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Konzertpianistin Soo Jin Anjou hat Berlin zu ihrer Wahlheimat erkoren und das Benefizkonzert zugunsten der Flüchtlingshelfer organisiert.

© promo

Klassik für Flüchtlinge: Benefizkonzert für "Moabit hilft"

Der südkoreanische Dirigent Nanse Gum und Pianistin Soo Jin Anjou laden für „Moabit hilft“ am 4. Februar zum Benefizkonzert in die Gedächtniskirche ein. Die Erlöse sollen der Arbeit der Ehrenamtlichen zugute kommen.

Für sie habe ein Foto den Unterschied gemacht, erzählt Soo Jin Anjou, das in einer südkoreanischen Zeitung abgedruckt war. Es zeigte ein Flüchtlingskind beim Essen. Es war zusammengeschlagen worden, sein Gesicht war total geschwollen und blutig. Es war ein Kind aus Nordkorea, das nun in China versorgt wurde.

Als sie das Bild sah, sei sie Mitte 20 gewesen, sagt Soo Jin Anjou, und habe kurz den Impuls gehabt, ihr ganzes Leben zu ändern. Flüchtlingsarbeit statt klassische Musik. Etwas handfest Nützliches, praktische Hilfe für Bedürftige.

Der Dirigent und das Orchester kommen aus Südkorea

Nachgegeben hat sie dem Impuls nicht, sie ist wie geplant Konzertpianistin geworden und tourt heute quer durch Europa und manchmal durch die Welt – aber losgelassen hat das Thema sie auch nicht wieder. Und darum will Soo Jin Anjou, die nach vielen Jahren in den USA inzwischen als freie Künstlerin in Berlin lebt, nun hier etwas für die Flüchtlinge tun. Etwas nicht ganz Alltägliches. Und zwar hat die 38-Jährige den südkoreanischen Dirigenten Nanse Gum und sein Orchester Hankyung Sinfonietta dazu bewegen können, am heutigen Donnerstagabend in der Gedächtniskirche ein Benefizkonzert zu geben.

Maestro Gum, der noch zu Mauerzeiten unter anderem in Berlin studiert hat und 1973 als erster Südkoreaner den Dirigenten-Wettbewerb der Herbert-von-Karajan-Stiftung gewann, gilt in seinem Heimatland als Ausnahmemusiker – auch wegen seines sozialen Engagements. Er arbeite viel mit Schulklassen, sagt Soo Jin Anjou, und habe die fantastische Angewohnheit, mit dem Publikum zu kommunizieren: „nicht nur den Taktstock weglegen, verbeugen und weggehen“. Seine besondere Art mache jedes Konzert für die Besucher zu einem besonderen Erlebnis.

Am Taktstock. Maestro Nanse Gum dirigiert.
Am Taktstock. Maestro Nanse Gum dirigiert.

© promo

So ähnlich hat vor ein paar Jahren es auch der „Korea Herald“ formuliert: Viele Konzerte des Maestro seien „für lokale Standards unkonventionell“, stand da. Einmal habe Gum ein sechsstündiges Marathonkonzert gegeben, in dem fünf Violinenkonzerte von Mozart und fünf Klavierkonzerte von Beethoven in voller Länge vorgetragen wurden. 1996 organisierte er ein erfolgreiches Festival, bei dem erstmals südkoreanische und norwegische Veteranen gemeinsam Musik gemacht haben. Außerdem gebe es immer wieder auch den Vorwurf an ihn, dass ihm die musikalische Qualität seiner Aufführungen weniger wichtig sei als der kommerzielle Erfolg, was er stets damit kontere, dass das beste Konzert doch nichts nütze, wenn es keine Zuschauer habe. Der Chef des „Seoul Arts Center“ jedenfalls lobt in dem Bericht, dass Gum immer einen besonderen Zugang zur klassischen Musik finde und stets bereit sei, „eine lustige Geschichte zu erzählen“.

Dass der Maestro jetzt mit seinem Orchester in Berlin ist, liegt an einer privaten Einladung – und weil Soo Jin Anjou den 68-jährigen Maestro von einigen gemeinsamen Konzerten her kannte, hat sie diese Gelegenheit ergriffen und ihn für ihr Projekt angefragt.

„Die Arbeit von ,Moabit hilft’ ist weiter sehr wichtig und unterstützenswert“

Die Benefizaktion soll zugunsten von „Moabit hilft“ sein. Daran hat auch der Fall des von einem Helfer aus dem weiteren Umkreis der Bürgerinitiative erfundenen toten syrischen Flüchtlings nichts geändert, der von der Kiez-Organisation ungeprüft weiterverbreitet und kommentiert worden war. „Ich war zunächst geschockt“, sagt Soo Jin Anjou, „aber dennoch halte ich die Arbeit von ,Moabit hilft’ weiter für sehr wichtig und unterstützenswert.“ Und es gibt da weiter jeden Tag und jede Nacht viel zu tun für die Ehrenamtler, die die Flüchtlinge beim Papierkram beraten, die spontan Übersetzer besorgen, die auch Kleidung sowie gespendete Handys mit Ladekabel und Prepaid-Karten ausgeben plus Einkaufsgutscheine und die auch Schlafplätze besorgen.

Sie sei selbst ein paar Mal beim Lageso gewesen und habe die schlimme Lage besichtigt, die „Moabit hilft“ mit viel Engagement lindert. Von all dem erzählt man sich in Südkorea eher nichts, aber der Maestro sei sofort bereit gewesen, das Gratiskonzert zu geben.

In Korea sind Flüchtlinge ein ganz spezielles Thema

Koreaner hätten zur Flüchtlingsthematik ein besonderes Verhältnis, sagt Soo Jin Anjou. Wegen der Grenze zu Nordkorea und den immer wieder vorkommenden Fluchtversuchen aus dem abgeriegelten Nachbarland. Die europäische Flüchtlingskrise dagegen sei in Südkorea kein großes Thema. „Das wird gemeldet, aber mehr nicht“, sagt Soo Jin Anjou. Auch, weil in Ostasien – anders als in Südostasien – weder der Islam noch der islamistische Terror bisher eine große Rolle spielten.

Die Zahl der Asylanträge auch aus Pakistan und Afghanistan, die in Südkorea gestellt werden, steigt zwar auch deutlich – aber in absoluten Zahlen bleibt das Jahresaufkommen an Arbeit bei der zuständigen Behördenstelle unter dem Berliner Tagesvolumen. Für ganz 2013 gibt es die Zahl von 1600 Neuanträgen. Vergleichbar mit Berlin ist dann aber doch die Bearbeitungszeit: bis zu drei Jahre. Das meldet jedenfalls Ende 2014 die „Deutsche Welle“ unter Berufung auf die Korea-Expertin Katherine Moon von der Washingtoner Brookings Institution. Weiter sagt Moon in dem Bericht über Ostasien: „Dort schaut man mehr nach innen, der Fokus liegt auf der Wahrung von sozialer Stabilität, auch weil die soziale Absicherung in diesen – durchaus reichen – Ländern im Vergleich zum Westen schwach ist“.

Das bestätigt Soo Jin Anjou, wenn sie sagt, in Südkorea seien die beherrschenden Themen seit jeher „Innenpolitik und Wirtschaft“. Südkorea boomt, und sehr viele Menschen kommen zu Wohlstand. Manchmal habe sie als Beobachterin von außen die Sorge, dass die jüngeren Generationen über das ganze Geldverdienen und Arbeiten die alten Themen wie Nordkorea und die Flüchtlinge aus den Augen verlören, und das betrübe sie. Dann lacht Soo Jin Anjou und sagt fast entschuldigend, dass sie bei dem Thema immer sehr schnell emotional werde.

Die Pianistin organisierte den Abend, kann aber nicht in der Kirche spielen

Und wenn heute Abend in der Gedächtniskirche der Maestro auf ihr Engagement hin den Taktstock hebt, dann kann sie sich den Emotionen ganz hingeben. Sie selbst wird nämlich nicht mitspielen. Der Zeitplan sei zu knapp gewesen, sagt sie, es hätte überhaupt keine Zeit zum Proben gegeben. Für dieses Konzert hat sie eben mal ganz andere Tasten gedrückt.

Benefizkonzert am Donnerstag, 4. Februar, Beginn um 20 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Musik von Vivaldi, Grieg, Respighi, Britten u.a.. Eintritt frei, Spenden sind erbeten.

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