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Das Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz

© dpa/picture alliance

Missglückte Einigung vom Oranienplatz: Flüchtlingshelfer fühlen sich von Politikern getäuscht

Tag und Nacht haben Flüchtlingshelfer Papiere für Einzelfallprüfungen besorgt. Aber ihre gesamte Vorarbeit war umsonst. Nun sind der Frust und Ärger groß. Und die Caritas will nach der missglückten Einigung vom Kreuzberger Oranienplatz neue Strukturen der Flüchtlingsberatung.

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Nicht nur Flüchtlinge sind enttäuscht über die Umsetzung des Kompromisses, der im März gefunden wurde, um die Besetzung des Kreuzberger Oranienplatzes friedlich zu beenden. Auch viele Helfer fühlen sich von der Politik getäuscht. „Wir wurden für ein halbes Jahr eingestellt, um die Flüchtlinge vor allem bei der versprochenen nochmaligen Einzelfallprüfung zu unterstützen“, erzählt eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, um alle Papiere herbeizuschaffen, die Biografien aufzuschreiben – nur, um dann feststellen zu müssen, dass es gar keine Einzelfallprüfung gab. Es wurde nur festgestellt, dass Berlin nicht zuständig für den jeweiligen Flüchtling sei.“

Der ganze große Einsatz war vergeblich

Caritas-Sprecher Thomas Gleißner versteht den Frust. „Wir haben das ja bei der Verkündung des Kompromisses am 18. März alle so verstanden, dass es individuelle Einzelfallprüfungen geben sollte“, sagte er dem Tagesspiegel. „Um lediglich festzustellen, dass Berlin nicht zuständig ist, bedurfte es keiner weiteren Prüfungen, das wusste man doch schon vorher.“

Einem Politiker jetzt die Hauptschuld am Scheitern der mit der Einigung im März verbundenen Hoffnungen zu geben, hält Gleißner aber für wenig sinnvoll. „Der gesamte Berliner Senat ist da gefordert“, sagt er. „Man könnte, besonders für Lampedusa-Flüchtlinge und viele andere, die über Italien kommen, eine humanitäre Lösung finden. Und man braucht dringend eine neue Struktur der Flüchtlingsberatung in Berlin.“ Gleißner schildert Fälle von Frauen, die während der Flucht vergewaltigt wurden, von sehr kranken Asylbewerbern oder solchen, die seit Jahren durch Europa ziehen müssen. „Da kann man nicht jeden Fall mit gleichen rechtlichen Maßstäben messen.“

"Etliche Asylbewerber registrierten sich mit Unsinnsnamen"

Die frühere Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) gibt aber zu bedenken: „Leider haben sich viele Asylbewerber nicht mit Namen, Herkunft und Geschichte registrieren lassen, sondern sich nicht oder mit ,Unsinnsnamen‘ in die Listen eingetragen, so dass die Behörden sich ihrer Belange gar nicht annehmen konnten.“ Diese anonymen Flüchtlinge könnten dann aber auch nicht die 362 Euro staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, sagte John.

Die Integrationsexpertin verfolgte die Verhandlungen von Anfang an. Sie ist trotz aller Kritik froh, dass Berlin den Protest nicht ordnungsrechtlich abgebügelt, sondern „gewagt hat, den langen Weg zu gehen“. Sie ist auch froh, dass sich viele kluge Flüchtlinge mit den unwürdigen Lebensverhältnissen auf dem Oranienplatz nicht weiter instrumentalisieren ließen.

Ein pauschales Bleiberecht kann es nicht geben

John sagt, sie sei auf allen 27 Sitzungen der Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) mit Flüchtlingen, Unterstützern, Anwälten und Ämtervertretern dabei gewesen. Den Vorwurf der Flüchtlinge, Kolat habe Versprechen gemacht, die sich im Nachhinein als unrealistisch herausstellten, weist sie zurück: „Von einem Bleiberecht war nie die Rede. So eine Aussage hätte Kolat auch nie treffen können, weil sie rechtliche Vorschriften kennt und wusste, dass viele Fälle gar nicht geprüft werden konnten, weil die Flüchtlinge anonym bleiben wollten.“ Den Vorwurf an Kolat, die Verhandlungen nicht öffentlich geführt zu haben, hält sie für absurd. „Jeden kleinen Schritt bekannt zu geben, den niemand nachvollziehen kann, ist kontraproduktiv.“ Das sieht auch der Berichterstatter für Flüchtlingsfragen in der SPD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Veit, so: „Eine öffentliche Begleitung ist in solchen Angelegenheiten nicht immer hilfreich.“ Veit hatte im Oktober 2013 gemeinsam mit Kolat die Flüchtlinge am Brandenburger Tor zum Abbruch ihres Hungerstreiks bewegt. „Damals haben Frau Kolat und ich immer darauf hingewiesen, dass es kein pauschales Bleiberecht geben kann“, sagt er. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Senatorin den Flüchtlingen am Oranienplatz später etwas anderes gesagt hat.“

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