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Brennende Mülltonnen und Verwüstung. Ein bekanntes Bild am 1. Mai 2001.

© dpa

"Mein erstes Kreuzberg-Erlebnis" (4): 1. Mai 2001: Krawall am Kotti

Praller Sonnenschein, 9000 Polizisten und ein CDU-Innensenator, der die 18-Uhr-Demo bereits im Vorfeld verbot: Der erste Mai 2001 war wohl der letzte, an dem alle kritischen Faktoren für Krawall und Straßenschlacht zusammenkamen. Für unseren Autor war dieser Tag gefühlt sein erster in Kreuzberg.

Als Westberliner Vorstadtkind der 1990er-Jahre ist es nicht leicht zu sagen, wann man tatsächlich das erste Mal in Kreuzberg war. Doch das erste prägende Erlebnis dort ereignete sich, und das kann ich mit Sicherheit sagen, zu Beginn des neuen Jahrtausends - genauer gesagt am 1. Mai 2001.

Das heimliche Biertrinken am Schlachtensee war uns mit 16 Jahren endgültig zu langweilig geworden und, angestachelt durch die zahlreichen Vorberichte, war für uns klar: Zum Tag der Arbeit müssen wir nach Kreuzberg - "Bürgerkrieg light" angucken.

Also ging es mit ein paar Freunden mit der U-Bahn raus aus Steglitz und rein in die Stadt. Schon an den Bahnhöfen der U9 sammelten sich nach und nach interessante Gestalten, die man im Südwesten nicht oft zu Gesicht bekam: Vorstadt-Antifas mit schwarzen Kapuzenpullovern und teuren Marken-Turnschuhen, schaulustige, mit Spiegelreflex-Kameras bewaffnete Touristen und ein paar pöbelnde Alt-Punker. Mit der U1 rollten wir weiter Richtung Kotti, von da aus dann zu Fuß zum Lausitzer Platz. Eine Mischung aus Revolution und Bierdunst lag in der Luft. In der letzten Nacht hatten in der Simon-Dach-Straße schon Barrikaden gebrannt, die Polizei hatte Wasserwerfer eingesetzt. Jetzt war auch Kreuzberg ein Pulverfass.

Demonstranten zerstören ein BVG-Wartehaus

Um Straßenschlachten in den Abendstunden zu verhindern, hatte Innensenator Eckart Werthebach als eine seiner letzten Amtshandlungen die traditionelle 18-Uhr-Demonstration verboten. Das sorgte zwar für Empörung, doch mit einer neuen Demo-Anmeldung wurden Krawall und Revolution kurzerhand auf den Nachmittag vorverlegt. Eng flankiert von Polizei zog der Demonstrationszug durch Kreuzberg und wurde immer größer. Unterwegs ging ein BVG-Wartehäuschen zu Bruch.

Aus dem Fenster blickten wir auf brennende Barrikaden

Später in der Adalbertstraße holten ältere Freunde uns zu sich in die WG, sie gehörten der letzten Studierendengeneration an, die noch wie selbstverständlich in Kreuzberg wohnte. Aus dem zweiten Stock blickten wir auf die Wirren des Demo-Gefechts unter uns. Und stellten fest: Werthebachs Plan, die Gewalt mit massiver Polizeipräsenz zu bekämpfen, war eindeutig fehlgeschlagen. Die Barrikaden auf der Adalbertstraße brannten, die Polizeibeamten schlugen scheinbar wahllos auf alles ein, was sich bewegte. Die “Abendschau” nannte das später “Schamützel”.

Doch für mich sah es eher nach “Schlachtfeld” aus. Die aggressive Taktik der Polizei verleitete immer mehr Menschen, Steine zu werfen. Etliche Jugendliche vom Typ: “Kreuzberger Hinterhof-Hustler” fühlten sich provoziert und übten den Aufstand. Auch der ein oder andere Tourist traute sich im Schatten der Masse, seine leere Bierflasche in Richtung der Einsatzkräfte zu werfen.  

Ein wenig wie im Film, so von da oben das Geschehen zu beobachten, dachten wir uns. Wir hievten die Boxen der Stereoanlage ans Fenster und sorgten laut für den passenden Soundtrack: Metal Musik von Slipknot.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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