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Und Yuppies auch! Wenn wie hier in Prenzlauer Berg gebaut wird, sind immer die Zugezogenen schuld. Dabei trifft der Zorn auch Berliner, die schon lange in den Kiezen leben.

© dpa

Gentrifizierung in Kreuzberg: Wir bleiben alle!

Kreuzberg geht verloren, heißt es, an Investoren. Neubauprojekte werden beäugt, gar attackiert. Dabei trifft der blinde Zorn auch jene, die schon lange hier wohnen und nun etwas tun, was nur verständlich, sogar gut ist: in ihren Stadtteil zu investieren.

Wir bauen selbst“, haben sie vorsichtshalber auf ein Plakat geschrieben und dieses an die rohgraue Betonfassade geheftet. Es wird in Kreuzberg nämlich ziemlich schnell falsch verstanden, wenn auf einem Grundstück, das eben noch Brache oder Parkplatz war, ein mehrstöckiges Haus in die Höhe wächst. Die neuen Wohnungen darin sind dann sicher „edel“, „luxuriös“, also etwas, das jedenfalls nicht nach Kreuzberg passt.

"Wir sind gegen euch"

Vor einigen Jahren wurde deshalb mal ein Rohbau in der Fichtestraße angegriffen. Mit einem Brandsatz. Auf nacktem Beton konnte der nicht so viel anrichten. Es war mehr eine Geste. Ein Wir-sind-gegen-euch! Die Leute sind später trotzdem eingezogen und bewohnen jetzt schöne geräumige Eigentumswohnungen mit Blick auf spielende Kinder im Gemeinschaftsgarten. Unweit davon hat eine noch viel größere Aneignung stattgefunden. Die ehemalige psychiatrische Klinik des Urban-Krankenhauses wurde von einer über hundertköpfigen Baugruppe umgestaltet. Familienfeundlich. Schließlich ist auch das Stadtquartier Friesenstraße fertig geworden, ebenfalls ein eigener Straßenzug mit Eigentumswohnungen und Grünanlagen. Und überall entstehen weitere solcher Initiativen.

Viele Kreuzberger fürchten die Verdrängung

Viele Kreuzberger fürchten diese Entwicklung. Sie könnten verdrängt werden, denken sie. Aber es dürfte sich herumgesprochen haben, dass die Neukreuzberger in ihren Eigentumswohnungen überwiegend Altkreuzberger sind. Sie haben schon vorher in dem Bezirk gewohnt. Aber dann etwas für Kreuzberg sehr Untypisches getan: Kredite aufgenommen und sich verschuldet. Sie haben sich festgelegt. Um zu bleiben.

Ihr anderen, die ihr das nicht getan habt, aus Mangel an Kreditwürdigkeit oder an Initiative, ihr bangt jetzt um euren Lebensstil. Verständlich.

Wer nicht kauft, geht freiwillig!

Und Yuppies auch! Wenn wie hier in Prenzlauer Berg gebaut wird, sind immer die Zugezogenen schuld. Dabei trifft der Zorn auch Berliner, die schon lange in den Kiezen leben.
Und Yuppies auch! Wenn wie hier in Prenzlauer Berg gebaut wird, sind immer die Zugezogenen schuld. Dabei trifft der Zorn auch Berliner, die schon lange in den Kiezen leben.

© dpa

Denn all das geschieht in einem Bezirk, dessen Mieten als die höchsten der Stadt wahrgenommen werden. Nirgendwo sonst ist die Nachfrage nach Wohnraum so stark, sind Preissprünge bei Neuvermietungen derart eklatant. Zugleich ist der Mythos von der billigen Stadt, von dem Berlin sein sympathisch-verkatertes Potenzial beziehen will, in Kreuzberg am lebendigsten. Aber er ist nur eine Ausrede. Und das führen jene Kreuzberger vor, die ihr Leben an etwas Unabänderliches binden – an Besitz. An Kredite, die man nicht kündigen kann. An Wohnungen, die einem gehören. Sie leben vorausschauender, als das für 36er und 61er bislang üblich war.

Die Mentalitätsverschiebung im Kiez wird spürbar

Der Effekt, eine Mentalitätsverschiebung, ist bereits spürbar. Privatbesitzer krallen sich mit anderen Ansprüchen in Kreuzberg fest. Dass die Schule, auf die das eigene Kind geschickt werden soll, zu schlecht ist, wäre früher Anlass gewesen, in die Nähe einer besseren zu ziehen. Jetzt gibt die dreiköpfige Familie K. ihre 200-Quadratmeter-Wohnung, in der sie seit Jahren für 800 Euro Warmmiete lebt, aus anderen Gründen auf. Sie wird in die Neubauten am Lokdepot ziehen, direkt an den Gleisen der Nordsüd-Trasse, Blick auf Schöneberg. Auf großem Fuß lebten die K.s bislang nicht, und sie werden es wohl auch künftig nicht tun können. Sie bekommen bei dem Thema so einen Gesichtsausdruck, als müssten sie jetzt ernst werden. Schulden zu haben, ist nicht schön. Das Wort Eigenheimfinanzierung macht es nicht schöner. Die K.s parieren es mit jenem ironischen Restbewusstsein, wegen dem sie sich so wohlfühlen in Kreuzberg. „Klar sind wir bescheuert“, sagen sie.

"Regt euch nicht auf!"

Die alte Wohnung war groß und billig, hohe Wände, Stuck an der Decke. Die neue wird kleiner sein und, na ja, schuldenbeladen. Warum also? Der alte Hausbesitzer lässt den Altbau verfallen. Die K.s haben mit einem eigenen Besen gegen den Verfall angefegt. Aber was, fragt Herr K., wenn der alte Besitzer stirbt? Dann erbt sein Sohn das Haus, ein dauerbekiffter Künstler. „Der wird das Ganze sofort verscherbeln.“

Es ist also nur die Frage, von wem man sich abhängig machen will. Regt euch also nicht auf, liebe weniger vorausschauend lebende Kreuzberger. Denn ihr seid irgendwann ja sowieso nicht mehr da. Und zwar, zu einem ganz großen Teil, freiwillig.

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