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Der Fuchs von der Stresemannstraße hat keine Angst vor den Tücken der Großstadt. Vielleicht überlebt er sie ja.

© PA / DPA

Kreuzberger Bewohner: Der Stresemann-Fuchs

Unser Autor Thomas Lackmann sieht am Anhalter Bahnhof immer wieder Füchse und fragt sich: Sind die Wanderer vielleicht auf dem Weg zum Deutschlandhaus oder dann doch eher zur SPD-Zentrale?

Der Fuchs, so belehrt uns die Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, ist auf Erden das Raubtier mit dem größten Verbreitungsgebiet (abgesehen vom Menschen! d. Red.). Er bevorzugt auf dem Speiseplan, anders als viele von uns, Ratten und Mäuse, genießt deshalb das Image eines nützlichen „Kulturfolgers“, soll aber von inkompetenten Städtern bloß nicht gefüttert werden, wofür bei Zuwiderhandlung bis zu 5.000 € Bußgeld anfallen. Der Fuchs, dem Wildhüter der Tagesspiegel-Redaktion mitten auf der Stresemannstraße, beim Anhalter Bahnhof, begegnen, sieht außerdem richtig gut aus. Er hat sich von allen Optionen zwischen Tundra und Maghreb ausgerechnet den Kreuzberger Asphalt als Lebensraum gewählt, das spricht kaum für die Klugheit des Wanderers - doch wer weiß, was er hinter sich hat? Dass er gerade auf dem Weg zur nahen SPD-Zentrale gewesen wäre oder ins Deutschlandhaus, wo die Dokumentation „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ aufgebaut wird, braucht er uns trotzdem nicht erzählen; dass er keineswegs, wie das diskriminierende Kinderlied unterstellt, eine Gans gestohlen hat, dürfen wir, so lange Zeit nach Weihnachten, zu seinen Gunsten annehmen. Wie kräftig leuchtet sein Rot, in Bilderbuchqualität! So buschig ragt sein Schweif durch Berliner Lüfte, dass anachronistische Machos, die mit dergleichen früher ihren Schlitten hätten hypen wollen, vor Neid erblassen müssten.

Allerdings schafft dieser Vulpes vulpes es nicht, den durch einen Zaun geteilten Straßenraum ganz zu überqueren. Drüben würden ihn freilich nur Parkplätze und Hinterhöfe erwarten; übrigens auch jener historische Ort, an dem Klein-Bismarck einst seine harte Internatserziehung genoss und sich beim Fensterblick übers grüne Feld vor Sehnsucht nach der ländlichen Heimat die Augen ausweinte.

Damals, vor 190 Jahren, endete an dieser Stelle die Stadt. Jetzt gibt es hüben, auf der Seite des Stresemann-Fuchses, noch ein letztes Stück postmodernen Urwald: eine unüberschaubare, umgitterte, verbuschte Brache, die sich von der Ecke Möckern / Stresemann nach Osten erstreckt. Hier irgendwo vermuten wir den „unterirdischen Bau mit Wohnkessel und Röhrensystem“, der unserem vierbeinigen Passanten nach Auskunft der Senats-Website zusteht. Sind etwa dieser mutmaßliche Hühnerdieb, das Köpenicker Killer-Wildschwein von neulich und der 2008 gesichtete Kuschel-Waschbär vom Alex nur Abschieds-Besucher ihrer Spezies - oder bereits die Vorhut für ein ergrüntes, menschenbereinigtes Science fiction-Berlin?

Wir wissen ja mittlerweile, wie solche Filme anfangen: Fuchs, Bache und Waschbär streunen, auf der Flucht vor neurotischen Robotern, durchs märkische Gehölz, stoßen unter Sand und Trümmern auf ein mattgelbes Frauenhaupt, die Spitze der verschütteten Goldelse - der Beginn eines nachhaltigen Abenteuers! Aber zuerst muss Stresemann-Fuchs husch über die Fahrspur zurück in den Wohnkessel, dann drehen wir weiter.

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