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Ein Kunstort wird abgewickelt. Die Gewerbemieter in der Oranienstraße 185 müssen ausziehen: Ihre Mietverträge wurden nicht verlängert.

© Kai-Uwe Heinrich

Gentrifizierung in Berlin: Gewerbehöfe in Kreuzberg: Künstler raus, Kreative rein

Viele Gewerbehöfe in Kreuzberg dienten lange als Ateliers. Doch die Künstler müssen raus. Stattdessen ziehen jetzt Start-ups ein. Der Ärger der Altmieter zielt auf Investor Nicolas Berggruen.

Sie möchten keine Tränenstory. Künstler verlieren ihre Ateliers, müssen ihren Kiez aufgeben, an den Stadtrand ziehen ... Aber dass ausgerechnet ein Kunstsammler und selbsterklärter Philantrop, der Milliardär und vorübergehende Karstadt-Retter Nicolas Berggruen, sie vor die Tür setzt, ärgert sie schon maßlos. Für Reinhard Stangl, den ältesten und etablierteren unter ihnen, ist Berggruen nur noch „der Bandit“.

Maler Stangl hat seit 30 Jahren sein Atelier in der Oranienstraße, Kreuzbergs Flaniermeile. Er geht hier auch gerne spazieren, kauft ein, setzt sich in ein Café. Obwohl er sich manchmal von den Touristen begafft, von den neuen Thai-Imbissen und Hipster-Boutiquen abgestoßen fühlt. Es hat sich vieles verändert, vor allem fehlen ihm die Paradiesvögel und Tagträumer, die Verrückten und Verpeilten, gewissermaßen die Würze des Stadtlebens.

„In Großbeeren gibt es nicht mal eine Currywurst.“ Dort ist sein neues Atelier. Fünf Lkw-Ladungen hat er schon dort hingeschafft. Ende September muss er besenrein übergeben. Wie die anderen sechs Künstlerkollegen auch.

Die Kreuzberger Gewerbehöfe sind beliebt bei jungen Kreativen aus der IT-Branche. An solche Internetfirmen wollen Berggruen und sein Investment-Partner künftig vermieten. Und dann 17 statt sieben Euro pro Quadratmeter kassieren, sagen die Künstler. Eine Berggruen-Sprecherin dementiert. Es würden nur 10 bis 11 Euro verlangt. Grundsätzlich seien die Höfe auch für Künstler weiterhin offen. Dennoch habe er kein Angebot für eine Vertragsverlängerung erhalten, sagt Stangl. Eine moderate Erhöhung hätte er vielleicht akzeptiert.

Stangls jüngere Kollegen waren im Atelierprogramm des Senats, ihre Räume wurden subventioniert, doch mit dem Rauswurf endet auch ihr Anspruch. Boris Baltschun, ein Komponist, hat noch kein neues Atelier gefunden. Er glaubt, dass die Politik den Verdrängungsprozess von Bewohnern und Kulturarbeitern aus der Innenstadt stoppen könnte. Doch statt an einem Konzept zu arbeiten, sei man dem Gutmensch-Image Berggruens auf den Leim gegangen.

Niemand kennt den Sohn von Heinz Berggruen persönlich. Dass er jemals ein Kunstwerk aus ihrer Produktion gekauft haben könnte, halten sie für abwegig.

Künstler als willkommene Zwischennutzer

Der Atelierbauftragte des Senats, Florian Schmidt, hält den Rauswurf der Künstler für einen folgenreichen Fehler. „Die Investoren schneiden sich ins eigene Fleisch.“ Fehlen die Künstler, sinke auch die Attraktivität eines Kiezes, am Ende auch der Wert der Immobilien. Diese Logik scheinen die meisten Investoren bislang nicht zu teilen. „In Kreuzberg haben Ateliers kaum noch eine Chance“, sagt Schmidt. In der Nähe der Berggruen-Immobilie würden derzeit 30 weitere Künstlerwerkstätten verschwinden. Auf Berggruen selbst lässt Schmidt aber nichts kommen. Der habe, zusammen mit einem Partner, immerhin eine günstige Alternative angeboten: 66 Ateliers am Naumannpark in Schöneberg. „Schlüsselfertig, alles hergerichtet, super Immobilie.“ Per saldo biete Berggruen jetzt mehr Ateliers als vorher, wenn auch nicht mehr so viele in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg.

Die neuen Ateliers in Schöneberg seien mindestens zehn Jahre sicher, anschließend könnten sie als Büroflächen hergerichtet und teurer vermietet werden wie in der Oranienstraße. Die Künstler wären dann willkommene Zwischennutzer gewesen, um den Immobilienwert zu steigern. „Durchlauferhitzer“ nennen das Stangl und seine Kollegen.

Eine Sprecherin von Berggruen weist das zurück. „Das ist veraltet. Künstler braucht man vielleicht am Stadtrand, um auf eine Immobilie aufmerksam zu machen, aber nicht in Schöneberg“, sagt Ute Kiehn. In der Oranienstraße seien die Mietverträge schon 2012 ausgelaufen und dann noch einmal verlängert worden. Im Übrigen werde Berggruen persönlich in Vermietungsentscheidungen seiner Holding nicht involviert.

Potenzielle Lofts für die Start-up-Elite

Das Atelier von Reinhard Stangl misst 250 Quadratmeter. Mit hohen Decken, breiten Fenstern und Lastenfahrstuhl ein perfektes Künstlerparadies. 1000 Bilder hatte er in den Räumen gelagert, sein Lebenswerk. Bis zur Wende werkelte nebenan ein metallverarbeitender Betrieb, außerdem gab es Druckereien und einen Schneider. Das Haus gehörte der Familie Wal, erinnert sich Stangl. Die hätten sich persönlich um die Mieter gekümmert, bis dann alles verkauft wurde. Wo Stangl bislang als Solist pinselte, könnten bald 40 Grafikdesigner in einem Großraumbüro arbeiten. Eine deutlich effizientere Raumnutzung, Ausdruck des ökonomischen Zeitgeistes. Stangl überlebte jahrzehntelang in einer vom Immobilienmarkt ignorierten Nische. Jetzt sind alte Fabriketagen mit Kappendecken potenzielle Lofts für die Start-up-Elite.

Die Künstler wollen nicht jammern, auch wenn ihnen danach ist. „Wir sind nicht mehr ganz jung“, sagt Daniela von Waberer. „Fast alle arbeiten nebenbei.“ Sie hat ein neues Atelier in Hohenschönhausen gefunden, direkt an der Stasi-Gedenkstätte. Auch interessant, aber eine komplett andere Atmosphäre als in Kreuzberg. „Die Kunst wird sich verändern.“

Und vor allem Kreuzberg, fürchten sie. Früher fragten die Sammler aus Westdeutschland Stangl, wie das so ist, als Künstler mit den Autonomen vom 1. Mai. „Zerstören die nicht eure Bilder?“ Stangl lächelt. Wenn vorne an der Oranienstraße die Barrikaden brannten, saß er im zweiten Hinterhof mit den türkischen Nachbarn beim Grillen.

Jetzt machen in Kreuzberg Filmteams Milieuaufnahmen und Touristen fotografieren, was sie für das authentische Berlin halten. Reinhard Stangl gehört künftig nicht mehr dazu.

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