt des Spaßes“ verkündeten.

Für die Körperlichkeit der von ihm Porträtierten hat sich Will McBride immer besonders interessiert. Später sollte er mit seinem Aufklärungsbuch „Zeig mal!“ Skandal machen. Die Jungen und Mädchen, die er 1958 bei einem Imbiss im Strandbad Wannsee aufgenommen hat, könnten in ihrem lässigen Selbstbewusstsein einem frühen Film der Nouvelle Vague entsprungen sein. Einen Jugendlichen, der sich in Badehose auf dem Asphalt wärmt, zeigt er im scharfen Seitenlicht so, dass jede einzelne Rückenmuskel hervortritt. Drei raufende junge Männer bei einer Party in McBrides Wohnung scheinen mit ihren nackten Oberkörpern zu einem einzigen schwitzenden, schnaufenden Wesen verklumpt zu sein.

McBrides Bilder sind auch sein Tagebuch

Dass es keine Trennung zwischen Öffentlichem und Privaten geben darf, diese Forderung der Achtundsechziger hat Will McBride bereits zehn Jahre vorher erfüllt. So tauchen auf den Fotos, die er aus dem Berlin der späten Adenauer-Jahre veröffentlicht hat, auch Freunde wie „Jan“, „Evi“ oder „Magda“ auf und „Barbara“. Barbara, das ist seine spätere Ehefrau, die er nicht nur nackt mit Brautschleier, sondern auch – in der Ausstellung nicht zu sehen – schwanger und bei der Geburt des gemeinsamen Sohnes Shawn fotografiert hat. Zur strikten Subjektivität hat sich McBride stets bekannt, seine Bilder bilden auch ein persönliches Tagebuch.

Die Ausstellung endet mit Weltgeschichte. Mauerbau. Staunende Kinder vor US-Panzern am Checkpoint Charlie. Kennedy, Willy Brandt und Adenauer am Brandenburger Tor. Bald danach zog Will McBride nach München, weil es dort für einen Magazin-Fotografen mehr zu tun gab. Seit gut zehn Jahren lebt er nun wieder in Berlin, über seine erste Zeit in der Stadt sagt er: „Dort war ich zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaft glücklich.“

C/O Berlin, Amerika Haus, bis 16. Januar, täglich 11 bis 20 Uhr. Das Begleitbuch "Will McBride. Berlin im Aufbruch. Fotografien 1956-1963" (Lehmstedt Verlag) kostet 29,95 €

- Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false