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Theater für jedes Alter. Carolin Ave (21) und Christian Retzlaff (48) sind beide aktiv im Team des Theaters Schalotte. Hier stehen sie an der Bar im Saal.

© Thilo Rückeis

Off-Theater "Schalotte" in Berlin: Charlottenburg sucht den Super-Straßenmusiker

Intendant: Fehlanzeige! Hier entscheiden Flugbegleiter, Studenten und BVG-Mitarbeiter übers Bühnenprogramm. Seit 35 Jahren machen Ehrenamtliche nahe dem Schloss Theater für den Kiez. Das wird nun gefeiert.

So eifrig hat sie noch nie auf Straßenmusiker geachtet. Doch seit einigen Wochen bleibt Carolin Ave bei den Sängern an Hausecken oder in U-Bahnhöfen längere Zeit stehen, hört zu – und hat schon etliche Talente entdeckt. Dann lädt sie die Künstler zum „Song-Slam“ ein. Das ist ihr eigenes Projekt, ein Konzert im Café-Theater Schalotte, bei dem Singer und Songwriter mal auf einer Bühne zeigen können, „was sie drauf haben“ und vom Publikum bewertet werden.

Carolin ist 21 Jahre alt. Wenn sie von dem Charlottenburger Theater erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Dort kann sie schon selbstständig Kultur managen. In der „Schalotte“ gibt es keinen Intendanten, sondern ein Team von ehrenamtlichen Helfern zwischen 21 und 70 Jahren. Und die erledigen so gut wie alles, was zu einem professionellen Bühnenbetrieb gehört. Am Samstag wird dieses traditionsreiche Off-Theater Berlins 35 Jahre alt.

Fast so lange ist auch schon Christian Retzlaff dabei. Ein „Urgestein“ des Schalotte-Teams. Beruflich kümmert sich der 48-Jährige um die Kundenzeitschriften der BVG, in seiner Freizeit plant er Theaterprogramme, steht am Bartresen, macht die Öffentlichkeitsarbeit, schafft Getränke heran. Mitte der 80er entdeckte er die Bühne in einem früheren Kinosaal an der Behaimstraße 22, benannt nach dem Zwiebelgewächs in Anspielung auf Charlottenburg. Heute sagt er: „Dieses Theater ist die Konstante in meinem Leben.“

Ebenso wie Carolin Ave kann auch Retzlaff hier bewirken, dass Bands, Chöre und Solisten engagiert werden, auf die er besonders viel Lust hat, deren Szene er gut kennt. Auch deshalb ist der Schalotte-Spielplan außergewöhnlich vielfältig und weniger auf Chansons, Comedy, oder Kabarett festgelegt wie das Programm anderer Kleinkunstbühnen.

1980 vom Kino zum Theater umgebaut

In den vergangenen Wochen trat dort eine Beatles-Revival-Band auf, es gab Pantomime, Improvisationstheater, Stummfilme mit Klavierbegleitung, ein Musical, A-Capella-Quartette sangen, Pianist Martin Herzberg spielte Musik „zum Davonträumen“. Es wurde gesteppt, gejazzt, Flamenco getanzt. Kurz, das künstlerische Angebot war so breit gefächert wie die Interessen und das Alter der 22 Mitglieder des Theater-Teams. Wie lässt sich diese Experimentierfreudigkeit wirtschaftlich durchhalten angesichts der harten Bühnenkonkurrenz in Berlin?

Besonders von außen und im Foyer erinnert das Theater noch an seine Vergangenheit: Es wurde 1933 als Kino eröffnet.
Besonders von außen und im Foyer erinnert das Theater noch an seine Vergangenheit: Es wurde 1933 als Kino eröffnet.

© Fotos Thilo Rückeis

Die Behaimstraße am Gierkeplatz ist ein alter Charlottenburger Kiez. Zwischen den gründerzeitlichen Häusern fällt ein Bau aus den 30ern aus dem Rahmen: Das frühere „Kino Baldur“ mit einstmals 550 Sitzplätzen. Von 1933 bis 1978 flimmerten Filme über die Leinwand. In den Anfangsjahren mussten diese „christlich-sittlichen Ansprüchen“ genügen. Schon damals gehörte das Gebäude der angrenzenden protestantischen Luisengemeinde, die es verpachtete.

Der typische Kinoeingang ist bis heute geblieben: Schaukästen rechts und links, die Anschlagtafel überm runden Vordach. Das Foyer mit der geschwungenen Glasvitrine hat noch das Flair von damals. An den Türen zum Saal zwei Klappstühle: einst Sitze der Platzanweiserinnen. Als das Kino 1980 zum Theater umgebaut wurde, verringerte man die Zahl der Stühle im Parkett und auf der Empore auf 250. Motto: Beinfreiheit. Die weinroten Bezüge aber blieben. Vorne entstand die Bühne mit goldenem Vorhang. Licht- und Tontechnik wurde eingebaut. Und in den Saal integrierte man eine kleine Bar. Das ist Christian Retzlaffs Lieblingsplatz, wenn er mal wieder den Barkeeper macht. Showgenuss vom Tresen aus.

Einmaliger kultureller Freiraum

Eigentlich sollte das aufgegebene Kino eine Begegnungsstätte für jüngere Leute werden. Aber dann entwickelte die Luisengemeinde mit dem evangelischen Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf eine ungewöhnlichere Idee: Sie wollte ein Theater mit einem für Berlin einmaligen kulturellen Freiraum schaffen. In Schwung gehalten von Menschen, die sich mit der Spielstätte „voll identifizieren“. Doch solche Ideale gedeihen nur ohne großen Kostendruck. Deshalb zahlt das Theater keine Miete an die Gemeinde, es muss nur laufende Kosten wie den Stromverbrauch erwirtschaften. Personalausgaben fallen weg, intensives Freizeitengagement hält das Projekt am Leben.

Zum Team gehören Zahnarzthelferinnen, Flugbegleiter, Studenten, Ärzte und – ganz wichtig: Veranstaltungstechniker. Jeden Montagabend treffen sie sich zur Teamsitzung, werden Monatsprogramme geplant, To-do-Listen besprochen. An einem weiteren Abend pro Woche sind die Mitglieder meist bei einer Vorstellung im Einsatz. Ist das überhaupt durchzuhalten?

Das Theater am Laufen halten

„Nicht jeder schafft es ständig“, sagt Christian Retzlaff. Doch andererseits sei die Faszination groß, ein Theater durch eigenes Zutun „so bunt und lebendig am Laufen zu halten“. Für Carolin Ave, die derzeit Jüngste im Team, ist das „eine tolle Erfahrung“. Sie absolviert in der „Schalotte“ ihr freiwilliges soziales Jahr. Betreut die Künstler vor den Shows, organisiert gerade ihren Song-Slam im Vorfeld der Fête de la Musique am 21. Juni.

Besonders spannend fand sie das A-Capella-Festival im November und das Chor-Festival „Total Choral“ im März, beides traditionsreiche Schalotte-Veranstaltungen. Internationale Gesangsgruppen wechselten sich auf der Bühne ab, brachten ihr Publikum mit. Carolins Soziales Jahr endet im August. Aber das ist kein Abschied von der Schalotte. „Ich bleibe im Team“, sagt sie.

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