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Katze & Kram. Mit ihren zwei Katern wohnt Irina Berginc in einer Altbauwohnung in Kreuzberg. Hier tätowiert sie auch. Drei Tage die Woche ist verkauft sie Messer auf dem Markt am Maybachufer.

© Alessandra Mannisi

Serie "Souls in a Box": Ihre Messer sind die schärfsten

Mitbringsel aus aller Welt verzieren Irina Bergincs Wohnung in Kreuzberg. Die Messer aus Vietnam verkauft sie am Maybachufer – mit großem Erfolg. Für unsere Serie über Kreative Berliner haben wir sie in Kreuzberg besucht.

Irina Berginc zeigt auf ihre Kommode. Ein kleiner Becher mit Blumen, von der Omi. Eine Goldplatte mit Schutzsymbol aus dem Himalaya. „Das ist mein Altar, mit Gegenständen, mit denen ich sehr verbunden bin.“ Die 38-Jährige blickt sich in ihrem Zimmer um. „Es hat sich tatsächlich viel angesammelt“, sagt sie. „Aber ich kann zu fast jedem Ding eine Story erzählen.“ Der große Ast, der über das Bett ragt zum Beispiel, den hat mal ein Bekannter beim Weg durch den Park eingesammelt und mitgebracht. „Statt Blumenstrauß“, sagt Berginc. Sie hat ihre Ohrringe daran gehängt, die mit den langen Federn.

Viele der Gegenstände sind Mitbringsel von Freunden, Erinnerungen an Reisen. „Und recycelter Kram vom Flohmarkt.“ In der ganzen Altbauwohnung in Kreuzberg erzählen Gegenstände Geschichten, im Flur, in der Küche, im Bad, im Arbeitszimmer. Das große Wohnzimmer ist für Irina Berginc das Herzstück ihres Zuhauses. Es ist warm, die Wände sind gelb, es riecht nach Räucherstäbchen. Es ist eine der Wohnungen, die Alessandra Mannisi für ihre Serie „Souls in a Box“ fotografiert hat, die wir in unserer Serie drucken.

Irina Berginc ist Messerhändlerin. An drei Tagen die Woche ist sie auf dem Markt am Maybachufer in Neukölln. Ihre Messer sind handgeschmiedet und kommen aus einem kleinen Dorf in Vietnam. Am Maybachufer hätten die Messer regelrechte Fans, sagt Berginc. Manchmal müsse sie gar kein Verkaufsgespräch mehr führen, weil Leute vorbeiliefen und zu Interessenten sagten: „Kaufen Sie dieses Messer! Das ist das schärfste Messer, das ich in meinem Leben je hatte.“

Berginc zieht die Schublade ihres kleinen Küchentischs auf, holt ihre eigenen Exemplare hervor und legt sie nebeneinander auf den Tisch: große Klingen, kleine Klingen, mit Griff und ohne. „Die werden nach einer jahrhundertealten Tradition gefertigt“, sagt sie. Zum Vergleich legt Berginc ein anderes Messer mit blauem Plastikgriff daneben. „Das ist mein altes Ikea- Messer“, sagt sie. „Die Messer aus Vietnam dagegen, das sind beseelte Objekte.“

Zurück im warmen Wohnzimmer kuschelt sich eine der beiden Hauskatzen auf ihren Schoß – auch zu ihnen hat Berginc Geschichten parat. Katze Houdini kommt aus Barcelona. Sie hat Gleichgewichtsprobleme, weil sie mal angeschossen wurde. Kater Wilhelm hat Berginc im Flugzeug aus Montenegro mitgeschmuggelt.

Vor sechs Jahren ist Irina Berginc mit ihrem damaligen Freund nach Berlin gekommen. Eigentlich wollte sie schon lange hierher, nur fiel es ihr schwer, ihren Freundeskreis in Dortmund zurückzulassen. Dort war sie Teil eines Künstlerkollektivs, hat eine Menge Veranstaltungen auf die Beine gestellt. „Nur manchmal eben für fünf Leute“, sagt sie. Sie erinnert sich, wie sie nach Berlin kam und eine Lesung selbstgeschriebener Geschichten besuchte, in irgendeinem Keller im Hinterhof. „Und da waren dann 60 Leute und haben gebannt zugehört“, sagt sie. In Berlin gebe es einfach ein großes Publikum für das, was sie interessiert. „Es ist ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten“, sagt sie. „Man kann sein wie man will.“

Irina Berginc hat nicht nur ein Philosophie-Studium abgeschlossen, sie ist auch Heilpraktikerin für Psychotherapie und seit gut einem Jahr verfolgt sie gezielt ihre Arbeit als Tattoo-Künstlerin. Ihre Entwürfe bestehen vor allem aus Mandalas und geometrischen, symmetrischen Formen. Die Kunden tätowiert sie zu Hause. Denn was sie bietet ist ein ganzes Ritual auf dem Weg zur Entscheidung für ein Tattoo. „Das ist zu Hause besser als in einem Studio, wo ständig Leute vorbeilaufen“, sagt sie.

Ihr Interesse dafür kam bei einem Thailand-Aufenthalt. Sie zeigt ein Bild an ihrem Unterarm: ein Tempel-Tattoo, das ebenfalls mit einem Ritual verbunden war. Gestochen wurde es mit einer Bambusnadel. „Mit einer Hand hältst du die Nadel, mit der anderen hämmerst du“, erklärt Berginc.

Das Gute an ihren Jobs: Tätowieren kann Berginc überall. „In Indien hab ich meine Maschine immer dabei“, sagt sie. „Dann tätowiere ich auch in Zimmern von irgendwelchen Hostels.“ Und das Messergeschäft darf im Sommer auch mal ruhen. So hat Irina Berginc – so sehr sie Berlin liebt – auch genügend Zeit, monatelang zu verreisen. Und mit einem Sack Geschichten zurückzukommen.

Ihre Tattoos bietet Irina Berginc unter dem Namen „Gayatree – energized Talisman Tattoos“ auf Facebook an. Die Fotografin der Serie „Souls in a box“ sucht weitere Modelle: Kreative Menschen in Berlin, in interessanten Wohnräumen. Kontakt: alessandramannisi11@gmail.com.

Alle Folgen unserer Serie finden Sie hier.

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