zum Hauptinhalt
Eric Mullers Mille-Feuille mit Pistazienfüllung bricht knisternd unter der Gabel

© Deike Diening

"Salon Sucré" in Kreuzberg: Im Zuckerparadies am Görlitzer Park

Am hinteren Ende des Görlitzer Parks verkauft der Patissier Eric Muller seit 14 Jahren legale Drogen: geschmackserweiterndes Gebäck.

Also, die beiden Gäste haben 25 Euro. Wofür reicht das noch? Das Tragische ist: Eine Offenbarung hatten sie schon. Den Käsekuchen mit Guavenmasse, die der Patissier aus Brasilien mitgebracht hat, war einfach zu gut. Jetzt haben sie Sorge, dass alles, was noch kommt, nur schlechter sein könnte. Die Brioche. Die Petits Suisses. Die Zitronentörtchen mit Baiser. Die Eclairs. Die Passionsfruchttörtchen. Sie sind ernsthaft geneigt, ein gleiches Stück Guaven-Käsekuchen einfach noch einmal zu essen.

„Tun Sie das nicht!“, ruft der Patissier und wirft sich aus der Auslage in den kleinen Caféraum diesem Ansinnen in den Weg.

Auch an diesem Sonntagmorgen, wie jeden Tag, an dem er geöffnet hat, ist Eric Muller um vier Uhr früh hereingekommen, hat den Ofen angestellt und in dessen Abwärme, die bald die ganze Backstube durchdringt, den Teig für die Croissants gehen lassen. Je kälter es draußen ist, desto höher legt er das Blech auf das Gestänge an der Wand. Und dann dauert es halt. Im Sommer kürzer, im Winter länger. Er hält nichts von falschen Federn, und deshalb auch nichts von Garschränken.

Süßes am letzten Ende des Görlitzer Parks

Eric Muller, Franzose, gerade 50 geworden, führt seit 14 Jahren an diesem entlegenen Kreuzberger Ort eine kompromisslose Choreografie auf. Inzwischen hat sie eine meditative Perfektion erreicht. Seine kleine Küche! Er ist stolz auf deren effiziente Organisation, er muss sich quasi nur auf der Stelle drehen und mit den Armen wedeln, um alles zu erreichen. Der enge Raum legt sich früh morgens um ihn, er passt ihm wie ein Tauchanzug, wie ja der ganze Laden, wie dieser Beruf.

Da sind der charmante Verkaufsraum und die Vitrinen – einmal durchdacht und nie geändert. Es ist einfach nicht nötig, das Mintgrün wirkt frisch, die Vitrinen haben dickes Glas, es könnten auch die Vitrinen eines Juweliers sein. Anfangs rieten alle ab, hier hinten, am letzten Ende des Görlitzer Parks, „hier gab es keinen Bus, keine U-Bahn, ja nicht einmal Fußgänger“. Aber Muller wollte auf keinen Fall eine teure Miete zahlen, er wollte teure Zutaten benutzen.

Mit 13 Jahren hat er in Straßburg seine Lehre begonnen, dann in internationalen Hotels gearbeitet, heute hat er 18 Teige geknetet. Darunter Hefezopf, Baisers, Rosinenschnecken, Schokoladengugelhupf. Das Angebot ist mittags schon gelichtet.

Die Religion der Patisserie hat hier ihre kleinste Kathedrale.

Eric Mullers Mille-Feuille mit Pistazienfüllung bricht knisternd unter der Gabel
Kracher. Eric Mullers Mille-Feuille mit Pistazienfüllung bricht knisternd unter der Gabel.

© Deike Diening

Vor 14 Jahren war er mit seinen guten Zutaten Pionier in Berlin. Jetzt, da alle über die Herkunft ihres Mehls reden, fällt er nicht mehr so auf. Oder besser: Er fällt jetzt noch mehr wegen der außerordentlichen Qualität seiner Backkunst auf. Wenn er die Valrhona Schokolade nämlich zu einem komplexen Schokoladen-Blätterteig-Mille-Feuille mit Passionsfruchtfüllung verarbeitet. So einen Blätterteig, sagt Muller, gibt es natürlich in der ganzen Stadt nicht. „Und nur dreimal in ganz Paris.“ Aber sein Paradestück, erst seit einigen Monaten im Angebot, ist das Mille-Feuille mit Pistazienfüllung, wo der Genuss mit dem spitz-knisternden Ouvertürenton beginnt, sobald der Mandelblätterteig unter der Gabel bricht.

Bei so etwas, sagt der Patissier, achte er nicht auf die Zeit, die er zur Herstellung braucht. Die wäre gar nicht zu bezahlen. Trotzdem kommen vielen natürlich die sieben Euro pro Stück teuer vor. Die Religion der Patisserie hat hier ihre kleinste Kathedrale.

Den Erfolg misst er nicht an der Größe seines Unternehmens, sondern an der Qualität: Bessere Torten. Mehr Disziplin. Weniger Show. Mehr Philosophie. Längere Stehkraft. Andere Liga. Muller will kein eigenes Backbuch. Keine Fernsehauftritte. Kein Imperium. Keine Filialen. Ein Angebot aus Rio de Janeiro hat er ausgeschlagen. Er will einfach in dem, was er macht, das Beste anbieten. Die Befriedigung liegt im Superlativ des Produkts. Wollte er wachsen, müsste er an irgendeiner Stelle von seinem Qualitätsbegriff abweichen. Und das ist selbstverständlich undenkbar.

Von Askese bis Zucker steckt das ganze Leben hier drin

Er würde dann nicht mehr jedes Ei selbst aufschlagen, entscheiden, wann der Croissant-Teig fertig gegangen ist, er würde nicht mehr selbst hinter dem Tresen stehen und die Vitrine umdekorieren, sobald durch die rasanten Verkäufe eine optische Unwucht entstanden ist. Es braucht die ganze Lebenszeit, allein um dieses Niveau zu halten. In vier Tagen kommt er auf 68 Wochenstunden. „Da mache ich nur dies“, sagt er. Keine Freunde treffen abends, kein Bier, kein Wein, kein Glas allein. Um neun ins Bett, Mittwoch bis Samstagabend, 100 Prozent, jetzt im 14. Jahr.

Von Askese bis Zucker steckt das ganze Leben hier drin. Die Tage, an denen er geschlossen hat, nutzt er zum Reisen und Recherchieren, mindestens einmal im Jahr macht er zu und fährt mit seiner Frau nach Brasilien.

Das entzückte Gästepaar jedoch, entschlossen, die 25 Euro auf den Kopf zu hauen, entscheidet sich nach Beratung für Pistazienkuchen.

Barcellos Salon Sucré, Görlitzer Strasse 32a, Kreuzberg, Do bis So 10–18 Uhr.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

Zur Startseite